Kann Kanzler Sebastian Kurz klar und klug durch die Krise führen?

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Es wird, wieder einmal, die Stunde des Bundeskanzlers sein. Kranzniederlegung und Rede an die Nation – der 75. Jahrestag der Gründung der Zweiten Republik, das gibt einiges her für den Regierungschef. Und Sebastian Kurz ist keiner, der sich das entgehen ließe. Ein "neues Kapitel" der österreichischen Geschichte hat er angekündigt, und er lässt keinen Zweifel daran, wer in diesem Kapitel der Hauptdarsteller sein wird.

Fairerweise muss man sagen: Wer immer die Kanzlerschaft zu so einem Jubiläum innehat, würde das für einen eigenen großen Auftritt nutzen. Frau Rendi-Wagners Auftritt in dieser Situation würde wohl auch zu einem Rückblick darauf genutzt werden, dass die 75 Jahre der Zweiten Republik auch 40 Jahre sozialistischer und sozialdemokratischer Kanzler waren. Aber Pamela Rendi-Wagner ist von der Kanzlerschaft so weit entfernt wie noch kein SPÖ-Chef vor ihr – und so müssen sich die Sozialdemokraten damit trösten, die errungenen Fortschritte im kleinen und, nicht nur wegen der Corona-Krisensituation, immer kleiner werdenden Kreis zu feiern: Die SPÖ, staatstragende Partei seit 1945, wird in diesen Tagen wenig wahrgenommen werden.

Unbestrittene und vergessene Leistungen

Das Erreichte zu feiern obliegt eben dem Kanzler, dessen Partei die ersten 25 Jahre der Zweiten Republik und dann zehn weitere Jahre unter dem noch gut erinnerlichen Wolfgang Schüssel und jetzt eben unter Sebastian Kurz den Kanzler stellen konnte. Die Leistungen der ÖVP für das Land sind unbestritten, jene der KPÖ beinahe vergessen, und die anderen Parteien haben keine Wurzeln, die ins Jahr 1945 zurückreichen würden. Dennoch ist das, was dieses Land derzeit darstellt, Ergebnis einer gemeinschaftlichen Leistung, zu der auch Freiheitliche und Grüne beigetragen haben.

Jetzt scheint das alles auf dem Spiel zu stehen, so viel Krisengerede wie heute war in den letzten 75 Jahren nie. Das "neue Kapitel", von dem Kurz spricht, lädt zum Vergleich mit der Situation 1945 ein: Auch damals gab es einen Rekord an Arbeitslosen und an Unternehmen, die vor dem Nichts standen – allerdings stehen Arbeitslose, Kurzarbeitskräfte und Unternehmen heute wesentlich besser da als damals. Weit und breit drohen weder Hunger noch ein Versagen der Infrastruktur. Was tatsächlich droht, ist ein Wohlstandsverlust: Sinkt die heimische Wirtschaftsleistung demnächst auf das Niveau von 2015? Von 2000? Oder geht es noch weiter zurück? Nein, das ist wenig wahrscheinlich – auch da tröstet ein Vergleich: Österreich war 2015, 2000 oder davor kein wirklich armes Land. Das ist ganz gut aufzuholen.

Lernen, richtig zu streiten

Es hat sich ja gezeigt, dass man gemeinschaftlich mit allen Schwierigkeiten fertig wird. Dazu gehört, dass man wieder lernt, richtig zu streiten: nämlich um gute Lösungen und nicht um Personen; um die Zukunft der Republik und nicht um Details aktueller Vorgänge. Es erfordert den Willen aller politischen Kräfte, die wirtschaftliche Gesundung über parteiliche Interessen zu stellen.

Es erfordert auch klare Führung – etwas, was dem derzeitigen Bundeskanzler Kurz ohnehin Spaß macht. Es erfordert aber ebenso kluge Führung: Klug führt, wer andere Meinungen hört, wer das Gute daraus herauszuhören versteht – und umsetzt, was im Sinne des Landes ist. Klug führt, wer den Anteil der anderen nicht schmälert, sondern anerkennt, was Gemeinsamkeit zu leisten imstande ist. Das kann ein schönes neues Kapitel ergeben. (Conrad Seidl, 26.4.2020)