Bundeskanzler Sebastian Kurz hat zur Feier "75 Jahre Gründung der Republik" , die im Zeichen von Corona erfolgte, eine zugleich angemessene wie unhistorische Rede gehalten.

Unhistorisch in zweifacher Hinsicht. Die spannende Geschichte der Wiedergeburt Österreichs 1945 streifte er nur. Die Rede wird aber auch nicht in die Geschichtsbücher eingehen. Dazu war sie zu konventionell im Modus "Wir schaffen das" gehalten.

Aber es gab ein paar bemerkenswerte Punkte. Vor allem hat sich Kurz offenbar das sozialdemokratische Narrativ zu eigen gemacht: "Wer hart arbeitet (z. B. Krankenschwestern, Polizisten, Anm.), soll künftig mehr zum Leben haben. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, aber auch notwendig, um den Inlandskonsum anzukurbeln". Gleichzeitig will Kurz "gegen alle Formen der Steuerflucht und gegen ungerechte Steuermodelle großer Konzerne ankämpfen".

Da Kurz die rechte "Ausländer"-Agenda schon länger der FPÖ weggenommen hat, stellt er sich jetzt als Synthese aus türkisem Neoliberalismus ("Sparen im System"), Rechtspopulismus ("Keine Flüchtlingskinder"), christlicher Soziallehre ("Wer hart arbeitet") und Linkspopulismus ("Konzerne besteuern") dar.

Außerdem war zu erkennen, dass Kurz die Krise nicht für ausgestanden und eine "zweite Welle" für möglich hält. Das ist im Sinne des Realismus angemessen. (Hans Rauscher, 27.4.2020)