Die aktuelle politische Momentaufnahme zeigt die ÖVP unter Sebastian Kurz bei rund 45 Prozent.

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Die Corona-Krise beflügelt die Umfragewerte von Regierungsparteien in ganz Europa. Ganz besonders die Parteien der Regierungschefs haben seit Ausbruch der Pandemie in vielen Ländern deutlich zugelegt. Egal ob konservativ, liberal oder sozialdemokratisch, egal ob mehr oder weniger erfolgreich im Kampf gegen die Pandemie – quer durch den Kontinent profitieren führende Regierungsparteien in der Krise.

Österreich ist da keine Ausnahme. Zwischen Februar und April 2020 sind die ohnehin schon hohen Umfragewerte der Kanzlerpartei noch einmal um einige Prozentpunkte gestiegen. Derzeit liegt die ÖVP bei rund 45 Prozent.

Diese Daten wären für sich allein schon bemerkenswert. Schließlich ist das ein Wertebereich, in den seit über 15 Jahren keine Partei mehr vorgedrungen ist. Hinzu kommt aber noch, dass keine andere Partei derzeit auch nur annähernd an die Stärke der Volkspartei herankommt. Grüne und SPÖ liegen mit rund 18 Prozent in etwa gleichauf auf Rang zwei (ein historisches Tief für die SPÖ, ein historisches Hoch für die Grünen).

Die Grafik unten verdeutlicht, wie ungewöhnlich die politische Stimmungslage gegenwärtig ist. Normalerweise ist das österreichische Parteiensystem nämlich durchaus kompetitiv. In den letzten 25 Jahren lagen die beiden stärksten Parteien (abwechselnd SPÖ, ÖVP und FPÖ) meist nur einige Prozentpunkte auseinander. Geringfügige Abweichungen von dieser Tendenz waren die relative Dominanz der SPÖ Ende der 1990er und der Höhenflug der FPÖ infolge der Flüchtlingsbewegungen 2015. In den letzten zwölf Monaten allerdings hat die ÖVP ihren Vorsprung auf die Konkurrenz von acht auf über 26 (!) Prozentpunkte ausbauen können. In Summe haben SPÖ (Führungsdebatten, Wiedererstarken der Grünen) und FPÖ (Ibiza, Spesen) im vergangenen Jahr nicht weniger als 20 Prozentpunkte verloren.

Zwar lässt der Mangel an Umfragedaten vor 1990 keine hundertprozentig sicheren Schlüsse zu, doch ist es sehr wahrscheinlich, dass zu keinem Zeitpunkt in der Zweiten Republik je eine Partei so dominiert hat wie gegenwärtig die Volkspartei. Bei den Nationalratswahlen vor 1990 lagen zwischen stärkster und zweitstärkster Partei maximal neun Prozentpunkte.

Die derzeitige Dominanz der ÖVP ist also ziemlich sicher beispiellos seit 1945. Ist das österreichische Parteiensystem demnach in eine neue Ära eingetreten? Wohl eher nicht. Denn das Potenzial für mehr Wettbewerb im Parteiensystem ist so groß wie nie zuvor: Traditionelle Parteibindungen sind historisch schwach, Wechselwähler gibt es dafür immer mehr. Dementsprechend volatil kann die Sonntagsfrage sein. Die FPÖ etwa hat ihre Werte in den letzten zwölf Monaten halbiert, die Grünen ihre verdreifacht. Ganz zu schweigen davon, dass die politischen Folgen der Pandemie noch genauso wenig absehbar sind wie ihr Ende. (Laurenz Ennser-Jedenastik, 28.4.2020)