Gepunktete Plisseeröcke, Kleider mit Blumenprints, eine blaue Weste mit Marinekragen: Ladenhüter sehen anders aus. Trotzdem ist die Frühjahrskollektion von Arthur Arbesser Covid-19 zum Opfer gefallen. "Viele Shops haben ihre Bestellungen verkleinert, gecancelt oder Ware nur auf Kommission genommen", erklärt der Modedesigner am Telefon. Zum Glück könne er als kleiner Unternehmer flexibel reagieren. Seit Wochen arbeitet der Designer allein in seinem Studio in Mailand, das kleine Team ist in Kurzarbeit.

Arthur Arbesser müsste längst seine Winterkollektion produzieren – eigentlich. Doch wie soll das gehen, wenn die Fabriken geschlossen sind? Normalerweise bestelle er im März seine Stoffe, Ende April beginne man mit der Fertigung der Kollektion, erklärt der Designer. Bis jetzt sind die Stoffe nicht einmal produziert. Selbst große Player wie Gucci sind zum Warten verurteilt.

Nicht nur die geschlossenen Fabriken und Geschäfte sind an der Misere schuld. Wer interessiert sich schon für Mode, wenn das Einkommen nicht sicher ist, ja, wenn noch nicht einmal die Straße betreten werden darf? Selbst beim Onlineshopping ziehen die Konsumenten die Handbremse. Allzu schnell wird sich an dieser Zurückhaltung wenig ändern. Das weiß auch Markus Strasser vom Wiener Conceptstore Park, spezialisiert auf internationale Designermode von Dries van Noten bis Jacquemus. Der Shop wurde vor zwei Wochen wiedereröffnet, doch weil viele Kunden anlassbezogen einkauften, hätten sie wenig Gründe, in der Wiener Mondscheingasse vorbeizukommen: Bis Ende August sind in Österreich größere Veranstaltungen und Events gecancelt.

Lieferschwierigkeiten

Viele Designer haben bereits angekündigt, dass sie die Winterkollektionen nicht zum vereinbarten Zeitpunkt liefern können. "Für uns bedeutet das geringere Umsätze." Da unklar sei, wie sich das Kaufverhalten in den kommenden Monaten entwickeln werde, sei es vielleicht sogar besser, weniger Ware im Laden zu haben, glaubt der Einkäufer. Die Krise – ein Schock, nicht nur für die heimische Modeszene.

Das Virus hat die gesamte Branche, die Designer, Einkäufer, Stylisten, Textilarbeiter, schwer getroffen. Die Einzelhändler sitzen auf einem Berg unverkaufter Ware, der Rhythmus der Saisonen ist aus dem Takt. Seit Wochen fertigen Modehäuser wie Saint Laurent, Louis Vuitton, Balenciaga, Prada und Chanel Masken und Schutzbekleidung, Unternehmer wie Giorgio Armani oder Donatella Versace tun sich mit Großspenden für das italienische Gesundheitssystem hervor.

Statt der neuen Kollektion wird bei Louis Vuitton nun Schutzkleidung...
Foto: Louis VUitton

Immerhin hat die Modeindustrie nicht verlernt, die dramatische Situation in packende Bilder zu übersetzen: Die italienische Ausgabe der Vanity Fair hob eine Lungenfachärztin aus Bergamo in einem Arztkittel auf den Titel, die italienische Vogue druckte ihren Schriftzug im April auf ein reinweißes Cover.

... für Krankenhäuser genäht.
Foto: Louis Vuitton

Steigende Verluste

Die Ausmaße der Krise lassen sich bereits beziffern: Die Umsätze des Luxuskonzerns LVMH sind im ersten Quartal um 17 Prozent auf 10,6 Milliarden Euro gefallen, bei der Konkurrenz von Kering schlägt ein Minus von rund 16 Prozent zu Buch. Ausgerechnet das zuletzt stetig im Wachstum begriffene Label Gucci hat es besonders hart getroffen: 23 Prozent Verlust in den drei ersten Monaten des Jahres.

Um die Existenz könnte es bei vielen jungen, unabhängigen Modemachern gehen. "Verlieren wir eine ganze Generation an Designern?", fragte unlängst die New York Times. Tobias Bayer vom deutschen Branchenblatt Textilwirtschaft ist sich sicher, dass die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens nicht nur eine Frage der Größe ist: "Wer vorher in Schwierigkeiten steckte, dem gibt Covid-19 jetzt den Rest." Das könne einen kleinen, schwach kapitalisierten Zuliefererbetrieb betreffen, genauso aber auch einen Filialisten, der in der Vergangenheit zu aggressiv expandiert habe.

Die Modeindustrie ist im Angesicht der Krise demonstrativ zusammengerückt. In New York sammeln Vogue-Chefin Anna Wintour und Tom Ford, der neue Vorsitzende des Council of Fashion Designers of America, mit ihrer Initiative "A Common Thread" Geld für Designer in Not. Auch im vom Virus gebeutelten Mailand ist eine Solidarisierung der Szene zu beobachten. Der Austausch mit der Camera della Moda sei stärker, finanzielle Unternehmensverluste würden genau dokumentiert, mehrmals die Woche sei man per Video im Austausch, erzählt Arbesser.

Modeschauen abgeblasen

Die Rituale der Luxusmodeindustrie: fürs Erste abgeblasen. Die Männerschauen in Mailand und Paris sowie die Haute-Couture-Schauen finden nicht statt, die Männermodemesse Pitti in Florenz wurde in den Herbst verschoben. Fashion-Shows erscheinen plötzlich "bizarr und übertrieben", diagnostizierte Li Edelkoort, Trendforscherin der ersten Stunde, die Auswirkungen des Coronavirus. Gleichzeitig wird über neue Formate nachgedacht: Die London Fashion Week findet digital statt, das französische Modehaus Saint Laurent will künftig einen eigenen Rhythmus für Präsentationen finden.

Spot an: Im Februar zeigte das Modehaus Saint Laurent seine Herbstmode. Die nächste Show wurde bereits verschoben.
Foto: APA/AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

Droht das Ende der Fashion-Weeks? Tobias Bayer mag daran nicht glauben: Die Schauen seien zwar heute vor allem Marketingevents, doch gerade in ökonomisch schwierigen Zeiten, in denen der Staat als Retter einspringe, machten sie die Branche als Wirtschaftsfaktor sichtbar. Er vermutet hinter dem Infragestellen der gängigen Formate und Termine einen pragmatischen Reflex der Unternehmen. "Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich alles wieder zusammenfügt, sobald die Covid-19-Not ausgestanden ist."

Die Branche gibt sich neuerdings geläutert. "Wir werden uns an weniger Unterhaltung, weniger Produkte, weniger Newsletter und weniger Pop-ups gewöhnen" sagt Li Edelkoort. Designer Giorgio Armani klingt wie ein Nachhaltigkeitsjünger, wenn er in Interviews sagt: "Die Mode muss langsamer werden. Sie muss weniger, dafür Besseres hervorbringen." Arthur Arbesser kehrt zu den Anfängen zurück. Er will für die kommende Saison ein künstlerisches Lookbook und ein Video machen. Hauptsache, das Material kann problemlos verschickt werden – in alle Welt. (Anne Feldkamp, 28.4.2020)