Nach dem Shutdown können Mittelschulen nur noch mit Schutzmasken betreten werden.

Foto: APA/AFP/KENZO TRIBOUILLARD

In Frankreich ist eine gewisse Entspannung an der Corona-Front unverkennbar. Die Zahl der Todesopfer – 242 am letzten Zähltag – ist im Sinken. Doch die Zahlen bleiben horrend. Offiziell sind in Frankreich bisher 23.000 Menschen an Covid-19 gestorben. In Wahrheit dürften es mehr als 30.000 sein, wenn man nicht nur die Spitäler und Altersheime berücksichtigt, sondern auch die Todesfälle zu Hause. Doch sie rechnet die Regierung nicht mit.

Premierminister Edouard Philippe machte erstmals konkrete Angaben, wie er die nationale Ausgangsbeschränkung beenden will. Die Schulen öffnen gestaffelt ab dem 11. Mai. Mittelschüler müssen Schutzmasken tragen.

Die Rückkehr in die Grundschulen ist allerdings freiwillig. Ein weiser Beschluss: Zahllose Eltern haben schon erklärt, sie würden den schulischen Wiederbeginn schlicht missachten, da die Gesundheit ihrer Schützlinge Priorität habe.

Restaurants sperren im Juni auf

Die Wirtschaft soll ebenfalls sektorweise durchstarten. Der Einzelhandel macht den Auftakt. Bistros und Restaurants folgen frühestens im Juni. Wer kann, soll zu Hause arbeiten und gestaffelte Arbeitszeiten befolgen. Gewerkschaften protestieren gegen die ihrer Meinung nach "verfrühte" Wiederaufnahme der Aktivitäten. Philippe sagt es nicht so offen, doch ihm eilt es, nachdem die Arbeitslosigkeit diese Woche binnen eines einzigen Monats um sieben Prozent in die Höhe geschnellt ist – ein historischer Rekord.

Der Premier gab bekannt, dass im öffentlichen Verkehr Schutzmasken obligatorisch werden. Diese Ankündigung sorgt in Frankreich für sarkastische Kommentare. Noch im Vormonat hatte die Exekutive den Gesichtsmasken jeden Nutzen abgesprochen. Das sei wohl vor allem deshalb geschehen, weil Paris viel später als andere europäische Regierungen reagiert habe, schrieb die Zeitung "Libération" am Dienstag. "Die Regierung hat gelogen, um ihr Fiasko zu verbergen", fasste sie die vorherrschende Meinung in Frankreich zusammen. Laut einer neuen Umfrage schätzen 76 Prozent der Befragte, dass die Regierung den Beginn der Krise verschlafen habe.

Schlimmer noch: 64 Prozent haben kein Vertrauen, dass die Staatsführung die Krise in den Griff kriegen könnte. Im Visier ist vor allem Präsident Macron. Er beruft sich bei seinen Entscheiden gerne auf medizinische oder wissenschaftliche Instanzen – selbst wenn diese vor einem verfrühten Schulbeginn warnen –, übergeht aber die Parteien und Lokalpolitiker.

Stimmenthaltungen

Am Dienstag beraumte der Staatschef zwar noch für den Abend eine Parlamentsabstimmung zu Philippes Ankündigungen an. Sie war aber nur konsultativer Natur. Die Links- wie Rechtsopposition enthielt sich der Stimme, da sie gar keine Zeit hatte, die Beschlüsse zu prüfen. Auch die Zeitung "Le Monde" kommentierte, Macrons Vorgehen solle "eine vertiefte Diskussion verhindern".

Sozialistenchef Olivier Faure warf Macron vor, er wolle "das Land entriegeln, aber zugleich die Demokratie einschließen". Indem der Präsident auf jede Konzertierung verzichte und es an Transparenz mangeln lasse, verhalte er sich "weder seriös noch demokratisch".

Die Rechtspopulistin Marine Le Pen wirft der Exekutive gar "permanentes Lügen" bei der Beschaffung von Schutzmasken und Virustests vor. Wenn sie schulpflichtige Kinder hätte, würde sie sie keinesfalls in den Unterricht schicken.

Die sehr kurze Debatte in der Nationalversammlung, in der die wenigen zugelassenen Abgeordneten durch fünffachen Sesselabstand getrennt waren, führte nicht etwa zu einem patriotischen Schulterschluss, wie ihn Macron gewünscht hatte. Im Gegenteil vereinte er die gesamte Opposition gegen sich. Sein Wunsch, eine Regierung der "nationalen Einheit" zu bilden, rückt damit in weite Ferne. (Stefan Brändle aus Paris, 28.4.2020)