Erneuerung in turbulenten Zeiten: Staatsoperndirektor Bogdan Roščić

APA

Nun ist es auch schon eine Weile her, dass Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in einer Pressekonferenz warnte, es herrsche, was die Epidemie anbelangt, nur "die Ruhe vor dem Sturm". Der Sturm kam dann tatsächlich. Allerdings etwas später und nicht von Seiten der epochalen Plage. Kaum waren die gutgemeinten Regeln für die langsame Belebung des Kulturlebens draußen, rückte ein Großteil der Kulturszene zum Chor der Entrüsteten zusammen. Im Sturm stand so vor allem Kunststaatssekretärin Ulrike Lunacek. Es hieß, die Vorschläge der regierenden Kulturpolitik seien vollkommen theaterfremd.

Der designierte und am Sonntag auf ORF III (21.30 Uhr) seine erste Saison präsentierende Staatsoperndirektor gab sich – gegen den Meinungstrend – allerdings pragmatisch zweckoptimistisch. Und Bogdan Roščić ist bei seiner Haltung geblieben. "Mein primäres Szenario ist, die Saison ab September wie geplant gestalten zu können. Es ist ja alles vertraglich fixiert, manches davon seit drei Jahren – das kann man nicht einfach über Bord werfen. Ich habe es insofern etwas leichter, als ich erst im Herbst starten kann. Die wichtigste Frage jetzt lautet darum: Wann kann man vorproben? Ich glaube, wir werden auf der Probebühne durchkommen, das ist mit den Beteiligten auch besprochen. Dabei ist ganz klar: Für die Endproben mit Orchester und Chor, also Ende August, Anfang September, können die zuletzt zirkulierenden Beschränkungen nicht mehr gelten, ansonsten kann das nicht stattfinden. Aber der Erlass, der das alles regeln soll, ist ja noch gar nicht fertig, und wir haben viele Wünsche angemeldet."

Große Konferenz

Die größte Unbekannte sei nach Roščić eine ganz andere: "Wie kriegen wir die internationalen Künstler ins Land? Wir arbeiten gerade in allen Details daran. Nächste Woche habe ich eine Zoom-Konferenz mit etwa 40 Leuten, glaube ich. Asmik Grigorian, die bei der ersten Premiere am 7. September Cio-Cio-San in Puccinis Madama Butterfly sein wird, ist gerade in Vilnius. Sie kommt also auch anders als im Flugzeug nach Wien."

Da wären aber noch die Einreisebedingungen: "Negativer Test, Quarantäne... Wie man damit umgeht, organisieren wir gerade, die Bedingungen lockern sich aber vielleicht noch. Spätestens im August müssen wir zu proben beginnen, da ist ja noch Zeit." Davon würde auch abhängen, ab wann alle anderen Beteiligten anwesend sein könnten. "Die Kollegen reisen aus Japan, den USA und Großbritannien an. Daran sieht man schon, wo die Probleme liegen. Es ist also komplex, aber lösbar. Eine Sache ist natürlich, bis zu den Endproben durchzukommen. Ab den Endproben ist das Bild – wie gesagt – ein vollkommen anderes."

Mit anderen husten

Wie man sie nach Wien bekommt – diese Frage muss auch bezüglich der Gäste im Publikum gestellt werden. "Das betrifft die Wiener Staatsoper ganz besonders. Touristen machen etwa ein Drittel des Publikums aus. Sie bewirken oft mehr als ein Drittel der Einnahmen, da sie gerne sehr teure Karten kaufen. Zudem: Gibt es Bedenken des lokalen Publikums? Werden sich Besucher denken: Ich muss jetzt nicht unbedingt mit 2.300 anderen in einem Raum husten? Werden die Leute sparsamer wegen der Rezession? Oder gibt es vielleicht umgekehrt besondere Begeisterung? Das kann niemand ausrechnen, das wird man gemeinsam herausfinden müssen."

Dass es kein "business as usual" geben wird, ist für Roščić allerdings ganz klar und folgenreich. "Wenn die Staatsoper durch den Eigentümer Unterstützung bekommt, kann sie übrigens sehr viel Wertvolles, Sinnvolles in der Situation leisten. Ich kann, falls ich im Herbst freie Karten zur Verfügung habe, Krankenhauspersonal, Supermarktpersonal und Vertreter anderer ,plötzlich Hochrisiko‘-Berufe zu uns einladen. Gratis natürlich. Das wäre nur der Anfang, es gibt andere sinnvolle Ideen."

