Eines ist unbestritten und letztlich ein Zeichen für ein gelungenes Zusammenspiel zwischen Politik und Gesellschaft: Österreich ist bis jetzt gut durch die Corona-Krise gekommen. Die Regierung hat rasch und rigide reagiert, die Bevölkerung konsequent und solidarisch agiert. Der politische Maßnahmenmix in der ersten Etappe des pandemischen Marathons hat funktioniert: Unser Gesundheitssystem kann die Covid-19-Erkrankten bestmöglich, also so gut, wie es eben ohne spezifische Medikamente geht, versorgen.

Die Freiheitseinschränkungen, die aus einer Gesellschaft von Individualisten einen kollektiven Abwehrkörper gegen das Coronavirus formen sollten, waren offenkundig effektiv. So sehr, dass die Regierungsspitze nach Ostern die "Öffnung" Österreichs gestartet hat. Der Verve, mit der sie das Bedürfnis nach Einkaufen, Garteln, Heimwerken oder einer neuen Frisur rasch wieder stillen wollte, steht jedoch eine merkwürdig diffuse, indifferente, mitunter fast ignorant anmutende Haltung gegenüber den Bedürfnissen von Kindern entgegen.

Bildungsminister Heinz Faßmann.
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Nun legt Bildungsminister Heinz Faßmann einen detaillierten Stufenplan für seinen Bereich vor. Die Schülerinnen und Schüler werden ab 18. Mai im Schichtbetrieb wieder in das Bildungssystem eingespeist und können existenzielle Bedürfnisse stillen: nach Bildung, nach sozialen Kontakten mit Gleichaltrigen, aber auch nach Autonomie außerhalb ihrer Familie. Ja, für sie öffnet sich die Tür hinaus in die Welt wieder. Und das ist wichtig. Auch in Corona-Zeiten.

Trügerische Sicherheit

Jetzt gibt es viele, die zur geplanten Schulöffnung meinen: Nicht mit meinem Kind! Doch nicht jetzt! Wann dann? Bis es den erlösenden Impfstoff gibt, wird es noch lange dauern. Länger, als wir uns, unsere Kinder und ihre Großeltern einsperren und in einer trügerischen Sicherheit wähnen können. Auch das hat nämlich einen Preis. Auch da entstehen Kosten, die nicht als vermeintliche Petitessen abgetan werden dürfen: soziale, psychische, entwicklungspsychologische, aber auch Gewalt und Einsamkeit. Das gilt es bei allen Maßnahmen, auch bei der Schulöffnung, einzupreisen.

Faßmanns Modell ist insofern auch gut austariert, als es quasi ein epidemiologisches Sicherheitsnetz eingebaut hat, weil zwischen der ersten Tranche und der zweiten Tranche am 3. Juni mehr als zwei Wochen liegen. Das schafft ein wichtiges diagnostisches Zeitfenster, aus dem man ablesen kann, ob man danach die nächste Stufe nehmen darf – oder noch einmal auf Stopp drücken muss.

Es ist eine extrem schwierige Gratwanderung, die den systematischen Kampf gegen das Virus und für ein wieder selbstbestimmteres und selbstverantwortliches Leben auch außerhalb der eigenen vier Wände ausbalancieren muss. Nur eines ist klar: Wir werden über lange Zeit mit dem Virus leben müssen. Auch die Kinder. Auch sie wissen mittlerweile sehr gut, dass sich die Welt verändert hat. Die Schule spielt dabei eine zentrale Rolle: Sie ist Teil der Helferkette, die auch lehrt, was jetzt und in der vielzitierten "neuen Normalität" zentrale Alltagskompetenzen bleiben werden: Abstand halten, akkurate Hygiene, Achtsamkeit.

Letztlich geht es für uns alle darum, uns in ein neues Verhältnis zur Welt, zu unserer Umwelt, zu unseren Mitmenschen zu setzen, sie nicht nur als "Spreader" zu sehen. Auch das müssen wir – Kinder wie Erwachsene – lernen. Je früher, desto besser werden wir uns in der neuen Welt zurechtfinden. (Lisa Nimmervoll, 25.4.2020)