Bewegung im Freien erlaubt, Faulenzen in der Sonne verboten. Nicht alle Briten halten sich daran, Beamte müssen auf ihre Dienstkleidung hinweisen.

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Gespannt erwartet das politische London die Rückkehr von Boris Johnson in die Downing Street. Der Premierminister stehe "in den Startlöchern", bestätigte sein Stellvertreter Dominic Raab in Medieninterviews. Drei Wochen nach Johnsons Einweisung ins Spital wegen einer schweren Covid-19-Erkrankung wolle er diese Woche wieder die Regierungsgeschäfte übernehmen. Übereinstimmend fordern mächtige Unterstützer der konservativen Regierungspartei wie die Labour-Opposition eine Lockerung des Corona-Lockdown.

Bis Sonntag sind in den Krankenhäusern des Vereinigten Königreichs 20.381 Menschen an Covid-19 verstorben. Damit lag laut Johns-Hopkins-Universität die Todesrate pro eine Million Einwohner bei 299 – niedriger als in Spanien (490), Italien und Frankreich, aber deutlich höher als in der Schweiz (185), in Deutschland (70) oder in Österreich (60).

Unklare Statistiken

Allerdings werden die Todesfälle in Alten- und Pflegeheimen nicht zentral erfasst und gehen nicht in die Statistik ein. Laut der Vereinigung von Altenheimbetreibern müsse man daher mit mindestens 4300 zusätzlichen Corona-Opfern rechnen; die Financial Times, gestützt auf Angaben des Statistikamtes, hält die Gesamtzahl gar für doppelt so hoch. Unterdessen weisen alarmierende Zahlen auf die negativen Folgen der totalen Corona-Konzentration im Gesundheitswesen hin. Notfallaufnahmen von Kliniken hatten im vergangenen Monat eine Million weniger Patienten; Tausende von Schlaganfällen und Herzinfarkten bleiben unbehandelt, weil die Betroffenen sich vor Covid-19 fürchten.

Die Insel geht am Dienstag in die sechste Woche der Ausgangsbeschränkungen, die das Verlassen der Wohnung nur für Arzt- oder Apothekenbesuche, dringende Einkäufe und täglich einmal Sport gestatten. Besonders letztere Ausnahme wird von der Bevölkerung zunehmend großzügig ausgelegt; in vielen Londoner Parks ließen sich am Wochenende bei ungewöhnlicher Hitze kleine Gruppen zu Picknicks nieder.

Ich kaufe nur schnell Drogen!

Die walisische Polizei fasste hübsche Beispiele von Ausreden zusammen, mit denen Bürger der Ordnungsstrafe von 60 Pfund (68,57 Euro) für ihre Lockdown-Missachtung entgehen wollten. Sie müssten dringend Drogen oder eine Hundenagelschere kaufen, teilten Angesprochene beispielsweise mit. Andere schützten Ahnungslosigkeit vor: "Ich schaue keine Nachrichten."

Die alarmierenden Meldungen aus der Wirtschaft haben eine Reihe einflussreicher Geschäftsleute auf den Plan gerufen. Der Gründer des Finanzberaters Hargreaves Lansdown warnte vor einer überlangen Ausdehnung des Lockdown: Arbeitslosigkeit und Firmenpleiten würden die Gesundheit der Bevölkerung stärker schädigen als Sars-CoV-2, sagte der Milliardär Peter Hargreaves der Sunday Times. Ins gleiche Horn stießen auch der Mobilfunk-Unternehmer John Caudwell, der Restaurantbesitzer Richard Caring sowie der Banker Henry Angest. Außer riesigem Privatvermögen haben sie eines gemeinsam: Allesamt zählen sie zu den Großspendern der Regierungspartei.

"Unter Erwachsenen"

Auch in Johnsons Unterhausfraktion mehren sich kritische Stimmen. Der frühere Parteichef Iain Duncan Smith stimmte vergangene Woche ausdrücklich der schottischen Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon zu: Man müsse in ein "Gespräch unter Erwachsenen" über die Risiken des Lockdown und seiner Lockerung eintreten, glaubt die Vorsitzende der Nationalpartei (SNP).

Ähnlich haben sich der Chef der walisischen Regionalregierung, Labour-Mann Mark Drakeford, sowie der Londoner Oppositionsführer Keir Starmer geäußert. Hingegen wiederholte Vizepremier Dominic Raab am Sonntag die Regierungslinie: Angesichts der anhaltend hohen Infektions- und Todesraten sei eine Debatte über Lockerungen "nicht verantwortbar". (Sebastian Borger aus London 26.4.2020)