Nach Ostern war das Zittern für große Gartencenter vorbei. Ludwig Starkl durfte in Wien-Simmering und seinen anderen Standorten wieder aufsperren. Der Andrang der Kunden ist groß. Gras über die Krise wird jedoch noch lange nicht wachsen.

Zaun, Hecke, Rasen, mit viel Glück ein paar Blumenbeete: Die Österreicher schotten sich gern nach außen hin ab, sagt Ludwig Starkl.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Wie viele Blumen und junge Gemüsepflänzchen sind seit Ausbruch der Krise verrottet?

Starkl: In Österreich sicher Millionen. Wir hatten das Glück, nach Ostern aufsperren zu dürfen. Der Schaden wäre sonst enorm gewesen. Glashäuser mussten ja weiter beheizt werden. Kosten für Personal und Wareneinsatz liefen weiter. Uns selber entging ein Umsatz von 750.000 Euro. Ich bezweifle, dass wir das wieder einspielen. Wir haben versucht, den Blühzeitpunkt rauszuzögern. Aber die ersten zwei Wochen nach dem Shutdown wurde alles entsorgt.

STANDARD: Sicher eine gute Komposterde, aber teuer erkauft.

Starkl: Viele Gärtner produzieren nur in der ersten Jahreshälfte, da Energie in Österreich extrem teuer ist. Es gibt dafür kaum Förderungen, anders als in den Niederlanden, wo die Gärtner durch spezielle Energietarife subventioniert werden. Sie beheizen Gewächshäuser deutlich günstiger als wir, produzieren damit in Summe billiger und exportieren im großen Stil. In Relation zu den Gesamtkosten sind die Frachtkosten gering. Österreichs Betriebe haben hier das Nachsehen. Sie bauen nur an, was rasch verfügbar sein muss, also primär Beet-, Balkonblumen und Gemüsepflanzen. Diese werden tagesgenau geliefert.

STANDARD: Pflegen die Österreicher in der Isolation und Quarantäne ihre grünen Daumen?

Starkl: Wird Reisen eingeschränkt, konzentrieren sich die Menschen auf die Verschönerung ihrer eigenen vier Wände. Man richtet sich seinen Garten her, kauft eine neue Hängematte. Die Gartenbaubetriebe und Möbelhändler werden davon profitieren. Auch 2008 führte die Wirtschaftskrise dazu, dass es sich die Leute daheim gemütlich machten. Wir hatten damals gute Ergebnisse. Derzeit werden Gartencenter stärker frequentiert als üblich. Es gibt Nachholbedarf, Erde etwa ist bereits Mangelware.

STANDARD: Wie das?

Starkl: Blumenerde ist das neue Klopapier. Produktion und Logistik kommen mit dem hohen aktuellen Bedarf nicht nach. Erde lässt sich nicht im Voraus erzeugen, es ist ein getakteter Prozess. Ihre Basis ist meist Torf. Und dieser wird vor allem im Baltikum abgebaut. Große Abfüller sind in Tschechien. Österreich selbst hat keine Erdenproduktion.

STANDARD: Sparen Gemeinden und Städte mit der Begrünung?

Starkl: Einige Großaufträge für öffentliches Grün fielen weg. Kommunen, Bauträger stornierten die Aufträge, werden sie aber sicher nachholen. Wir mussten ausgegrabene Pflanzen wieder topfen und konnten deswegen Mitarbeiter nicht in Kurzarbeit schicken.

Millionen Jungpflanzen wurden in den ersten Wochen nach der behördlichen Schließung der Geschäfte kompostiert.
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STANDARD: Sie setzten einen Hilferuf an die Regierung ab, kritisierten, dass Supermärkte in fremden Revieren wildern, während alle anderen Händler geschlossen halten mussten. Sie warnten vor einer Insolvenzwelle unter Gärtnern.

Starkl: Es gab hier eine massive Wettbewerbsverzerrung. Wer zur Landwirtschaftskammer gehörte, durfte offenhalten, wer der Wirtschaftskammer angehörte, durfte es nicht. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? In beiden Fällen wird mit lebenden Pflanzen gehandelt. Der Lebensmittelhandel wiederum konnte machen, was er will, und er hat es zu seinem Vorteil genutzt. Er soll sich auf den Verkauf von Lebensmitteln konzentrieren. Viele Betriebe stehen jetzt unverschuldet vor dem Ende. Es geht um Moral und Fairness.

STANDARD: Diskonter und Supermärkte sollen auch künftig kein Non-Food mehr anbieten dürfen?