Große Diskussion kommt

Da die Staatsoper jedoch mit 45 Prozent einen sehr hohen Eigendeckungsgrad habe, "muss der Umgang mit dem Umsatzentgang vom Eigentümer auch gewollt sein. Er muss sinngemäß sagen: Sie spielen jetzt unter anderen Bedingungen. Aber es hat einen gesellschaftlichen und kulturpolitischen Wert, dass sie es trotzdem tun, daher will ich, dass das stattfindet. Das wird die große Diskussion der nächsten Wochen sein. Wir haben unsere Budgetszenarien abgegeben, im Juni muss entschieden werden", so Roščić

Sollte die kommende, seine erste Saison wie geplant durchgeführt werden können, wird sie jedenfalls einem Schnellversuch gleichen, ästhetische Defizite der Vergangenheit zu beseitigen, die sich vor allem im Regiebereich eingeschlichen haben. Die Staatsoper war mehr ein Hort der Konvention als Magnet spannender Entwicklungen der letzten Jahre.

Zehn Premieren kommen

Zehn Premieren sollen dies ändern helfen. "Um Zahlen soll es ja nicht unbedingt gehen, aber diese ist insofern wichtig, als es uns um eine schnelle, auf einmal wahrnehmbare Erneuerung des Repertoires ging – szenisch wie natürlich auch musikalisch. Das ermöglichen wir, indem neben den eigenen Produktionen auch Übernahmen ins Repertoire kommen. Dass dabei auch einige große Würfe nach Wien kommen, dass bedeutende Regisseure damit teils zum ersten Mal an der Staatsoper arbeiten – das gehört natürlich auch dazu."

Dass in den kommenden Jahren noch die eine oder andere Übernahme stattfindet, will Roščić nicht ausschließen. "Ich will das aber nicht zu einem neuen Prinzip machen. Mir war wichtig, einen ersten starken Impuls zu setzen, und er bedeutet eine ungeheure Kraftanstrengung. Dass der Apparat hier so professionell funktioniert, die Eigenmotivation der Kollegen so hoch ist, das macht das Ganze überhaupt erst möglich. Das wäre woanders vielleicht gar nicht gegangen."

Tolle Namen bei der Regie

Mit einer gewissen Erleichterung liest man da einige spannende Namen. Hans Neuenfels wird Mozarts "Entführung" aufleben lassen, Calixto Bieito "Carmen" und ein Jahr später "Tristan und Isolde". Simon Stone inszeniert "Traviata" (und in der zweiten Saison "Wozzeck"). "Parsifal" wiederum setzt Kirill Serebrennikow um, und Barrie Kosky wird "Macbeth" gestalten, um dann in den nächsten Jahren alle drei Da-Ponte-Opern Mozarts zu inszenieren.

Wer Zeuge war, wie heftig an der Staatsoper mitunter reagiert wird, kann dem promovierten Philosophen und Ex-Chef des Labels Sony classical einen gewissen Mut nicht absprechen. Er allerdings gibt sich als Überzeugungstäter: ",Timing the market‘ ist eine Methode aus dem Bereich der Börsenzockerei, die nie funktioniert! Das Ausrechnen des Publikums oder seiner Reaktionen ist die noch größere Illusion. Es ist auch vollkommen unkünstlerisch. Außerdem ist man immer der betrogene Betrüger, an sich selbst und vor allem am Publikum, wenn man versucht, auf eine Reaktion hin zu programmieren."

Damit würde man das Publikum ja auch nicht ernstnehmen, "sondern spricht es wie einen einheitlichen Block an. Man kann nur versuchen, mit allen Beteiligten für das jeweilige Werk das Äußerste zu leisten. Alles andere wird die Zeit weisen. Man sollte übrigens auch nicht geringschätzen, was Regisseure weltweit dazu beitragen, das Repertoire sozusagen weiterzudrehen, lebendig zu erhalten und quasi in die nächste Phase mitzunehmen", so Roščić.

