Thomas Grenell löste mit seiner Einmischung eine Verfassungskrise aus.

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Nachdem mit "Hilfe" des Trump-Gesandten für den Kosovo und Serbien, dem ehemaligen Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, am 25. März die Regierung des Kosovo gestürzt wurde, ist eine Verfassungskrise ausgebrochen. Denn unklar ist, wer das Recht hat, eine Regierung zu bilden.

Vergangene Woche hat Präsident Hashim Thaçi den Regierungsauftrag an die LDK gegeben mit dem Argument, dass die stimmenstärkste Partei Vetëvendosje (VV) keine Namen von Mitgliedern für eine Regierung genannt hatte. Dem Gesetz zufolge kann der Präsident der zweitstärksten Partei den Auftrag zur Bildung einer Regierung geben, wenn die stärkste Partei – also die VV – den Auftrag zurückweist. Dies war allerdings nicht der Fall. Deshalb will sich die VV nun auch an die Venedig-Kommission wenden, um die Verfassungskonformität des Vorgehens des Präsidenten zu überprüfen. Kurti will in dieser Frage zudem vor den Verfassungsgerichtshof gehen.

Koalition ohne die stärkste Partei

Zynischerweise argumentierte Thaçi, dass er der LDK das Mandat gegeben habe, "um Stabilität zu erhalten". Dabei war genau diese Stabilität durch den Sturz der Regierung verloren gegangen, an der auch Thaçi einen Anteil hatte. Denn Thaçi ist so etwas wie der politische Todfeind des Anführers der VV, des Noch-Premiers Albin Kurti. Thaçi gehört der alten politischen Klasse an, er gilt wegen seiner Kriegsvergangenheit als erpressbar und seine Partei, die PDK, als schwer korrupt.

Der Chef der LDK, Isa Mustafa, kündigte indes an, dass es eine neue Mehrheit für eine Regierung gebe. Zur Koalition sollen die AAK von Ex-Premier Ramush Haradinaj gehören, die AKR des Bau-Tycoons Behgjet Pacolli, die Sozialdemokraten und die Lokalpartei Nisma, die ebenfalls von einem alten Krieger, nämlich Fatmir Limaj, geführt wird.

Künftiger Premier Hoti

Um eine Mehrheit im Parlament mit 120 Sitzen zu bekommen, braucht die Koalition allerdings noch sämtliche Minderheitenvertreter und die Lista Srpska, die von vielen kosovarischen Serben gewählt wird und die unter dem direkten Einfluss des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić steht. Premierminister soll der LDK-Politiker Avdullah Hoti werden.

Die Enttäuschung und Empörung bei der VV ist groß. Der geschasste Premier Kurti hat bereits angekündigt, dass er nicht verhindern wird, dass die Leute am 4. Mai, wenn die Covid-19-Maßnahmen gelockert werden, auf den Straßen protestieren werden. Und damit ist jedenfalls zu rechnen. Denn die Mehrheit der Kosovaren war gegen den Sturz der Regierung – gerade die jüngeren Menschen hatten sich von ihr endlich Maßnahmen gegen Korruption und für mehr Rechtsstaatlichkeit erwartet. Sie protestierten in den vergangenen Wochen am Abend mit lautem Topfklopfen auf Balkonen.

"Diebstahl der Demokratie"

"Die Bürger waren noch nie so verärgert", sagte Kurti kürzlich. Er fordert Neuwahlen. Kurti betont allerdings, dass er und seine VV die Proteste nicht selbst organisieren würden. Aufrufe dazu gibt es etwa unter dem Motto "Diebstahl der Demokratie" in sozialen Medien.

"Thaçis Plan verstößt gegen die Verfassung und zielt darauf ab, die Parteien wieder an die Macht zu bringen, die es ihm ermöglichen, seine Geschäfte mit Vučić voranzutreiben", kritisierte die stellvertretende Vorsitzende der VV, Arbërie Nagavci.

Außenpolitischer Erfolg für Trump

Nicht nur die VV, sondern auch andere politische Kräfte haben in den vergangenen Jahren Thaçi dafür kritisiert, mit Vučić einen Deal machen und den Kosovo entlang ethnischer Linien aufteilen zu wollen – so wie dies Milošević und Tuđman in den 1990er-Jahren mit Bosnien-Herzegowina tun wollten. Dazu gab es tatsächlich bereits viele Geheimgespräche und hochfinanziertes Lobbying.

Die Trump-Regierung hatte seit der Machtübernahme Anfang Februar nun Druck auf die Regierung Kurti aufgebaut, um einen Deal mit Serbien einzufädeln, weil Trump einen außenpolitischen Erfolg für seine Wiederwahl will. Kurti wurde aber – weil er nicht auf Knopfdruck reagierte – alsdann von Grenell als Hindernis gesehen. Und so wurde Kurtis Koalitionspartner, die LDK, unter fadenscheinigen Argumenten dazu gebracht, nach nur ein paar Wochen die Koalition zu zerstören.

Schaden für transatlantische Partnerschaft

"Die Bereitschaft der Trump-Regierung, gegen ihre europäischen Partner vorzugehen, um eine demokratisch gewählte Regierung während einer beispiellosen Gesundheitskrise aus dem Weg zu räumen, schadet einer bereits angespannten transatlantischen Partnerschaft weiter", schrieb das Magazin "Foreign Policy" kürzlich über den Skandal in Europa. Offensichtlich perfide ist zudem, dass der US-Gesandte Richard Grenell gerade zu jenem Zeitpunkt dazu beitrug, die Regierung zu Fall zu bringen, als die Kosovaren wegen der Pandemie nicht dagegen demonstrieren konnten.

