Andreas Bierwirth, CEO Magenta Telekom: "Es geht bei uns in der kritischen Infrastruktur einerseits um Erhalt von Brot und Lohn, andererseits um das Sicherstellen der Investitionsfähigkeit."

Magenta

Als Kind wollte Andreas Bierwirth Pilot werden. Diese Ausbildung hat er nebst Betriebswirtschaft auch gemacht, dann Germanwings gegründet, er war im Management der Lufthansa, 2008 Vorstandschef der AUA, bevor er zu T-Mobile wechselte. Nach dem Merger mit UPC im Vorjahr erklärt er, einer der zentralen Treiber der Digitalisierung, wie er jetzt arbeitet und was er erwartet.

STANDARD: Wie arbeiten Sie im Shutdown?

Bierwirth: Wir haben uns in zwei Teams geteilt. Ich bin zwei, drei Tage im Homeoffice, den Rest im Büro. Ich sehe fast niemanden mehr persönlich in der Firma, dafür meine zwei Kinder hier in Österreich mehr. Magenta ist nicht existenziell bedroht – ich kann daher sehr fokussiert arbeiten und erlebe eine Form der Entschleunigung, weil die vielen Reisen wegfallen. Es fühle mich damit nicht unwohl.

STANDARD: War Ihr Unternehmen auf Homeoffice vorbereitet?

Bierwirth: Eigentlich ja. Da unser T-Center nach der Zusammenlegung von T-Mobile mit UPC im Vorjahr zu klein wurde, haben wir unsere Mitarbeiter technisch ausgestattet, um remote zu arbeiten. Dass wir unser Callcenter nach Hause verlegen, damit haben wir nicht gerechnet, das ist natürlich eine extreme Herausforderung, aber das Feedback der Kunden ist sehr gut und verständnisvoll, sie telefonieren jetzt sogar länger mit uns. Aber auch wir haben eine Stoßgeburt im Bereich digitales Arbeiten erlebt – eine steile Lernkurve an uns selbst. Mich erinnert das an den Flugsimulator, mit dem ich halbjährlich trainiere. Schwierig ist, dass die Kommunikation gestört ist – insofern, als man nicht direkt miteinander sprechen kann. Wir haben vor einigen Jahren ein Seminar im Dunkeln gemacht. Ich habe daraus gelernt, dass es in der Krisenkommunikation um Wiederholung geht, immer wiederholen, bis es wirklich angekommen ist. Und natürlich die Frequenz der Kommunikation erhöhen. Ich habe etwa die wöchentliche Geschäftsführersitzung auf zweimal täglich umgestellt. Einmal pro Woche Videokonferenz mit allen Mitarbeitern im Livestream inklusive anonym möglicher Fragen, damit wir möglichst gut verbunden bleiben.

STANDARD: Was wird da gefragt?

Bierwirth: Alles, alle Unsicherheiten kommen da zutage, von der Angst vor dem Jobverlust über Kurzarbeit bis zur Angst vor anderen Menschen und dem Wunsch, zu Hause zu bleiben, bis hin zur totalen Ablehnung von Homeoffice. Von 2500 Mitarbeitern sind aktuell 652 in Kurzarbeit. Ich gebe Antworten, so gut ich kann.

STANDARD: Ist Personalreduktion bei Ihnen ein Thema?

Bierwirth: Natürlich möglichst nicht. Ich sehe erste Haltepunkte aber erst nach dem Sommer, die Unsicherheit ist einfach zu groß derzeit. Das Hochfahren der Wirtschaft wird zunächst noch mehr Unsicherheit bringen, die Betroffenheit wird sich dann zeigen. Dass wir auf das Niveau von 2019 hochfahren, das kommt so sicher nicht. Ich bin gespannt, ob es bei einem Minus von 7,5 Prozent für die Wirtschaft bleibt, ich glaube eher nicht. Können Unternehmen mit den Hilfspaketen langfristig überleben? Wie entwickelt sich das Konsumverhalten? Wenn dann noch Insolvenzen hereinkommen, dann nützt auch Hilfsgeld praktisch nichts. Wir wissen es noch nicht. Firmen werden jedenfalls, erwarte ich, kleiner werden. Und es geht bei uns in der kritischen Infrastruktur einerseits um Erhalt von Brot und Lohn, andererseits um das Sicherstellen der Investitionsfähigkeit. Die weiteren Schritte der Digitalisierung sind jetzt zu gehen, Stichwort 5G-Ausbau. Das ist ein schwieriger Spagat für mich. Das zerrt an mir, es ist irgendwie wie ein komischer Limbo.

STANDARD: Wie erleben Sie Ihre Vorstandskollegen in anderen Unternehmen?

Bierwirth: Ich sehe zwei Typen von Menschen. Die einen sind der Typ "Oh mein Gott, es ist schrecklich", die anderen schauen, dass sie Liquidität sichern und fragen sich dann: "Wie kann ich mich neu erfinden?" Die schütteln sich und schauen ihre Unternehmen kreativ an. Die werden auch überleben. Aber ich kann da mit vollen Hosen leicht stinken, ich bin nicht existenziell getroffen in der Telekommunikation.

STANDARD: Was wird vom Krisenmodus bleiben? Rechnen Sie mit Massenarbeitslosigkeit, mit einer völlig neuen Arbeitslandschaft?

Bierwirth: Das ist zu früh zu sagen. Ich habe dazu keine Bilder. Jedenfalls glaube ich nicht an einen V-Verlauf der Erholung. Vieles vom Digitalisierungsschub wird jedenfalls bleiben. Aber unsere Prognosen derzeit sind oft nicht mehr als ein Strohhalm – was wir erleben, findet sich in keinem Lehrbuch, auch in keinem volkswirtschaftlichen. Große Dinge sind plötzlich nicht mehr hypothetisch, sondern real. Dieses Höher, Schneller, Weiter hat seine Selbstverständlichkeit verloren. So wird es sicher nicht weitergehen. Dass nicht jede Geschäftsreise sein muss, haben wir gelernt. Dass sich Dinge, wie etwa große Kreuzfahrtschiffe, die in Venedig einfahren, anders darstellen, ist auch offensichtlich. Ich glaube, es wird schneller werden bei weniger Geschwindigkeit – ich bin wieder bei der Digitalisierung.

STANDARD: Also lernen wir einen respektvolleren Umgang mit sogenannten Ressourcen?

Bierwirth: Ja, ich glaube schon.

STANDARD: Sie sind ein Befürworter des App-Trackings, um Kontakte wegen möglicher Ansteckungen zu verfolgen. Warum?

Bierwirth: Das ist leicht erklärt: Je mehr wir das jetzt nutzen, desto schneller erhalten wir unsere Freiheiten zurück. Aber Sie brauchen nicht glauben, dass mein privates Umfeld da meiner Meinung ist. (Karin Bauer, 25. 4. 2020)