Eigentlich hätte Xiaomi seine nächsten Smartphone-Flaggschiffe ja im Rahmen des Mobile World Congress ankündigen wollen. Doch dem machte die Coronavirus-Pandemie einen dicken Strich durch die Rechnung und aus der Livevorstellung für das Mi 10 und Mi 10 Pro eine Online-Präsentation.

Nach dem Mi 10 wird dessen Pro-Version in den nächsten Wochen bei uns erhältlich werden. Schon seit einigen Wochen gibt es die chinesischen Varianten, die sich nur in Bezug auf ihre Software und die unterstützen Funkfrequenzen unterscheiden, bei Importhändlern. DER STANDARD hat diese Gelegenheit wahrgenommen und ein Testmuster des Mi 10 Pro vom Anbieter Trading Shenzhen auf Herz und Nieren geprüft.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Disclaimer

Einleitend sind drei Dinge zu erwähnen. Erstens: Die chinesische Ausgabe des Handys bietet eigentlich keine Google-Services, da Google diese in der Volksrepublik nicht anbieten darf. Viele Importhändler, so auch in diesem Falle, installieren diese aber, inklusive Zugang zum Play Store, optional vor. Im Rahmen des Tests traten keine Probleme bei der Verwendung des Stores und anderer Google-Apps wie Gmail oder Chrome auf. Allerdings besteht ein gewisses Risiko, dass es nach Firmware-Updates zu Problemen kommt.

Zweitens: Die chinesische Firmware gibt es aktuell nur in Mandarin und Englisch, wobei einzelne vorinstallierte oder in das System integrierte Apps wie Mi AI ausschließlich in Mandarin gehalten sind. Zudem ist Mi AI auch als Sprachassistent voreingestellt. Der Google-Assistant lässt sich zwar über die Google-App verwenden, allerdings nur, wenn man die Sprachsuche manuell startet. Er lässt sich nicht als Standardoption einrichten, weswegen das Aktivieren über das "Ok Google" bzw. "Hey Google"-Kommando nicht funktioniert. Diese genannten Probleme betreffen freilich die globalen Varianten der Handys nicht und dürften sich auch bei den China-Versionen mit dem Aufspielen einer anderen Firmware beheben lassen.

Drittens: Die globale Ausgabe des Smartphones verfügt überraschenderweise nicht über DualSIM, sondern hat nur einen einzelnen SIM-Slot. Es ist unklar, ob Xiaomi eine DualSIM-Variante nachreichen wird. Im Gegensatz zur chinesischen Ausgabe unterstützt die internationale Fassung aber das LTE-Band 20 (teilweise im Einsatz bei A1 und Magenta).

Foto: DER STANDARD/Pichler

Spezifikationen

Nun aber ans Eingemachte. In das Spitzenmodell der aktuellen Serie verbaut Xiaomi einen Snapdragon 865, dem je nach Variante acht oder 12 GB RAM zur Seite stehen. Dazu gibt es 256 oder 512 GB an Onboardspeicher. Getestet wurde die "kleinste" Version mit acht GB RAM und 256 GB an Speicherplatz. Die Vorderseite wird zu knapp 90 Prozent von einem seitlich leicht gebogenen AMOLED-Display ausgefüllt, das eine Auflösung von 2.340 x 1.080 Pixel mitbringt. Dazu gibt‘s eine maximale Bildwiederholrate von 90 Hertz und Unterstützung für HDR10+. Ein Fingerabdruckscanner unter dem Display dient zur schnellen Entsperrung.

Bei den Kameras lässt man sich ebenfalls nicht lumpen. Rückseitig verbaut ist ein Modul mit vier Sensoren, wobei jener für Weitwinkelaufnahmen mit einer Nennauflösung von 108 Megapixel operiert. Beigestellt sind diesem zwei Telefoto-Sensoren mit 12 und 5 Megapixel und ein Modul für Ultraweitwinkelaufnahmen mit 20 Megapixel. Das hybride Fokussystem setzt auf Phasedetection und Lasermessung und wird von einem Triple-LED-Blitz komplettiert. Auf der Frontseite, platziert in einem kleinen Ausschnitt im Eck des Displays, liegt die 20 MP-Frontkamera.

