Ein einsamer Trompeter am Äußeren Wiener Burgtor und vier maskierte Streicher im Kanzleramt: Die Zeremonien rund um den 27. April 1945 fallen heuer kärglich aus, obwohl es vieles zu sagen gäbe in Gedenken an Österreichs Unabhängigkeitserklärung wenige Tage vor Kriegsende. Doch in diesem Frühjahr 2020 ist alles anders.

Kanzler Kurz bei der Kranzniederlegung am Äußeren Burgtor in Wien: Die Garde trug zum 75. Jubiläum der Unabhängigkeitserklärung Österreichs rot-weiß-roten Mundschutz.
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Mit nur wenigen Sätzen geht Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in einer Fernsehansprache am Montag auf das 75. Jubiläum der Proklamation der Zweiten Republik ein. Über weite Strecken widmet er sich in seiner 15-minütigen Rede der Corona-Misere – und lässt an manchen Stellen durchaus aufhorchen.

Nur kurz erinnert der Kanzler an die Nachkriegsjahre, die Österreich nach zwei Weltkriegen durchlebte, er dankt all jenen Menschen, die das Land wiederaufgebaut haben. Er gedenkt auch der Gründerväter, die das alles ermöglich haben: An erster Stelle nennt Kurz den ÖVP-Säulenheiligen Leopold Figl, den ersten Kanzler der Republik. Der erste Staatskanzler der provisorischen Staatsregierung Karl Renner, ein Sozialdemokrat, findet keinerlei Erwähnung. Dafür hebt Kurz den roten Absolutisten Bruno Kreisky als großen Gestalter hervor. Und er würdigt auch Ex-Vizekanzler Alois Mock, einst ebenfalls bei der ÖVP, der das Land in die Europäische Union geführt hat.

Nicht nach Protokoll

Dank ihrer Schultern könne die Erfolgsgeschichte Österreichs weitergeschrieben werden, erklärt Kurz weiter. Obwohl der türkise Kanzler die Corona-Krise als eine Zeit benennt, "in der uns allen nicht wirklich zum Feiern zumute ist", versucht er den Zuschauern vor den Fernsehschirmen diesmal mit oftmaligem Lächeln mehr Zuversicht als in den letzten Wochen zu übermitteln. Unlängst sprach Kurz mit ernster Miene davon, dass jeder wohl bald ein Opfer des Virus kennen werde.

Heute sagt er: In der Geschichte habe es immer Auf und Ab gegeben, Wirtschafts- und Finanzkrisen, Naturkatastrophen sowie gewaltsame Konflikte in benachbarten Staaten, aber: "Nun werden wir Schritt für Schritt so viel Normalität wie möglich zurückgewinnen", verspricht Kurz – freilich stets unter dem Vorbehalt, dass die Infektionszahlen weiter sinken.

Nur wenige Stunden vor Kurz’ Auftritt hat Ö1 zu Wochenbeginn ein unbestätigtes Besprechungsprotokoll publikgemacht, wonach der Kanzler am 12. März darüber gesprochen haben soll, die Vorsicht der Bevölkerung mit drastischen Aussagen zu verstärken, weil sich wegen der grassierenden Pandemie noch keine wirkliche Sorge abzeichne. Angeblich war dabei auch von einem Spiel mit der Angst die Rede, dass die Menschen in Sorge sein sollen, sich selbst, die Eltern und Großeltern anzustecken. Kurz’ Umfeld wie damals anwesende Gesundheitsexperten weisen zurück, dass derartige Gesprächsverläufe stattgefunden haben.

Steuerfluchtroute schließen

Der Kanzler selbst geht in seiner Rede auf die jüngsten Vorwürfe freilich nicht ein, äußert aber Verständnis dafür, dass es zunehmend schmerze, die Eltern, die Oma und andere Menschen, die einem nahestehen, nicht in die Arme schließen zu können.

Anders als früher sichert Kurz auch jenen Menschen, die unsere Gesellschaft nun am Laufen halten, Entlastungen zu: Pflegepersonal, Supermarktmitarbeitern, Sicherheitskräften. "Wer hart arbeitet, soll künftig auch mehr zum Leben haben", sagt er.

Fast schon wie ein Sozialdemokrat hört sich Kurz bei jener Passage an, in der er ausdrücklich versichert, gegen Steuerflucht und ungerechte Steuermodelle großer Konzerne ankämpfen zu wollen, denn: "Jeder soll seinen fairen Beitrag leisten!"

Zu guter Letzt proklamiert Kurz: "Wir Österreicherinnen und Österreicher werden unseren bisher erfolgreichen Weg fortsetzen!" Aber wieder fällt kein Wort von all jenen, die mit uns leben und die in diesen Tagen ebenso mithelfen, die Zweite Republik, so gut es geht, zu erhalten. (Nina Weißensteiner, 27.4.2020)