Wien – Umfang und Details der Rettungsaktion sind unklar, aber der EU-Videogipfel vom Donnerstag ebnet den Weg für das größte Wiederaufbauprogramm in der Geschichte der EU. "Wir reden nicht von Milliarde, sondern von Billion", skizzierte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen den Fahrplan. Mit dem Auftrag des Gipfels an die EU-Kommission wird das EU-Budget zum Herzstück des Recovery-Plans.

Nach dem Gipfel wurde klar, dass die Staats- und Regierungschefs noch keine Entscheidungen zu den Wiederaufbauhilfen getroffen haben. Sie segneten offiziell bloß ein 540 Milliarden schweres Corona-Rettungspaket ab, das die EU-Finanzminister vor drei Wochen geschnürt hatten. Aber die EU-"Chefs" waren sich zumindest einig, die EU-Kommission damit zu beauftragen, ein Modell für den Recovery-Plan auszuarbeiten.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen steigt offenbar auf die Forderungen von Deutschland, Österreich und den Niederlanden ein.
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Erfolg für Merkel und Kurz

Und von der Leyen hat erkennen lassen, dass sie den von der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zugespielten Ball aufnimmt. Will heißen: Der von Italien, Spanien und Frankreich geforderte klassische Einstieg in die Verschuldensgemeinschaft in Form von Euro- oder Corona-Bonds ist fürs Erste vom Tisch. Dies ist ein Erfolg für Merkel, Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und den niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, die Eurobonds zu Hause wohl kaum durchsetzen könnten.

Im Gegenzug müssen nun die Beiträge zum EU-Budget erhöht werden, wie Merkel nach dem Gipfel klarmachte. Im Mai soll die EU-Kommission einen neuen Entwurf für den mehrjährigen EU-Finanzrahmen vorlegen. War das EU-Budget bisher ein bloßer Ausgabenhaushalt, soll nun seine "Feuerkraft" in der Krise durch "innovative Finanzinstrumente" vergrößert werden, um so Investitionen für die von Corona getroffenen EU-Mitgliedsstaaten zu generieren. Dies bedeutet: Die EU-Staaten müssen eine höhere Obergrenze für das EU-Budget garantieren, denn anders als die Staaten darf sich die EU nicht über eine direkte Schuldenaufnahme finanzieren.

Aufbau-Anleihen

Dies soll dann den Weg freimachen für die EU-Kommission, die über ein gemeinsames limitiertes EU-Anleihenprogramm Gelder für Nothilfen und Investitionen zu günstigeren als den am Markt üblichen Bedingungen generieren könnte. Wegweisend für solche "Aufbau-Anleihen" war eine entsprechende Forderung des Europaparlaments. Damit würde die EU-Kommission im riesengroßen Stil etwas machen, das sie bereits in der Finanzkrise im kleineren Umfang tat.

Noch bevor der Euro-Rettungsschirm ESM gegründet wurde, hatte sie in der Finanzkrise 2010 über den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) Anleihen begeben, die über das EU-Budget besichert waren und dann als Notkredite an Griechenland, Portugal und Irland flossen. Das EU-Budget soll nunmehr vorzeitig massiv ausgestattet ("frontloaded") werden, sodass diese neuen Hilfen bereits ab Beginn nächsten Jahres fließen können. Aus dem bisherigen 540 Milliarden schweren Rettungspaket sollen die ersten Hilfen bis Juni bereitstehen.

Woher das viele Geld nehmen

Um ein Wiederaufbauprogramm zu ermöglichen, muss die EU-Budgetobergrenze für sogenannte Eigenmittel von derzeit 1,2 auf etwa zwei Prozent der europäischen Wirtschaftskraft erhöht werden, sagte von der Leyen. Woher soll nun aber das Geld kommen? Die EU-Kommissionspräsidentin sprach von Garantien der EU-Staaten. Experten zufolge müsste aber ein Mix von höheren Beiträgen und auch mehr Einnahmequellen der EU ("Eigenmittel") zustande kommen, um die Herausforderungen zu stemmen. Bisher waren eine Plastik- oder Digitalabgabe für das EU-Budget angedacht, nun werden solche Ideen wieder konkreter diskutiert werden.

Hatte sich am Anfang die Diskussion unter den Staats- und Regierungschefs um Euro- oder Corona-Bonds gedreht, verschiebt sich die Auseinandersetzung jetzt dahin, wie viele derartige Hilfen wieder zurückbezahlt werden müssen. Kredite oder Transferzahlungen – diese Frage spaltete den EU-Gipfel am Donnerstag klar in Nord- und Südeuropäer. Für rückzahlbare Kredite machte sich Bundeskanzler Kurz stark, unterstützt von seinen Kollegen aus den Niederlanden, Schweden und Dänemark. Subventionszahlungen forderten dagegen Spanien, Italien, Frankreich und Portugal. Die Höhe und Dauer des Wiederaufbaufonds blieben ebenfalls umstritten. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte forderte, ihn mit 1,5 Billionen Euro auszustatten, die Gelder sollten als "Subventionen" ausgezahlt werden.

Ähnliche Allianzen wie vor Krise

Somit treten in der Corona-Krise ähnliche Allianzen zutage wie zuvor bereits beim Ringen um das EU-Mehrjahresbudget von 2021 bis 2027. Die "Sparsamen vier" ("Frugal Four") – Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark – bremsen und wollen Transferleistungen und den Einstieg in die Schuldenunion abwehren, während die von Corona stark getroffenen südlichen Kohäsionsländer von der EU größtmögliche Solidarität einfordern.

Der Gipfel zum Mehrjahresbudget der EU. Damals im Dezember, als man noch an einem Tisch sitzen durfte.
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Der EU-Gipfel war noch nicht der "Moment der Wahrheit", von dem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Vorfeld gesprochen hatte. Spätestens wenn von der Leyen und EU-Budgetkommissar Johannes Hahn im Mai ihren revidierten Vorschlag für den mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) auf den Tisch legen, müssen die Regierungen Farbe bekennen und sich zu Entscheidungen durchringen. Handelt Europa nicht rasch genug, wäre eine viel schlimmere Rezession mit einem BIP-Einbruch um 15 Prozent zu befürchten, hatte EZB-Chefin Christine Lagarde vor "zu wenig zu spät" gewarnt. (APA, 24.4.2020)