Wie gewohnt kann man zwei nanoSIM-Karten in das Handy stecken (Achtung, siehe Disclaimer: Gilt nicht für die globale Variante), eine Speichererweiterung ist allerdings nicht möglich. Unterstützt werden 5G (nicht getestet), LTE, ax-WLAN, Bluetooth 5.1 und NFC. Wer das Handy auch als Fernbedienung einsetzen mag, darf sich auch über eine Infrarotschnittstelle freuen. Sound wird über zwei Lautsprecher an der Ober- und Unterseite in Stereo ausgegeben. Kopfhörer müssen per Bluetooth, USB-C oder mit einem Adapter verbunden werden, denn einen 3,5mm-Klinkenstecker sucht man vergeblich. Für ausreichende Verwendungsdauer soll ein fest integrierter 4.500-mAh-Akku sorgen. Diesen kann man drahtlos mit bis zu 30 Watt oder per USB-C mit bis zu 50 Watt Leistung aufladen. Vorinstalliert ist Android 10 in Xiaomis eigener Geschmacksvariante MIUI 11.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Verpackt ist die Hardware in ein sehr gut verarbeitetes Aluminiumgehäuse, das 162,5 x 74,8 x 9 Millimeter misst, wobei die rückseitige Kamera etwas herausragt. Die Rückseite ist zwar verglast, aber mit einer Beschichtung verarbeitet, die ausreichend Halt in der Hand und auf glatten Tischoberflächen gewährt, sodass das Mi 10 Pro nicht allzu leicht aus der Hand glitscht oder unerwartet auf Wanderung gen Abgrund geht.

Die Bedienung ist aufgrund der Größe des Geräts und der Anordnung der Seitentasten selbst für durchschnittlich Größe Hände nicht mehr ganz einfach. Der Ein/Aus-Schalter ist noch gut erreichbar, die darüber angebrachte Lautstärkewippe aber ein Grenzfall. Weil der Bildschirm über den Seitenrand ragt, besteht zudem erhöhte Schadensgefahr bei einem Absturz. Immerhin: Die Software leistet hinsichtlich der Erkennung unabsichtlicher Eingaben im Randbereich hervorragende Arbeit, was man wirklich nicht von allen Smartphones dieser Gestaltungsart behaupten kann.

Am Display selbst gibt es sonst nichts auszusetzen. Die Farbwiedergabe ist kräftig und kontrastreich, ohne unnatürlich zu wirken. Egal ob Videos, Fotos oder Games – alles lässt sich darauf schön betrachten. Die maximale Helligkeit ist hoch genug, um auch direkter Sonneneinstrahlung noch gut zu trotzdem.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Ordentliche Performance

In Sachen Performance wird das Handy den Erwartungen gerecht. Nachdem der bisher verwendete Allroundbenchmark Antutu aufgrund Googles Vorgehen gegen dessen Publisher (wegen Verdacht des Werbebetrugs) aus dem Play Store verschwunden ist, wurde stattdessen Geekbench herangezogen. Und laut dessen CPU- und Compute-Benchmarks spielt das Mi 10 Pro bei den aktuellen Top-Smartphones vorne mit. Gleiches gilt für den Grafiktest mit 3DMark.

Diese Ergebnisse übersetzen sich auch gut in die alltägliche Verwendung. Von Spielen mit fordernder Grafik über Apps wie Google Earth, Browser, Messaging oder Youtube startet und läuft alles flott. Auch die parallele Öffnung mehrerer anspruchsvoller Apps sorgt nicht für spürbare Ausbremsung oder bedenkliche Erwärmung des Telefons.

MIUI nun mit Appdrawer, Kritik an Datenschutz

Die MIUI-Software lehnt sich konzeptuell recht stark an Apples iOS an, bringt aber deutlich mehr Anpassungsmöglichkeiten mit. Der Download von Themes abseits der zwei vorinstallierten Pakete ist aber nur mit einem Mi-Account möglich. Darüber hinaus gibt es einen "Gameturbo", bei der das System Spielen nach eigener Wahl bevorzugt Ressourcen zuweisen und zudem nicht priorisierte Benachrichtungen während dem Gamen unterdrücken kann. Weiters kann man weitere Nutzerkonten, auch speziell für Kinder, einrichten und einzelne Apps nur über vorherige Authentifizierung via Fingerabdruck oder Passcode zugänglich machen.

Navigiert wird wahlweise über Wischgesten oder die klassische Tastenleiste. Version 11 bringt eine Änderung mit, die vor allem Freunden des "klassischen" Android-Startbildschirms erfreuen wird. Erstmals kann man optional einen Appdrawer einschalten und muss nicht mehr einen alternativen Launcher installieren, wenn man seine Apps nicht über mehrere Homescreens verstreuen mag.

