Im August 2019 zog ich nach Khorog, einer Kleinstadt im Südosten Tadschikistans, um den Grenzhandel zwischen Afghanistan und Tadschikistan zu erforschen. Als Teil meiner Feldarbeit bin ich vor kurzem zum lokalen Bazar gefahren, um mit den Betreibern von Khorogs Secondhand-Kleiderläden zu sprechen. Dort habe ich Ahmad getroffen, einen Mann mittleren Alters aus dem Nordosten Afghanistans, welcher sein Gehalt damit verdient, dass er tonnenweise Altkleider aus Europa kauft und sie über Karachi, Kandahar, Kabul und Ischkaschim nach Khorog importiert. "Bald, bald", sagt er mir, als ob er keine Zweifel hätte, werde der Mittelsmann ihn anrufen, um die Öffnung der Grenzen und damit die Wiederaufnahme vom Geschäft zu verkünden. Seitdem sind einige Wochen vergangen, und die Grenzen blieben nicht nur für den Personen-, sondern auch für den Handelsverkehr großteils geschlossen. Ahmad ist nur einer von vielen Geschäftsmännern in Tadschikistan, die von der Covid-19-Pandemie, und damit dem Rückgang des Welthandels, betroffen sind.

Bazar in Tadschikistan.
Foto: imago/robertharding

In dieser Situation bin ich jedoch mehr um meine Freunde und Kollegen in Afghanistan besorgt, wo die Lebensmittelversorgung knapp wird. Während tausende Container voll von essenziellen und verderblichen Gütern an der pakistanischen Grenze zu Afghanistan wochenlang stecken blieben, verdoppeln sich die Mehlpreise in Kabul über Nacht. Trotz der Bemühungen von lokalen Produzenten, die Nachfrage zu stillen, hängt Afghanistan stark von Weizenmehlimporten ab, welche am Nennwert gemessen das wichtigste Importgut darstellen. Da jedoch nahezu alle Weizenmehlimporte aus Kasachstan, Pakistan und Usbekistan stammen und die meisten Grenzübergänge geschlossen, internationale Flüge ausgesetzt und Ausfuhrkontingente eingeführt worden sind, ist es nicht überraschend, dass die Afghanen, in Erwartung von Engpässen, Mehlvorräte anlegen. Besonders in Hinsicht auf die politische Unsicherheit nach den Präsidentschaftswahlen, den fehlenden Fortschritt im Friedensprozess, die fortwährenden Angriffe von Terroristen sowie das desolate Gesundheitssystem stellt die Covid-19-Pandemie eine existenzielle Bedrohung für jeden Afghanen dar.

Hamsterkäufe von Mehl und haltbaren Produkten

Zurück in Tadschikistan, welches nebst Nordkorea und Turkmenistan, das einzige Land in Asien ohne bestätigte Fälle des Coronavirus ist, scheint die Situation weniger dramatisch zu sein. Eine anfängliche Welle der Angst, wenige Tage vor Nowruz, dem persischen Neujahrstag, welcher am Frühlingsäquinoktium gefeiert wird, führte dazu, dass die Bevölkerung Mehl sowie haltbare Produkte panisch gehortet hat. Ich habe dies auf mehreren Wegen mitbekommen: Erstens waren alle sozialen Medien voller Bilder und Videos von leeren Regalen in Supermärkten, langen Menschenschlangen davor und sogar einigen Handgreiflichkeiten, bei denen es darum ging, wer das Privileg haben darf, den letzten Sack Mehl kaufen zu können. Zweitens war bei meinem Lebensmittelhändler der gesamte Nutella-Vorrat ausverkauft, was zeitlich sehr ungelegen kam, da ich Freunde zum Pfannkuchenessen eingeladen hatte. Drittens ist eines Nachmittags ein Student zu mir ins Büro gekommen, um mich zu fragen, ob ich in seine neue Businessidee investieren möchte: Er habe drei Tonnen Mehl aus einer Mühle zum Sonderpreis bestellt und wolle dieses mit großem Gewinn verkaufen, da die Ladenpreise am Steigen waren.