Starkl: Ich wage zu behaupten, dass das eine Verbesserung für die Wirtschaft wäre. Diskonter arbeiten mit extrem niedrigen Spannen. Diese sind so gering, dass daraus keine relevanten Deckungsbeiträge entstehen. Sie listen Produkte, die nur dazu dienen, Kunden anzulocken. Nach Weihnachten kommen die Sportgeräte, im Herbst Lederhosen und Jagdzubehör. Was hat das bei ihnen verloren? Das zerstört die wirtschaftliche Grundlage des Fachhandels, der vom Saisongeschäft abhängt.

Der Verkauf von Pflanzen und Gartensortiment sorgt für Reibereien zwischen Supermärkten und Fachhändlern.
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STANDARD: Ist es nicht im Sinne der Konsumenten, vieles günstig aus einer Hand zu bekommen?

Starkl: Der Konsument denkt rationell, das ist keinem vorzuhalten. Es stecken nur andere Wertschöpfungsketten dahinter. Lebensmitteldiskonter schlagen in der Regel zehn bis 15 Prozent auf den Einkaufspreis auf, Fachhändler bis zu 100 Prozent – weil sie in Summe weniger verkaufen und ihre Infrastruktur finanzieren müssen.

STANDARD: Also Regulierung statt Wettbewerbsfreiheit?

Starkl: Wettbewerbsfreiheit würde zwischen Fachhändlern weiterbestehen. Um ihnen den Rücken zu stärken, ist es aber notwendig zu reglementieren. Wir dürfen auch keine Lebensmittel verkaufen. Die Hygienegesetze würden es mir nie erlauben, offenes Fleisch zu vermarkten. Der Lebensmittelhandel tut es und stellt zugleich Blumen in die Filialen. Klar ist es schwer, Grenzen zu ziehen, was Produkte des täglichen Bedarfs betrifft. Ein Whirlpool und Tischtennistisch zählen aber sicher nicht dazu. Diese Verzerrung gehört korrigiert. Da der Lebensmittelhandel gut mit der aktuellen Regierung vernetzt ist, glaube ich jedoch nicht, dass da viel passiert.

STANDARD: Halten Sie es für richtig, dass erst einmal nur Händler mit Flächen unter 400 Quadratmetern wieder aufsperren durften?

Starkl: Nein, auch das ist wettbewerbsverzerrend, unmöglich, unverständlich. Vertriebsfläche hat keinerlei Relevanz für die Kundenfrequenz. Die Österreicher wuseln sich nicht auf engstem Raum zusammen. Man kann vieles ihrer Eigenverantwortung überlassen. Die Grenze von 400 Quadratmetern entstand aus reiner Willkür heraus. Warum waren es nicht 100 Quadratmeter, warum nicht 2000? Wurde gewürfelt und es kam ein Vierer raus?

STANDARD: Was aber, wenn die Kurve der an Covid-19-Erkrankten wieder nach oben gegangen wäre?

Starkl: Der Shutdown war richtig. Aber es hätte rascher nachjustiert und entschieden gehört, was danach passiert. Es hätte einen Plan B und C gebraucht. Da wurde zu lang gewartet, da war man übervorsichtig. Die Wirtschaft lahmzulegen kostet so viel, das wird auf alle Steuerzahler zurückfallen.

Ludwig Starkl: "Die Österreicher wuseln sich nicht auf engstem Raum zusammen. Die Grenze von 400 Quadratmetern entstand aus reiner Willkür. Wurde da gewürfelt und es kam ein Vierer raus?"
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STANDARD: Wann wird Gras über die Krise wachsen?

Starkl: Es wird Jahre dauern, aber man kann sie vielleicht an einer Hand abzählen. Es wird ähnlich sein wie bei der Flüchtlingskrise 2015. Sie war zwei Jahre lang omnipräsent. Mittlerweile haben sie die meisten schon vergessen.

STANDARD: Gibt es eigentlich eine Pflanze zur Krise?

Starkl: Wenn es eine schafft, da in die Top drei zu kommen, dann die Erdbeersorte Korona. Es gibt sie allerdings bereits seit Jahrzehnten. Ein Massenträger mittlerer Größe, einmal tragend, eine gute Standardsorte, nichts Dramatisches.

STANDARD: Sind die Österreicher als Gärtner experimentierfreudig?

Starkl: Sie sind leider sehr traditionell. Der klassische österreichische Garten hat einen Zaun, eine Hecke, viel Rasen, mit Glück ein paar Blumenbeete und Balkonkisterln. Ganz anders sieht es in Belgien, in Großbritannien, Frankreich, Belgien, den Niederlanden aus: Dort sind keine Zäune, die Gärten sind nach außen hin offen. Auch die Leute sind kommunikativer, haben regen Kontakt zu den Nachbarn. Die Österreicher schotten sich nach außen ab. Das bestätigt die Anlage ihrer Gärten.