Allerdings hat sich Xiaomi aktuell eine Kontroverse bei seiner Software eingefangen. Datenschützer kritisieren, dass vor allem der hauseigene Browser unnötig Daten sammeln und nach Asien verschickt. Das Unternehmen hat die Anschuldigungen zurückgewiesen.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Starke Kamera mit Schwächen im Detail

Zeit, sich der Kamera zu widmen, die einmal mehr auch im Fokus von Xiaomis Werbekampagne für seine neuen Handys steht. Mit den vier Sensoren realisiert man eine Fülle an Aufnahmemöglichkeiten, reichend von Panoramabildern, Makrofotos und einen dezidierten Nachtmodus.

Unter allen Bedingungen – abseits Verwendung des Nachtmodus – reagiert die Kamera flott, braucht aber dann gern einen kurzen Moment, bis das Postprocessing abgeschlossen und das Foto in der Galerie gelandet ist. Die Ergebnisse bei Tageslicht können mit Konkurrenten wie Apple oder Samsung fast immer mithalten. Einzig bei direktem Gegenlicht tut sich die Kamera hin und wieder etwas schwer, was sich in Lensflare-Reflektionen und suboptimalem Bildkontrast widerspiegelt, sich aber mit manueller Fokussierung des Motivs beheben lässt.

Was im Detail auffällt ist, dass Texturen auf größeren Flächen wie Hausmauer gut erhalten werden. Mit kleineren Hintergrunddetails, etwa Blättern auf weiter entfernten Bäumen, hat die automatische Nachbearbeitung allerdings Mühe. Zoomt man hinein, ist hier oft ein unregelmäßiger Detailverlust zu sehen. Das Phänomen verstärkt sich (wenig überraschend) bei schlechteren Lichtverhältnissen. Stark störende Seltsamkeiten, wie etwa komplett verwaschene Bildelemente, die Samsungs Galaxy S20 Ultra liefert, gibt es aber nicht. Wer mag, kann übrigens auch Fotos in der Originalauflösung des Hauptsensors (108 MP) machen. Der Bildqualität, die unter anderem durch das Kombinieren von dessen Pixel (Pixel Binning) erreicht wird, ist das aber nicht zuträglich.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Selfies mit Echtzeiteffekten

Mit Kunst- und Abendlicht kann die Kamera gut umgehen. Der Nachtmodus liefert ebenfalls passable Ergebnisse, muss sich aber jenem des aktuellen Google Pixel und von Huaweis Spitzenmodellen knapp geschlagen geben, die jeweils mehr "Inhalt" und Details aus der Dunkelheit herausholen können. Für normale Aufnahmen kann bis zum Faktor 5 gezoomt werden, bei Nachtaufnahmen wird Zweifachzoom geboten. Wer möchte, kann auch eine KI zuschalten, die versucht, die aufgenommene Szene einzuordnen, um weitere Verbesserungen vorzunehmen. Die Ergebnisse schwanken zwischen nützlichen Farbadjustierungen und komplettem Overkill, weswegen man im Zweifel lieber ohne KI-Support fotografieren und gegebenenfalls manuell nachbearbeiten sollte.

Zu gefallen weiß der Makromodus, auch wenn er nicht ganz an das Niveau heranreicht, das etwa schon das Huawei P30 Pro letztes Jahr bot. Während man mit diesem bereits bis auf wenige Zentimeter an das Motiv herangehen konnte, muss man mit dem Mi 10 Pro wenigstens etwa zehn Zentimeter Abstand halten, was das System mittels Zoom auszugleichen versucht. Das macht sich allerdings darin bemerkbar, dass kleinerer Oberflächendetails nicht mehr gut eingefangen werden. Dennoch lassen sich sehr schöne Fotos erstellen, auch dank der sehr zuverlässigen Erkennung der Motivränder zwecks Bokeh-Effekt.

Gut schlägt sich auch die Selfiekamera. Diese beherrscht eine Reihe von Effekten mit Echtzeitvorschau. Wer sich künstlich die Haut glätten, die Lippen vergrößern, Nase verkleinern oder das Gesicht allgemein verschlanken möchte, kann sich nach Herzenslust spielen. In der Standardeinstellung ist lediglich eine leichte, kaum merkbare Hautglättung aktiviert, die man auch komplett deaktivieren kann. Die Aufnahmequalität ist gut und detailreich.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Sound

Akustisch liefert das Mi 10 Pro solide Kost. Der Sound aus den integrierten Lautsprechern kann sich für ein Handy durchaus hören lassen. Auf maximaler Lautstärke kommt es in höheren Frequenzlagen zu einem merkbaren Scheppern im Klang. Hier reicht eine Reduktion auf ca. 80 Prozent des Ausgabevolumens.