Nowruz kam, wir haben gefeiert und sind zu unseren normalen Leben zurückgekehrt. Geschäfte und Betriebe sind wie gewohnt offen, Studenten in Schulen und Universitäten lernen fleißig und bereiten sich für ihre Examen vor, und Arbeiter stechen die Uhr wieder pünktlich um acht in der Früh. Sogar ich konnte meine Feldarbeit fortsetzen, wenn auch in einem begrenzten Maße, da die Grenzmärkte geschlossen bleiben. In den letzten Tagen breitet sich jedoch im Land ein leises Unbehagen aus. Als Präventivmaßnahme wurden Kindergärten und Schulen zur Desinfektion geschlossen, und Großveranstaltungen abgesagt. Sowohl die Regierung, als auch die Weltgesundheitsorganisation geben weiterhin an, dass das Land nicht von der Pandemie betroffen sei, allerdings lassen Berichte von steigenden Pneumoniefällen anderes vermuten. Nichtsdestotrotz war die Tadschikische Regierung sehr umsichtig und reagierte schnell auf die bevorstehende Krise.

Seit Jänner wurden alle Einreisenden auf Symptome überprüft, und sobald die Pandemie die ersten Länder in der Region betroffen hatte, sperrte die Regierung sukzessive alle Landgrenzen und Grenzübergänge zu. Bis auf einige Flüge nach Moskau, um die tausenden Gastarbeiter aus Russland zurückzuholen und anschließend unter Quarantäne zu setzen, wurden auch alle Flugverbindungen gestrichen. Einige internationale Organisationen jedoch, insbesondere das Aga Khan Development Network, bieten zusätzliche Unterstützung bei der Vorbeugung und der Notfallvorsorge an. Zum Beispiel haben Studenten und Mitarbeiter der University of Central Asia eine Informationskampagne gestartet und verteilten Poster zu Präventivmaßnahmen und Symptomen in Khorog.

Vom Ölpreis abhängig

Was jedoch unklar bleibt, ist das Ausmaß der Auswirkungen der Krise auf die tadschikische Wirtschaft. Das Land ist stark von Rücküberweisungen, welche ungefähr ein Drittel des tadschikischen BIP darstellen, abhängig. Da der Großteil der Arbeitsmigranten im Bauwesen oder der Serviceindustrie in Russland beschäftigt ist, ist ein dramatischer Einbruch der Rücküberweisungen zu erwarten. Erschwerend kommt noch dazu, dass Russland auch einer der wichtigsten Handelspartner Tadschikistans ist und das Land dadurch von der russischen Wirtschaftsleistung, welche wiederum von den Weltölpreisen abhängt, maßgeblich beeinflusst wird. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass, obwohl Tadschikistan selber kein Ölexportland ist, der Einbruch der Ölpreise infolge des russisch-saudi-arabischen Preiskrieges die tadschikische Wirtschaft belasten wird.

Menschen in ländlichen Gebieten und Bergregionen hatten große Hoffnungen in Hinsicht auf die steigende Anzahl der ausländischen Touristen. Viele Familien nahmen Kredite auf, um ihre Häuser in Privatunterkünfte umzugestalten, oder investierten ihr Geld anderweitig, um Dienstleistungen für Touristen anbieten zu können. Aus heutiger Sicht ist es jedoch klar, dass das Jahr 2020 ein Rekordtief an internationalen Besuchern verzeichnen wird. Dadurch wird es für Familien, die von den Tourismuseinnahmen abhängen, unmöglich, ihre Schulden zurückzuzahlen oder sogar überhaupt ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Dennoch, sei es, weil sie es nicht wahrhaben wollen, sei es aufgrund des vorherrschenden Glaubens an Determinismus oder nur aufgrund von persönlichen Charaktereigenschaften, bleibt der Großteil der Bevölkerung positiv und hoffnungsvoll. Und so, obwohl zu einer Seite an China und zur anderen an Afghanistan grenzend, scheint es wirklich wahr zu sein, dass es im Auge des Sturmes, oder wenigstens im Herzen Zentralasiens, am stillsten ist. (Jakub Polansky, 29.4.2020)