Vieles wird weiterhin nicht möglich sein und vieles wird nicht mehr so viel Spaß machen. Die Unbeschwertheit ist verlorengegangen, auch angesichts der eigenen Endlichkeit und Verletzlichkeit, die uns das Coronavirus bewusstgemacht hat. Mit der neuen Normalität müssen wir uns erst arrangieren. Angenehm wird das nicht. Die Regierung gibt dazu ein paar Parameter vor. Wir dürfen wieder hinaus, dürfen Freunde und Familie treffen, ganz offiziell, wir dürfen wieder in die Schule, ins Fitnesscenter, in Geschäfte und Lokale gehen. Wir dürfen uns ertüchtigen und vergnügen, mit Abstrichen.

Hätte die Regierung nur aus gesundheitspolitischen Überlegungen gehandelt, wäre der Lockdown nicht aufgehoben worden, dann hätte es weiterhin keine Gastronomie und keine Schulen gegeben – bis die Ansteckungsrate gegen null gegangen wäre. Wären nur wirtschaftliche Überlegungen ausschlaggebend, hätte es den Lockdown erst gar nicht gegeben, dann hätte man ein paar Tote mehr in Kauf genommen. Und schließlich stellen sich auch gesellschaftspolitische Fragen: Was ist den Menschen zumutbar, was halten sie gerade noch aus, was akzeptieren sie, was tragen sie mit? Was hält die Gesellschaft an Eingriffen in ihre Rechte aus?

Hätte die Regierung nur aus gesundheitspolitischen Überlegungen gehandelt, wäre der Lockdown nicht aufgehoben worden.
Foto: APA/ROBERT JÄGER

In diesem Spannungsfeld hat die Regierung versucht, Entscheidungen zu treffen. Im Großen hat das gut funktioniert, in vielen Details wurde gepatzt. Die Bewältigung der wirtschaftlichen Katastrophe liegt freilich noch vor uns. Aus gesundheitspolitischer Sicht sind wir aber gut durch diese Krise gekommen. Das System ist nicht gekippt, die Zahl der Infektionen sinkt, die Zahl der Toten ist schmerzlich, aber überblickbar. Wir haben Corona im Griff. Umgekehrt muss man auch sagen: Corona hat uns im Griff.

Regeln

Die Eingriffe des Staates in unser Leben und unsere Freiheit sind für viele hart, sogar ärgerlich, jetzt werden sie gelockert. Vorschriften gibt es, und wir werden gut beraten sein, sie als Regeln zu verstehen, wie wir gut miteinander umgehen können, nicht als Schikanen. Da vertragen ein paar übereifrige Beamte sicherlich noch eine Schulung, da können Politiker an ihrer Kommunikation und an ihrer Einstellung feilen: Sie arbeiten in unserem Auftrag und unserem Interesse, da darf sich keine Anmaßung und keine Herablassung einschleichen. Die Politik hat Regeln zu gestalten, wie wir aus dieser Krise bestmöglich herauskommen – ohne unsere Gesundheit zu gefährden, die Wirtschaft zu zerstören oder die Gesellschaft als Gefüge zu beschädigen.

Letztendlich kommt es aber auf unsere Eigenverantwortung an, das ist ein Appell an die Intelligenz und das Verantwortungsbewusstsein jedes Einzelnen. Man braucht nicht alles hinzunehmen, aber auch nicht alles infrage zu stellen. Jeder halbwegs wache Mensch weiß, was zu tun ist, und jene, die aus welchen Gründen auch immer gerade nicht so wach sind, muss unsere Gesellschaft mitnehmen.

Vielleicht sind wir am Ende dieser Krise schlauer und stärker, haben über Solidarität und Gerechtigkeit wenigstens nachgedacht. Mündige Bürger sollten sich in ihrer Selbstbestimmtheit gefordert fühlen, auch wenn sie in der Bedrohung zusammengerückt sind und individuelle Ansprüche hintangestellt haben. Jetzt erkämpfen wir uns die Freiheit zurück, mit lächerlich wirkenden Masken und einer guten Armlänge Abstand – was sinnbildlich für den Respekt vor dem anderen stehen könnte. (Michael Völker, 28.4.2020)