Überzeugen kann die Sprachqualität. Das Gegenüber ist nur mit einem leichten Rauschen unterlegt und kann fallweise leicht blechern klingen, ist aber durchgehend laut und deutlich zu verstehen. Man selbst kling am anderen Ende ebenfalls klar genug, um auch bei Hintergrundlärm verstanden zu werden.

Akku

Mit fliegenden Fahnen übersteht das Mi 10 Pro auch den Akkutest, jedenfalls soweit er in der Kürze der Zeit durchführbar war. in Schnelltest mit Battery Benchmark schätzt die Laufzeit bei massiver Nutzungslast (durchgehend hohe CPU-Auslastung und Verwendung von Kamera, Browser, Videowiedergabe, Games) auf 6,33 Stunden. Unter Realbedingungen bedeutet das: Auch wer das Handy viel nutzt, sollte gut durch den Tag und mit Reserven in die Nacht kommen, was auch den Eindruck im Rahmen der Testverwendung abbildet.

Die Schnellaufladung per Kabel mit dem mitgelieferten Ladegerät sorgt auch, wie versprochen, für flottes Nachtanken. Binnen einer halben Stunde ließ sich der Akkustand von 32 auf 94 Prozent heben, was unter Berücksichtigung, dass der Ladevorgang mit zunehmendem Füllstand aus elektrochemischen Gründen langsamer wird, sehen lassen kann. Die drahtlose Schnellladung wurde in Ermangelung eines entsprechenden Ladepads nicht getestet.

Foto: DER STANDARD/Pichler

Fazit

Das Xiaomi Mi 10 Pro bringt alles mit, was ein aktuelles Flaggschiff benötigt, und konkurriert auch in puncto Kamera mit den Spitzenmodellen der Konkurrenz, die nur in einzelnen Szenarien besser abschneiden. Der Knackpunkt dürfte weniger die Technik sein, an der es kaum was auszusetzen gibt, sondern vielmehr der Preis.

Während das "reguläre" Mi 10 bereits mit einem Nennpreis von knapp 900 im Handel ist, wird das Mi 10 Pro bei uns offiziell ab Anfang Mai für beinahe 1.000 Euro gelistet. Nach langsamer Annäherung in den letzten Jahren hat Xiaomi damit das Niveau von Samsung und Co beinahe erreicht. So viel kostet etwa auch das im Vergleich nicht sehr stark abgespeckte Samsung Galaxy S20 5G. Das OnePlus 8 Pro, das am Spezifikationszettel zumindest ebenbürtig ist, ist sogar für hundert Euro weniger zu haben. Mit Realme ist zudem ein neuer Konkurrenz auf dem Weg nach Österreich.

Das Mi 10 Pro ist unzweifelhaft ein sehr gutes Handy. Wer einen der Vorgänger besitzt und der Marke treu bleiben will, kann ohne Bedenken zugreifen. Alle anderen sollten einen detaillierten Vergleich mit den Alternativen anstellen, bevor sie einen Tausender in ein neues Smartphone stecken. (Georg Pichler, 4.5.2020)

Update, 10:20 Uhr: Hinweis bezüglich SingleSIM-only bei der globalen Ausgabe und Datenschutzbedenken ergänzt.

Testfotos

Zur Ansicht des Originalbildes bitte die Beschreibung anklicken.

Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
2x-Zoom
Foto: DER STANDARD/Pichler
5x-Zoom
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht, Weitwinkel (0,6x-Zoom)
Foto: DER STANDARD/Pichler
Weitwinkel (1x-Zoom)
Foto: DER STANDARD/Pichler
2x-Zoom
Foto: DER STANDARD/Pichler
5x-Zoom
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Gemischte Lichtbedingungen
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Selfie (Tageslicht)
Foto: DER STANDARD/Pichler
Selfie (Kunstlicht)
Foto: DER STANDARD/Pichler
Kunstlicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Makro
Foto: DER STANDARD/Pichler
Makro (mit KI)
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht
Foto: DER STANDARD/Pichler
Tageslicht (mit KI)
Foto: DER STANDARD/Pichler
Nachtmodus
Foto: DER STANDARD/Pichler
Nachtmodus
Foto: DER STANDARD/Pichler
Nachtmodus (2x-Zoom)
Foto: DER STANDARD/Pichler