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In einem Land, in dem am laufenden Band haarsträubende Ideen von oberster Stelle in Umlauf gebracht werden, ist der Immunologe und Trump-Berater Anthony Fauci ein positives Gegenbeispiel.

Foto: REUTERS/Leah Millis

Wien – "Geschwindigkeit ersetzt nicht Qualität", sagt die österreichische Bioethikerin Christiane Druml, die seit zwei Wochen dem Beraterstab des Gesundheits- und Sozialministeriums zur Corona-Krise angehört. Druml pflichtet damit Kollegen aus den USA und Kanada bei, die in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazin "Science" für die Einhaltung wissenschaftlicher Standards plädieren – auch und gerade in einer Krise wie der jetzigen.

Schlecht konzipierte Studien können Schaden anrichten

Der weltweite Ausbruch von Covid-19 habe zu zahlreichen Studien geringer Qualität geführt, die schlecht konzipiert waren, in voreingenommener Weise Schlüsse zogen und ohne die sonst übliche Beurteilung durch Fachkollegen ("Peer-Review") veröffentlicht wurden, betonen Alex John London, Direktor des Zentrums für Ethik und Politik an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, und Jonathan Kimmelman, Direktor der Abteilung für biomedizinische Ethik an der McGill University in Montreal. Dabei werde oft die Auffassung vertreten, dass Notfälle im Bereich der öffentlichen Gesundheit Ausnahmen von den üblicherweise hohen Forschungsstandards erfordern würden.

Doch die Probleme in Studien würden nicht einfach angesichts der Dringlichkeit verschwinden – im Gegenteil: Viele der Mängel in der Art und Weise, wie medizinische Forschung unter normalen Umständen durchgeführt wird, scheinen sich während der Pandemie zu verstärken, argumentieren die beiden. Die Verbreitung schlecht konzipierter Studien verstärke das Risiko, knappe Ressourcen auf falsche Hinweise und ineffektive Praktiken umzulenken, während gleichzeitig die Unsicherheit darüber zunehme, wie Patienten am besten behandelt werden können oder das öffentliche Gesundheitswesen reagieren soll.

Trotz aller Herausforderungen der Krise bleibe "der moralische Auftrag der Forschung derselbe: Es geht darum, die Unsicherheit zu verringern und die Pflegekräfte, Gesundheitssysteme und politischen Entscheidungsträger in die Lage zu versetzen, besser auf die individuelle und öffentliche Gesundheit einzugehen", so die beiden Ethiker. Krisen seien keine Entschuldigung dafür, wissenschaftliche Standards abzusenken.

Was geboten wäre

In "Science" geben die beiden Ethiker Empfehlungen für verschiedene Interessengruppen, die an klinischen Studien beteiligt sind. So sollte etwa Forschungsansätzen Vorrang eingeräumt werden, bei denen mehrere Behandlungen nebeneinander getestet werden. Kliniker sollten keine kleinen Studien ohne Kontrollgruppen durchführen, sondern nach Möglichkeiten an größeren, sorgfältig orchestrierten Studien teilnehmen.

Auch Druml spricht sich für solche großen, internationalen, kontrollierten und randomisierten klinischen Studien mit Vergleichsgruppen aus, so wie es derzeit zum Beispiel die WHO mit dem Solidarity-Trial und dem Discovery-Trial vorsieht. Internationale Zusammenarbeit sei hier geboten, damit eine möglichst große Anzahl an Patienten einbezogen werden könne und schnell ein statistisch verwertbares solides Ergebnis vorliege.

"Strenge Forschungspraktiken können nicht alle Unsicherheiten in der Medizin beseitigen", so London und Kimmelman, "aber sie können den effizientesten Weg zur Klärung der kausalen Zusammenhänge darstellen, die Kliniker bei Entscheidungen mit folgenschweren Konsequenzen für Patienten und Gesundheitssysteme auszunutzen hoffen".

Negativbeispiel Chloroquin

Druml, Inhaberin des UNESCO Lehrstuhls für Bioethik an der Medizinischen Universität Wien und Vorsitzende des Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, sieht es als moralische Verpflichtung der Wissenschafter, so viel und so schnell wie möglich Wissen über die neue Erkrankung zu erwerben. "Dennoch muss auch in dieser schwierigen Situation die Forschung unter wissenschaftlich anerkannten Methoden durchgeführt werden."

Alle – auch unter normalen Umständen relevanten – Aspekte der Wissenschaftlichkeit seien zu berücksichtigen, da nur dann für Patienten verwertbare Ergebnisse gewonnen werden können. "Es ist ja weder ethisch noch wirtschaftlich akzeptabel, nicht effektive oder möglicherweise schädliche Therapien zu verabreichen. Schon allein aus diesem Grund benötigen wir Ergebnisse aus methodisch korrekt erstellten Forschungsprotokollen", so die Ethikerin.

Sie nennt als negatives Beispiel die Forderung von US-Präsident Donald Trump nach Anwendung von Chloroquin. Dabei hätten neue Studien für das Malaria-Medikament bei Covid-19 nicht nur keine Wirksamkeit, sondern sogar schädliche Nebenwirkungen gezeigt. Als vorbildlich sieht sie Anthony Fauci, der als Berater Trumps "ein hervorragendes Beispiel ist, wie ein exzellenter Wissenschafter sich nicht dem Druck der Politik beugt, sondern immer ruhig und mit Glaubwürdigkeit wissenschaftliche Fakten, allgemeinverständlich darlegt". (APA, red, 24. 4. 2020)