Die Mittel waren brutal. Aus Washington kam – Medienberichten zufolge – nicht nur die Drohung, die US-Friedenstruppen der Kfor aus dem Land abzuziehen, sondern auch eine 49-Millionen-Dollar-Finanzierung eines Zuschusses der Millennium Challenge Corporation zu beenden. Die Trump-Regierung löste genau zu jenem Zeitpunkt in einem kleinen Land in Europa politische Turbulenzen aus, wo eine stabile Regierungsführung wegen der Covid-19-Bedrohung besonders erforderlich ist.

Twitter-Politik von Grenell

Bislang konnte ein Deal allerdings nicht erzielt werden, weil Serbien die Verhandlungen nicht aufnehmen wollte, solange die 100-Prozent-Zölle für serbische Waren noch aufrecht waren, die 2018 vom Kosovo eingeführt wurden, um einen Gebietsaustausch nach ethnischen Kriterien zu verhindern. Die Regierung Kurti hat die Zölle am 1. April aufgehoben, aber das Prinzip der Reziprozität eingeführt – serbische Behörden sollen damit kosovarische Dokumente anerkennen. Diese Reziprozität bedeutet grundsätzlich, dass die kosovarische Regierung für Serbien dieselbe Politik anwenden wird, die Serbien für den Kosovo anwendet. Doch auch damit sind Serbien – und offensichtlich die USA und Thaçi – nicht zufrieden.

Eine Twitter-Konversation vom 19. April zwischen Thaçi und Grenell gibt darüber gut Aufschluss. Thaçi kündigte darin an, dass er eine neue Regierung ermöglichen werde, und fügte hinzu: "Die Zölle und die Reziprozität müssen fallengelassen werden, um die Unterstützung der USA und der EU für den Kosovo zu verstärken." Die Twitter-Nachricht ist insofern irreführend, als die EU mit der Angelegenheit gar nichts zu tun hat und der Sturz der Regierung Kurti von Berlin und Paris überhaupt nicht gewollt war.

"Weiteres folgt in Kürze"

Grenell twitterte zurück: "Sobald die Zölle/Reziprozität fallengelassen werden, beginnt der Dialog ernsthaft. Ich habe mit den Führern in Serbien und im Kosovo gesprochen, um klarzustellen, dass sie beginnen müssen, heute Vertrauen als Vorbereitung herzustellen, und sie haben sich dazu verpflichtet. Weiteres folgt in Kürze."

Wen genau Grenell mit den "Führern" meinte, ist unklar – wahrscheinlich Vučić und Thaçi. Er hat offenbar nicht mitbedacht, dass die beiden europäischen Staaten keine Präsidialsysteme haben, sondern dass die Exekutivaufgaben bei den Regierungen liegen. Vučić hat die Macht in Serbien zwar an sich gezogen, im pluralistischeren Kosovo ist so ein Vorgehen seitens eines Präsidenten allerdings nicht so leicht möglich.

Respektlosigkeit gegenüber einem demokratischen Land

Die Twitter-Interventionen von Grenell verärgern viele Kosovaren. "Warum zeigen Sie Respektlosigkeit gegenüber einem freundlichen demokratischen Land und seiner Regierung? Führer der Demokratie werden durch Wahlen und die Unterstützung und Stimmen der Menschen definiert", schrieb etwa der Vizepremier Haki Abazi von der VV. Es gibt wohl kein Land auf der Welt, in dem so viele Menschen gegenüber den USA positiv eingestellt sind wie im Kosovo. Denn die USA unterstützten die Nato-Intervention, die dem Kosovo-Krieg und dem Apartheid-System ein Ende bereitete. Doch nun sind viele Kosovaren wegen der Trump'schen und Grenell'schen Brachialpolitik verstört.

Die Europäer wurden in dem undurchsichtigen Prozess zur Seite geschoben. Am 3. April wurde zwar der slowakische Diplomat Miroslav Lajčák für ein Jahr vom EU-Rat zum EU-Sonderbeauftragten für den Dialog zwischen Belgrad und Prishtina und andere regionale Fragen des westlichen Balkans ernannt. Doch während der Covid-Pandemie kann er kaum agieren. Dabei wäre die EU eigentlich zentral, denn ein eventueller "Deal" müsste von den Europäern finanziert und überwacht werden.

Pandemie nicht politisieren

Einige europäische Botschafter haben kürzlich in einer gemeinsamen Stellungnahme geäußert, dass die Pandemie im Kosovo nicht politisiert werden dürfe – was sie allerdings bereits seit vielen Wochen ist.

Die Demokraten in den USA sind indes ob der derzeitigen US-Politik gegenüber dem Kosovo mehr als besorgt. Der US-Kongressabgeordnete Eliot Engel, Vorsitzender des Komitees für internationale Beziehungen, und Senator Bob Menendez forderten in einem Schreiben an Außenminister Mike Pompeo, keine "plumpen" Taktiken mehr gegen die Regierung im Kosovo anzuwenden und den Druck zu verringern.

Forderung nach Konstruktivität

"Der Kosovo ist ein enger Verbündeter der Vereinigten Staaten, und wir fordern Sie dringend auf, mit seiner demokratisch gewählten Regierung einen geduldigen und konstruktiven Ansatz zu verfolgen", schrieben die beiden. (Adelheid Wölfl, 29.4.2020)