Maiaufmarsch der KPÖ im Jahr 1950.

Foto: aus dem Bildband "Partei in Bewegung. 100 Jahre KPÖ in Bildern"

Wien – Am 27. April 1945 konnte man stolz sein als Kommunist. Im Wiener Rathaus hat an diesem Tag der KPÖ-Chef Johann Koplenig seine Unterschrift unter die Unabhängigkeitserklärung der Republik Österreich gesetzt, von der zu diesem Zeitpunkt noch beachtliche Teile Kriegsgebiet waren. Die KPÖ war damit zur staatstragenden Partei geworden und bedeutsam wie nie zuvor. Gegründet wurden die heimischen Kommunisten am 3. November 1918 von Linkssozialisten rund um die radikale, kaum 23 Jahre alte Studentin Elfriede Friedländer (besser bekannt unter ihrem Mädchennamen Ruth Fischer). Die KPÖ ist damit eine der ältesten kommunistischen Parteien der Welt. In der Ersten Republik blieb sie aber weitgehend bedeutungslos. Sowohl mit ihrer austromarxistischen Theorienbildung als auch mit der Praxis des "Roten Wien" hatten ihr die Sozialdemokraten das Wasser abgegraben.

Volksdemokratie als Perspektive

Nach der Erfahrung von Ständestaat, Nazi-Diktatur und Weltkrieg waren die Kommunisten nun also staatstragend. So hatte es sich die Parteiführung im sowjetischen Exil erträumt – langsamer Übergang zur Volksdemokratie inklusive. Von Anfang an eine KPÖ-Herrschaft zu installieren war den österreichischen Kommunisten ebenso wie den sowjetischen Besatzern, die das österreichische Staatsgebiet von Osten her befreit hatten, unrealistisch erschienen.

Koplenig und die KPÖ-Spitze, die im April 1945 ins eben von der Roten Armee besetzte Wien zurückgekehrt war, hatten vor, zunächst einen unabhängigen Bundeskanzler einzusetzen – ins Auge gefasst hatten sie den Ökonomieprofessor Josef Dobretsberger. Dobretsberger war Schüler von Hans Kelsen, dem Autor der Bundesverfassung; ursprünglich war er CVler mit starker sozialer Orientierung gewesen, was ihm schließlich eine Berufung als Sozialminister in die austrofaschistische Regierung Schuschnigg eingebracht hatte. Während des Kriegs war Dobretsberger Universitätsprofessor in Kairo und Istanbul gewesen, von wo er Kontakte zum österreichischen Widerstand geknüpft hatte.

Vom Austrofaschisten zum KP-Kandidaten

Diesen Linkskatholiken wünschten sich die österreichischen Kommunisten also als Kanzler, wie der Parteihistoriker Manfred Mugrauer in seinem eben erschienenen Buch "Die Politik der KPÖ 1945–1955" darlegt. Sie hatten die Rechnung aber ohne den Wirt gemacht, also ohne Josef Stalin und Karl Renner. Der Sozialdemokrat Renner, der schon bei der Republiksgründung 1918 an der Staatsspitze gestanden war, hatte sich Tage zuvor dem sowjetischen Diktator als Chef einer österreichischen Übergangsregierung angedient – und war akzeptiert worden. Dobretsberger kehrte 1946 als Professor nach Österreich zurück, wurde Rektor der Universität Graz und engagierte sich zunächst in der ÖVP.

Unterstützt von der Sowjetunion und Österreichs Kommunisten um den Abgeordneten, Journalisten und Schriftsteller Ernst Fischer sollte Dobretsberger in der Volkspartei einen "linksoppositionellen Flügel" organisieren und noch einmal zum Kanzlerkandidaten aufgebaut werden. Ein Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt war: Dobretsberger schied 1949 aus der ÖVP aus, um sich dem KP-Bündnis der "Österreichischen Volksopposition" anzuschließen. In den 1950er-Jahren war er im KZ-Verband und dem kommunistisch durchsetzten Friedensrat engagiert.

Zurück in den April 1945: Da hatten sich die Kommunisten also in die von Renner mit Unterstützung der Sowjetunion geschaffene Realität zu fügen – also der Führung des 74-jährigen, in einer Mischung aus politischer Schläue und Altersstarrsinn agierenden und keinen Widerspruch duldenden designierten Staatskanzlers Renner. Er hatte Sowjetmarschall Fjodor Tolbuchin zunächst eine Regierung aus 35 Prozent Kommunisten, 45 Prozent Sozialdemokraten und "20 Prozent für die Katholiken" vorgeschlagen.

