Es ist keine besonders bösartige Spitzfindigkeit, gerade in Zeiten von Corona darauf hinzuweisen, dass Kurz mit seiner Wortwahl bei den Pressekonferenzen rund 16 Prozent der österreichischen Bevölkerung ignoriert.

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Der Vergleich macht sicher. "Liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger", begann die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihre Corona-Rede. Bundespräsident Alexander Van der Bellen begrüßte am Anfang seiner Ansprache "Österreicherinnen, Österreicher und alle, die hier leben". Vizekanzler Werner Kogler spricht in den zahllosen Corona-Pressekonferenzen "die Bevölkerung" an, Innenminister Karl Nehammer Menschen, "die in Österreich leben". Doch der Bundeskanzler und ehemalige Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz bleibt seit Wochen stets bei seinem "Österreicherinnen und Österreicher".

Erst am Montag, sechs Wochen nach der ersten Regierungspressekonferenz in der Corona-Krise, dankte Kurz "allen Menschen, die in Österreich leben" dafür, dass sie die Maßnahmen mitgetragen haben.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft Österreich antwortete auch auf Englisch.

Das mag eine Kleinigkeit sein, ein unwichtiges Detail. Doch wer sich jemals mit der Art und Weise auseinandergesetzt hat, wie Sebastian Kurz kommuniziert, weiß, dass der Bundeskanzler nichts dem Zufall überlässt – und schon gar nicht die Wortwahl oder die Plattform, über die bestimmte Inhalte verbreitet werden. Und deswegen war es auch kein Zufall, dass der Bundeskanzler seine Ramadan-Grüße heuer auf Twitter in Englisch veröffentlichte. Auf Facebook ließ er es gleich bleiben, ebenso wie die türkise Integrationsministerin Susanne Raab.

Es ist keine besonders bösartige Spitzfindigkeit, gerade in Zeiten von Corona darauf hinzuweisen, dass Kurz mit seiner Wortwahl bei den Pressekonferenzen rund 16 Prozent der österreichischen Bevölkerung ignoriert. So viele Menschen leben und arbeiten in diesem Land, ohne die Staatsbürgerschaft zu besitzen. Einige werde sich bei "Österreicherinnen und Österreicher" mitgemeint fühlen, einige aber nicht. Gerade in Berufen, die jetzt als "systemrelevant" beklatscht werden, arbeiten viele Ausländerinnen (24-Stunden-Pflege) oder Menschen mit Migrationshintergrund: Einzelhandel, Transport, Pflege. Sie haben es verdient, zumindest angesprochen zu werden.

Punkte sammeln

Was sie bestimmt nicht verdient haben, ist, bewusst ignoriert zu werden. In der Kommunikation überließen Sebastian Kurz und das Team in Türkis von Anfang an nichts dem Zufall. Denn gezieltes Ignorieren der Muslime im Land (den englischen Gruß verfasst der Staatsmann Kurz wohl für die befreundeten Nationen) bringt bei einer potenziellen Wählergruppe in Österreich noch immer Punkte, leider. Ebenso das patriotische "Österreicherinnen und Österreicher". Das übrigens seine ausschließende Wirkung erst im direkten Vergleich mit Van der Bellens "alle, die hier leben" richtig entfaltet.

Es ist bitter, dass gerade der ehemalige Staatssekretär Kurz so agiert, der jahrelang in den Migranten-Communitys – und auch explizit unter gläubigen Muslimen – Verbündete suchte. Damals scharte er migrantische Kandidaten und Kandidatinnen um sich, ernannte sie zu Integrationsbotschafterinnen, gratulierte auch regelmäßig zu allen nichtkatholischen Feiertagen und selbstverständlich auch zum Ramadan. Zuletzt am 25. Mail 2017 – zehn Tage nachdem der Wahlbeschluss fiel, der ihn zum Bundeskanzler machen sollte. (Olivera Stajić, 27.4.2020)