Gut, aber toll: die "Tosca"

Bei der Frage, was erneuert wird und was bleibt, lässt er sich allerdings nicht "vom Alter einer Produktion leiten. Die Tosca aus 1958 ist ein gutes Beispiel. Sie hat immer noch Bestand und Größe. Sie ist vielleicht nicht mehr ganz im Originalzustand, aber dieser Frage kann man sich ja zuwenden."

Die Staatsoper habe seiner Meinung nach alle Voraussetzungen für glänzende Premieren. "Andere Häuser haben es zwar besser, was Probenressourcen anbelangt. Die Stuttgarter Oper, vielleicht nicht ganz so bekannt wie die Wiener Staatsoper, hat drei Probebühnen in der Originalgröße der Hauptbühne. Davon können wir nur träumen. Andere Häuser haben auch nicht den Druck, des täglich zu spielenden Repertoires. Die Staatsoper ist insofern wohl das am intensivsten genutzte Gebäude der Welt. Trotzdem: Unterm Strich verfügen wir über alles, was für herausragende Produktionen nötig ist. Da gibt es keine Ausrede."

Guter Musikchef im Kommen

Und die Wahl von Dirigent Philippe Jordan zum Musikchef ist in Hinblick auf die Qualität ein glaubwürdiges Versprechen. "Für ihn stand die Staatsoper nicht auf dem beruflichen Plan, er wollte schon inhaltlich überzeugt werden. Was mich natürlich in meinem Wunsch, ihn zu gewinnen, nur bestärkt hat. Es ist auch keine arrangierte Ehe. Ich habe ihm einfach vorgestellt, was ich vorhabe, wir hatten viele lange Treffen. Bezüglich der Zusammenarbeit haben wir auch vertraglich sehr detailliert gearbeitet. Die besten Verträge sind ja jene, die man schließt, um sie nie wieder aus der Lade holen zu müssen. Umso wichtiger ist es, sich penibel zu einigen, was gilt, wenn man sich einmal nicht einigt. Es gibt Klarheit über die entsprechenden Mechanismen."

In der Lade ruhen, um hoffentlich nie hervorgeholt zu werden, wohl auch Pläne, wie denn zu reagieren wäre, sollten sich im Herbst gröbere Probleme auftun und sollte sich der subventionierende Eigentümer nicht als hilfreich erweisen.

"Die Kostenstruktur eines Hauses wie jene der Staatsoper ist so gestrickt, dass man durch ein bisschen Gürtel-enger-Schnallen der Situation nicht einmal annähernd gerecht werden kann. Der Corona-Effekt ist ja eine andere Dimension. Wenn der Eigentümer der Staatsoper auferlegt, die Folgen von Corona selbst abzufangen, geht das nur über einen strukturellen Umbau der Staatsoper. Und das kann auch nicht ohne Konsequenzen für den Spielplan bleiben. Stichwort Schließtage. Für viele überraschend: Die Folgen von Corona kommen erst auf uns zu. Durch die Kurzarbeit und die vorzeitige Schließung des Theaters sind die finanziellen Folgen in dieser Saison nämlich nicht verheerend."

Das Rätsel der Wirtschaft

Eine tiefe Rezession, ab dem Augenblick, da alle glauben, das Schlimmste wäre vorbei, hätte also womöglich gewaltige Folgen. Roščić wüsste darüber auch gerne mehr. "Ich versuche mich darüber mit Leuten auszutauschen, die dazu mehr wissen müssen als ich. Die kumulierten Antworten rufen doch sehr den alten Hollywood-Spruch ,Nobody knows anything‘ in Erinnerung. Von ,das dicke Ende kommt erst‘ bis, wir sind doch längst durch die Talsohle, nur haben es noch nicht alle verstanden‘, habe ich alles gehört. Von daher sage ich einfach in den Worten eines genialen, aber obskur gebliebenen Songs der 1980er: "Die Zukunft ist so strahlend, dass ich Sonnenbrillen brauchen werde."

Vorsicht, Ironie. Der Song der US-Band Timbuk 3 wurde einst missverstanden und war eher als grimmiger Ausblick gemeint… (Ljubiša Tošić, 26.4.2020)