Volksfrontregierung als politische Sackgasse

Das sah schon ziemlich nach Volksfront aus – und sollte es auf den ersten Blick wohl auch. Aber Renner war wie den Vertretern der Sowjetunion klar, dass eine Volksfrontregierung weder von den Westalliierten noch von den Politikern in den von diesen besetzten westlichen Bundesländern akzeptiert werden würde. Also drängte Renner die KPÖ in den Regierungsverhandlungen vom 20. bis 26. April immer weiter zurück und setzte die berühmt gewordene Unabhängigkeitserklärung auf.

Diese sollte den Bruch nicht nur mit der Nazizeit ("Anschluss, der Österreich am 15. März 1938 von Deutschland aufgezwungen worden ist"), sondern auch mit dem durch Renners Rücktritt als Nationalratspräsident am 4. März 1933 erst ermöglichten Ständestaat 1933 bis 1938 dokumentieren. Daher hieß es auch im Artikel I: "Die demokratische Republik Österreich ist wiederhergestellt und im Geiste der Verfassung von 1920 einzurichten."

Es wurde also auf den von Hans Kelsen verfassten Text der Bundesverfassung verwiesen, aber der war politisch schon innerhalb weniger Tage Makulatur: Der Kommunist Johann Koplenig, der die Unabhängigkeitserklärung gemeinsam mit Renner und Adolf Schärf (für die Sozialistische Partei) und Leopold Kunschak (für die Österreichische Volkspartei) unterschrieben hatte, drängte auf diese erste Fassung des Bundesverfassungsgesetzes, die anderen Parteien einigten sich aber darauf, an die Verfassungsnovelle von 1929, die die Stellung des Bundespräsidenten gestärkt hatte, anzuknüpfen.

Der Anwalt, Staatssekretär und spätere Bundespräsident Adolf Schärf hatte befürchtet, dass der von Renner versprochene Rückgriff auf die Verfassung von 1920 den Kommunisten in die Hände spielen würde und eine "langwierige Auseinandersetzung" nur Verwirrung stiften würde. Die Ausarbeitung einer neuen, womöglich einem Rätesystem verpflichteten Verfassung in Weiterentwicklung jener von 1920 stand damit erst recht nicht mehr zur Diskussion.

Gescheiterte politische Vorstöße

Erste Ansätze hatte der KPÖ-Vorstoß für ein neues Staatsgrundgesetz – es stammt noch aus der Monarchie, blieb aber unangetastet – geliefert. Auch die Idee einer "Wirtschaftsdemokratie" und der Vorschlag, neben der Regierung einen Rat der Parteien zu installieren, der auf die Regierung Druck ausüben könnte, verliefen im Sande. Ein weiterer Politikansatz der Kommunisten beruhte auf einer Selbstüberschätzung: Da die KPÖ sich selbst nun als "konstruktiv mitgestaltende demokratische Aufbaupartei" verstand, drängte sie auf Einrichtung eines überparteilichen Gewerkschaftsbundes. Dass das de facto hieß, dort in die Minderheit und weitgehende Bedeutungslosigkeit zu geraten, war nicht geplant. Die Exilkommunisten hatten die Zahl mobilisierbarer Linker in der Arbeitnehmerschaft überschätzt. Obwohl sie etliche Betriebsratswahlen gewinnen konnte, blieb die kommunistische Bewegung anderen Strömungen unterlegen. Vielleicht auch, weil sie gar nicht so revolutionär orientiert war, wie manche erwarteten oder befürchteten.

"Auch für die zeitgenössischen politischen Konkurrenten in Österreich war es augenfällig, dass die KPÖ Parteiinteressen zugunsten der demokratischen Zusammenarbeit, der nationalen Einheit und des gesamtgesellschaftlichen Wiederaufbaus zurückgestellt hat. Insgesamt stand die KPÖ 1945 vor der Herausforderung, eine den nationalen Bedingungen und internationalen Kräfteverhältnissen entsprechende Strategie des schrittweisen Herankommens an den Sozialismus zu erarbeiten", resümiert Mugrauer in seiner Parteigeschichte über die "restaurativen Weichenstellungen des Jahres 1945". Aber die waren an jenem 27. April 1945 für die Kommunisten noch nicht erwartbar. (Conrad Seidl, 27.4.2020)