In Sachen Tanz ist der ORF traditionell ein bisserl unsicher. Das hat sich jetzt auch am Sonntagabend bei der Präsentation des Staatsopern-Spielplans 2020/21 mit dem designierten Direktor Bogdan Roščić im Dreierkanal gezeigt. In der einstündigen Sendung waren dem neuen Ballettdirektor Martin Schläpfer sparsam nur fünfeinhalb Minuten gegönnt, bevor der Moderator Roščić launig fragte, ob dieser "einen halbwegs souveränen Linkswalzer drauf" habe.

Der Staatsballett-Neustart soll am 20. September in der Volksoper stattfinden.
Foto: Tillmann Franzen

Zu seinem Programm durfte Schläpfer nichts sagen. Stattdessen wurden in einem eiligen Video ein paar wirre Bröckchen daraus verstreut. Dabei hat der nun in schwierigen Zeiten aus Düsseldorf nach Wien wechselnde gebürtige Schweizer eine Mammutaufgabe zu stemmen. Wie sein künftiger Chef versucht, sich "auf alle Szenarien vorzubereiten", wird das nun auch Schläpfer tun. Denn, so Roščić, was im Herbst sein wird, wisse niemand.

Lebende Organismen müssen gepflegt werden

Für die Ballett-Compagnie gilt exakt dasselbe, was der künftige Staatsopern-Musikdirektor Philippe Jordan über Chor und Orchester sagte: "Die sind lebende Organismen, sie müssen gepflegt und trainiert werden. Wenn das zu lange blockiert wird, ist die Gefahr sehr groß, dass es Schaden nimmt. Das Wichtigste ist, dass wir wieder spielen. Nicht nur für das Publikum, sondern auch für uns."

Im Hintergrund steht, dass sich langsam eine ernüchternde Erkenntnis durchsetzt: Die Corona-Krise wird erst enden, wenn es eine Impfung gegen das Virus gibt. Das soll dann, so Christian Drosten, renommierter Virologe an der Berliner Charité, im Frühjahr 2021 der Fall sein.

Das ist allerdings kein Grund, sich nicht trotzdem mit der sanften, aber bestimmten Wende auseinanderzusetzen, die Martin Schläpfer in den Spielplan seiner ersten Saison schreibt. Seine neue Heimatstadt hat er über die Mauern von Staats- und Volksoper hinaus im Blick. Und dieser ist überaus positiv, wie der vielgelobte Choreograf den STANDARD wissen lässt: "Wien ist eine Kunstmetropole, eine Musikstadt, ein ganz spannender Kosmos mit dem Festival Impulstanz – auch dem Festspielhaus St. Pölten in der Nähe – und den vielen Häusern" für Theater und Musik.

Neustart

Martin Schläpfer ist ein Überzeugungstäter: "Mein Fokus liegt auf der Arbeit, auf der Leidenschaft. Ich gehe davon aus, dass Tanz, der energetisch spricht und über unbewusstes Terrain wirken kann, auch Anklang findet." Programmatisch setzt er auf modernes Ballett aus Holland, den USA und aus seiner eigenen choreografischen Arbeit.

Im Herbst übernimmt der ehemalige Tanzchef der Deutschen Oper am Rhein, Martin Schläpfer, die Leitung des Wiener Staatsballetts.
Foto: Tillmann Franzen

Der Staatsballett-Neustart soll am 20. September in der Volksoper stattfinden, als dreiteiliges Programm unter dem Titel "Hollands Meister". Im Zentrum steht das exzellente, in Wien noch von seinen Auftritten bei Impulstanz erinnerliche Nederlands Dans Theater (NDT). Paul Lightfoot, der im August seine Funktion als Leiter des NDT an die Kanadierin Emily Molnar weitergeben wird, und seine künstlerische Partnerin seit 1989, Sol Léon, sind mit ihrem Stück "Skew-Whiff" dabei.

In dem Triple-Abend genießen sie beste Gesellschaft: NDT-Mitgründer Hans van Manen (87) steuert sein "Adagio Hammerklavier" (Ludwig van Beethoven) bei und Jiří Kylián, der die in Den Haag residierende Company von 1975 bis 1999 leitete, mit "Symphony of Psalms" zu Klängen von Igor Strawinski.

An der Staatsoper startet Martin Schläpfer zwei Monate später mit einem Doppelabend unter dem Titel "Mahler, Live". Darin präsentiert er seine Uraufführung "4" zu Gustav Mahlers 4. Symphonie und setzt sie in Dialog mit Hans van Manens "Live" – Musik: Franz Liszt – aus dem Jahr 1979. Es ist das erste Mal, dass dieses Stück von einer anderen Compagnie als vom NDT gezeigt wird.

Geheimtipp für 2021

Das erste abendfüllende Werk wird im Jänner an der Volksoper die Neueinstudierung von Schläpfers großem Erfolg "Ein deutsches Requiem" aus dem Jahr 2011 sein. Grundsätzlich fällt auf, dass das Format des mehrteiligen Abends eine deutliche Aufwertung erfährt. Das Ballettpublikum kann hier auf zeitgemäße, durchdachte Zusammenstellungen von Stücken neoklassischer und moderner Choreografen im Spektrum zwischen George Balanchine über Jerome Robbins bis hin zu Mark Morris gespannt sein.

Einen Geheimtipp gibt es auch: Im Juni 2021 steht auch eine kurze Arbeit des russischen Choreografen Alexei Ratmansky an, der ebenso im Gegenwartsballett zu Hause ist wie er als seltenes Talent bei der Rekonstruktion großer historischer Handlungsballette gilt. Deren Fans kommen mit "Coppélia", "Giselle", "La Fille mal gardée" und Nurejews "Schwanensee" aus dem Repertoire auf ihre Kosten. Die beliebte Nurejew-Gala am Saisonende schließlich wird zwar erhalten bleiben, aber künftig nur noch alle zwei Jahre zelebriert. (Helmut Ploebst, 27.4.2020)