STANDARD: Haben viele das Garteln verlernt?

Starkl: Über soziale Kanäle passiert viel Inspiration. Aber der Anteil jener, die keinen grünen Daumen haben, nimmt zu. Das Wissen geht über die Generationen verloren, es gibt weniger Austausch innerhalb der Familien, der Freunde und Nachbarn. Da sind wir als Händler mit Beratung und Coaching gefordert. Die Jungen interessieren sich nicht dafür. Und später, wenn sie es tun, sind die Alten, die es wissen, vielleicht nicht mehr da.

Wer vom Garteln lebt, braucht Langmut. Vom Setzen bis zum Verkauf eines Baumes vergehen mitunter zwei Jahrzehnte.
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STANDARD: Finden Sie selbst genug Nachwuchs? Und muss ein Gärtner eigentlich besser Latein können als ein Arzt?

Starkl: Ich weiß nicht, wie viel Latein ein Arzt lernen muss, aber im Gärtnerwissen geht es um tausende Pflanzen. Wir finden definitiv nicht genug Nachwuchs. Das Berufsbild steht nicht auf dem Niveau, auf dem es stehen sollte. Ich war auf einer Gartenbaufachschule. Der Großteil meiner Mitschüler war dort, weil sie nichts anderes gefunden hatten. So nach dem Motto: Bevor du gar nichts kannst, wirst eben Gärtner. Die meisten wechselten später in andere Berufe.

STANDARD: Woran hakt es?

Starkl: Es ist gering bezahlt, körperlich anstrengend, in der Hochsaison sehr belastend. Viele wollen sich das nicht antun. Sterben im Falle einer Insolvenzwelle Gartenbaubetriebe weg, ist das gefährlich. Denn die kommen nicht wieder nach. Die Branche ist familiengeprägt. Kinder übernehmen den elterlichen Betrieb. Ich kenne kein einziges Beispiel eines Gartenbaubetriebs, der in den vergangenen 20 Jahren neu gegründet worden wäre. Die Einstiegsschwelle ist zu hoch. Es braucht viel Kapital, ein großes Grundstück, ein Gewächshaus, man muss alles vorfinanzieren und stark ins Risiko gehen.

STANDARD: Sind Gartengeschäfte eine Wette auf die Zukunft?

Starkl: Ja, und ein Devisenhändler würde raten: Risiko breit streuen. Es ist permanentes Nachpflanzen. Alles, was zu klein verkauft wird, fehlt später in größeren Größen.

STANDARD: Starkl pflanzt Bäume, die Sie vielleicht in 20 Jahren verkaufen können. Was machen diese langen Zeitspannen mit einem?

Starkl: Sie machen uns stolz. Was wir tun, ist, an die Zukunft zu glauben. Und wir verkaufen Zeit. Kunden ersparen es sich zu warten, bis der Baum 20 Jahre so groß gewachsen ist, dass sie daran Hängematten spannen können. Wir haben Bäume, die mein Großvater gesetzt hat. Die Entscheidung, sie zu schlägern, weil sie unverkäuflich sind, ist sehr emotional. Wir vermeiden das daher tunlichst.

Die Starkls anno dazumal. Seit 1912 ist die Familie im Gartengeschäft. Mittlerweile sitzt die vierte Generation am Steuer.
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STANDARD: Die Starkls sind eine weitverzweigte Gärtnerdynastie in vierter Generation. Wie stark ist die Konkurrenz untereinander? Gab es nie Grabenkämpfe zwischen den Familien?

Starkl: Da ist kein Konkurrenzdenken. Wir reden offen über alles, auch über Zahlen. Wir haben die gleichen Probleme und Lösungsansätze. Man holt sich Rat aus der Familie. Und es hat sich früh herauskristallisiert, welche Kinder in den Betrieb wollen. Wer will, der kann. Wer nicht will, muss auch nicht. Und will einer, kann es aber nicht, wird er keinen Erfolg haben und sich mit einer anderen Position zufriedengeben müssen.

STANDARD: Ihr Vater ist Weltmeister wie mehrfacher Europameister im Segelfliegen und stellte zahlreiche Streckenrekorde auf. Teilen Sie seine Leidenschaft fürs Fliegen?

Starkl: Nein, dafür habe ich keine Zeit. Ich bin jung ins Unternehmen eingestiegen, weil mich mein Vater darum bat. Er hat den Betrieb aber letztlich langsam verlassen. Er konnte sich erst abnabeln, als er eine Alternative hatte. Er verchartert nun erfolgreich Segelflugzeuge. Auf mich ist dieser Funke nie übergesprungen. (Verena Kainrath, 25.4.2020)