In der zweiten Jahreshälfte dürfte sich die Zahl der Patienten mit psychischen Problemen weiter erhöhen, glaubt Experte Stippl.

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Für Menschen mit psychischen Problemen sind die Maßnahmen gegen Covid-19, allen voran die Einschränkung der sozialen Kontakte, eine Belastung. Wie stark diese ist, zeigt eine Studie des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP) und der Donau-Universität Krems.

1.500 Psychotherapeuten wurden in einer Umfrage zu den Auswirkungen der Regierungsmaßnahmen befragt. 70 Prozent gaben an, die Patienten verspürten rein negative Auswirkungen. 16,3 Prozent berichteten von negativen sowie positiven Auswirkungen, und 5,3 Prozent sprachen von ausschließlich positiven Folgen. 8,5 Prozent gaben an, noch keine Auswirkungen bemerkt zu haben. Zusätzlich zu bereits vorhandenen Problemstellungen gibt es durch die Krise nun neue Themen und Gefühle, die die Patienten beschäftigen. Die von den Befragten am häufigsten genannten Stichworte waren Angst, Einsamkeit, Isolation, Familie, Sorgen und Kontakte.

"Der unbekannte Gegner ist der, der am meisten Angst macht", sagt ÖBVP-Präsident Peter Stippl. Die vielen Unsicherheiten – das Virus selbst, aber etwa auch die wirtschaftliche Situation – seien für Menschen mit psychischen Problemen besonders belastend. Geschlossene Lokale und das Versammlungsverbot führten zudem dazu, dass "Einsamkeit als noch größerer Schmerz empfunden wird", so Stippl. Auf psychotherapie.at finden Betroffene Telefonnummern diverser Hotlines, die eigens für die Corona-Krise eingerichtet wurden. Wer Unterstützung braucht, kann sich zudem an die Telefonseelsorge unter 142 wenden.

Verbreitete Skepsis

Laut Thomas Probst, dem stellvertretenden Leiter des Departments für Psychotherapie und Biopsychosoziale Gesundheit an der Donau-Universität Krems, stehen Psychotherapeuten und Patienten derzeit zudem vor der Herausforderung, dass persönliche Therapie nicht mehr in gewohntem Umfang möglich ist und vielfach auf telefonische oder Onlineberatung umgestellt werden muss. Obwohl die Krankenkassen in der Corona-Krise auch diese Art der Therapie bezahlen, gibt es sowohl bei Behandlern als auch bei Patienten Skepsis im Hiblick auf die digitalen Methoden, so Probst. Wissenschaftlich begründet ist dies jedoch nicht. Forschungsergebnisse belegen, dass Therapien über Telefon oder Internet genauso effektiv sein können wie persönliche Gespräche.

Durch die Krise ist zu erwarten, dass der Bedarf an psychotherapeutischen Angeboten weiter steigt. Konkrete Zahlen aus Österreich dazu gibt es noch nicht, Daten aus Italien und China zeigen jedoch, dass die psychische Belastung in der Bevölkerung zugenommen hat. Arbeitslosigkeit, Restriktionen, was Kultur und Reisen anbelangt, sowie finanzielle Auswirkungen werden noch weiter deutlich spürbar sein, so Stippl: "Wer jetzt schon depressiv ist, den könnte das in veritable Probleme stürzen."

Gute Aufarbeitung

Für viele werde es in Zukunft noch schwerer, eine Psychotherapie aus eigener Tasche zu bezahlen. Damit spricht Stippl einen Punkt an, der von Psychotherapeuten schon lange kritisiert wird. Denn derzeit übernehmen die Krankenkassen nur für eine limitierte Anzahl an Behandlungen die Kosten: "Bei Beinbrüchen hören wir auch nicht nach dem tausendsten auf, ihn zu bezahlen", so Stippl.

Er ermutigt dazu, auch in dieser Zeit nach positiven Aspekten Ausschau zu halten, um gestärkt daraus hervorzugehen. "Mit guter Bewältigung, Aufarbeitung und einer entsprechenden inneren Haltung lässt sich in der Krise auch ein tieferer Sinn erkennen", so Stippl. (Bernadette Redl, 25.4.2020)