Auf Ischgl werde "noch einige Zeit ein Makel liegen", meint Jürgen Schmude, Tourismusforscher an der Uni München.

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Der Countdown läuft. Bis Anfang dieser Woche gingen allein in Tirol mehr als 3.300 Anträge auf Entschädigung nach Paragraf 32 des Epidemiegesetzes bei den Bezirksverwaltungsbehörden (BH) ein.

Unternehmen, zu einem sehr geringen Teil auch Privatpersonen, wollen den Verdienstentgang, der ihnen durch Verordnungen entstanden ist, die wegen des Coronavirus nach dem Epidemiegesetz erlassen wurden, vergütet bekommen. Anders als das Covid-19-Maßnahmengesetz, das von der Bundesregierung mit 16. März erlassen wurde, sieht das Epidemiegesetz nämlich Entschädigungen vor.

Es sind in erster Linie Tourismusbetriebe – Lokale, Hotels und auch Seilbahnen –, die wegen der Verordnungen den Betrieb einstellen mussten. Sie können nun bis sechs Wochen nach Auslaufen der jeweiligen Verordnung Anträge auf Vergütung einbringen. Die österreichische Hoteliersvereinigung und die Wirtschaftskammer bieten betroffenen Unternehmern dabei tatkräftige Hilfe an.

Forderungen gehen in die Milliarden

Auch beim Prozessfinanzierer Padronus können sich betroffene Unternehmer noch bis kommenden Freitag einer Sammelklage anschließen. "Es haben sich bereits Hunderte aus Tirol, Vorarlberg, Salzburg und Kärnten gemeldet", sagt Geschäftsführer Richard Eibl. Diese Verwaltungsverfahren werden sich zuerst gegen die jeweiligen BH richten, die diese Verordnungen nach dem Epidemiegesetz erlassen haben. Anders die Sammelklagen infizierter Touristen: Die betreffen im Rahmen der Amtshaftung direkt den Bund.

In Tirol sei so gut wie jede BH betroffen, sagt Eibl. Die Schließung der Après-Ski-Lokale in Ischgl, die Quarantänen im Paznaun, am Arlberg und in Sölden sind allesamt nach dem Epidemiegesetz verordnet worden. Die Forderungen gehen in die Milliarden, die Summen "orientieren sich am fortgeschriebenen Einkommen", erklärt Eibl, dessen Sammelklage sich auch Ischgler Hoteliers anschließen werden.

Entscheidend wird sein, wie viel Verdienstentgang geltend gemacht werden kann. Denn der Tourismus wäre angesichts der weltweiten Corona-Pandemie wohl ohnehin eingebrochen. Diese Ansicht vertritt auch Peter Bußjäger, Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Universität Innsbruck. Er glaubt, dass spätestens mit dem Tiroler Lockdown ab 19. März kein Einkommen mehr in der Branche zu erzielen gewesen sei.

Entscheidend ist auch das Covid-19-Maßnahmengesetz, das mitunter dazu beschlossen wurde, um den Staat vor solchen Schadenersatzforderungen zu bewahren. Die Krux ist dabei, ob es mit Inkrafttreten am 16. März alle Ansprüche nach dem Epidemiegesetz aushebelt, sprich ob Forderungen ab diesem Datum obsolet werden.

Prozessfinanzierer Eibl glaubt das nicht und verweist auf einen Absatz, in dem es wörtlich heißt: "Die Bestimmungen des Epidemiegesetzes bleiben unberührt." Zudem könnte das Covid-19-Gesetz noch wackeln, sagt Eibl: "Würde es für verfassungswidrig erklärt, und diese Bestrebungen gibt es, könnten noch viel mehr Ansprüche gestellt werden."

Ungemach aus Deutschland

Auch aus Deutschland droht weiteres juristisches Ungemach. Dort sind es vor allem Skifahrer, die sich in Tirol infiziert haben. Bisher haben sich beim Wiener Verbraucherschutzverein (VSV) 5.000 Geschädigte gemeldet, der mit Abstand größte Teil stammt aus Deutschland (70 Prozent).

Tätig werden will auch der deutsche Rechtsdienstleister My Right. "Einige Hundert Kunden haben sich an uns gewandt, und es kommen immer noch täglich Anfragen", sagt Gründer Jan-Eike Andresen zum STANDARD. Die meisten davon waren in Ischgl Ski fahren, es sei aber "ganz Tirol betroffen, auch in St. Anton gibt es einige Fälle". Er sei "überzeugt davon, dass es Ansprüche gibt". Von Interesse, so Andresen, "ist, ob Infektionen hätten vermieden werden können, wenn die Behörden schneller gehandelt hätten".

My Right plant eine Sammelklage und wird dabei mit österreichischen Anwälten zusammenarbeiten. "Es geht um Schadenersatz, aber auch um Körperverletzung, wir haben leider auch einen Fall mit Todesfolge." VSV-Obmann Peter Kolba sagt ebenfalls, dass sich unter den Interessenten für die VSV-Klage Hinterbliebene von elf Todesopfern befinden.

Auf Ischgl werde "noch einige Zeit ein Makel liegen", meint Jürgen Schmude, Tourismusforscher an der Uni München. Mit der Zeit werde sich das wieder geben. Allerdings, so Schmude: "Bei der Aufarbeitung müssen alle Fakten und Zahlen auf den Tisch. Wenn hier etwas vertuscht wird, dann würde sich das sicher negativ auf den Tourismus auswirken." (Steffen Arora, Birgit Baumann, 24.4.2020)