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Die Arbeit der noch jungen Regierung von Premier Igor Matovič (Mitte) steht weitgehend im Zeichen der Corona-Krise

Foto: Reuters / Radovan Stoklasa

Igor Matovič hat sich die Machtübernahme wohl anders vorgestellt. Als seine Partei Oľano – die Abkürzung steht für Gewöhnliche Menschen und unabhängige Persönlichkeiten – vor genau zwei Monaten die Parlamentswahl in der Slowakei mit 25 Prozent haushoch gewann, da zählte Europa gerade seine ersten Corona-Toten. Im Schatten der Krise war Eile geboten: Innerhalb von drei Wochen zimmerte Überraschungssieger Matovič eine Koalition mit der neoliberalen Freiheit und Solidarität (SaS), den Rechtspopulisten von Wir sind Familie (Sme rodina) und der kleinen liberalen Partei Für die Menschen (Za ľudí).

Die Bilder von der Angelobung am 21. März zeugen bereits von der monothematisch scheinenden Welt in Zeiten von Corona: Auf dem Gruppenfoto tragen alle Kabinettsmitglieder Mundschutz, die behandschuhten Finger trotzig zum Victory-Zeichen gespreizt. Dabei war es nicht ein Virus, dem der nunmehrige Premier Matovič vor der Wahl den Kampf angesagt hatte, sondern die im Land grassierende Korruption.

Massenproteste nach Mord

Das Thema hat in der Slowakei seit den frühen 1990ern Konjunktur. Die Ermordung des jungen Enthüllungsjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová im Februar 2018 brachte das Fass zum Überlaufen. Am Mittwoch soll der Prozess gegen die mutmaßlichen Drahtzieher fortgesetzt werden, die politisch bestens vernetzt waren. Doch eine spontane Bürgerbewegung organisierte bereits kurz nach dem Mord Massenkundgebungen gegen die damalige Regierung unter Führung der linkspopulistischen Partei Smer.

Dass bei der Wahl im Februar 2020 die Stunde von Igor Matovič schlug, hat dieser auch seinem lautstarken Antikorruptionsaktivismus zu verdanken. In der Corona-Krise aber musste er schnell neue Prioritäten setzen. Lässt man die Zahlen sprechen, so ist ihm dabei Erfolg beschieden: 1384 Infizierte und 20 Tote verzeichnete die Slowakei laut Johns Hopkins Universität am Dienstagnachmittag. In Österreich – mit weniger als doppelt so vielen Einwohnern – waren es zu diesem Zeitpunkt 15.357 Infizierte und 569 Tote. Zwar wurde hierzulande dreimal so viel getestet wie in der Slowakei, die positiven Zahlen dort sind aber weitgehend unbestritten.

Umstrittene Zwangsquarantäne

Zu verdanken sind sie wohl auch der Vorgängerregierung, die rasch Maßnahmen gesetzt hat, um die Verbreitung des Virus einzudämmen. Allerdings genießt auch Matovič, der den harten Kurs fortsetzt, Traumquoten in den Umfragen. Damit einher geht jedoch die oft aggressive Rhetorik des als streitsüchtig bekannten Premiers, der Kritiker zuletzt als "Klugscheißer" bezeichnete. Zudem setzte die Regierung unter anderem auf die Abriegelung mehrerer Roma-Siedlungen, die nach wenigen Infektionen unter Zwangsquarantäne gestellt wurden.

Die These: In den Siedlungen, wo Menschen oft auf engem Raum unter schlechten hygienischen Bedingungen zusammenleben, könne sich das Virus besonders leicht ausbreiten. Das Gegenargument: Nicht nur Infizierte unter Quarantäne zu stellen, sondern ganze Gemeinden sei gerade unter diesen Bedingungen fahrlässig. Auf Kritik stieß auch das martialische Gebaren – die Abriegelung wurde zum Teil mithilfe der Armee bewerkstelligt – sowie die Sprache des Premiers, der vor Infektionen durch Roma warnte, wenn diese aus ihren Siedlungen "herauskriechen" würden.

Verhasste Smer

Doch selbst liberale Regierungskritiker sehen nun kaum Alternativen zu Matovič. Progressive und liberale Parteien sind bei der Wahl im Februar entweder gescheitert oder blieben so schwach, dass sie kaum eine Rolle spielen. Und so gilt derzeit, dass die meisten ihrer Sympathisanten vor allem eines verhindern wollen: ein Wiedererstarken der verhassten Smer, die im Corona-Chaos in den Umfragen gerade wieder zulegt. (Gerald Schubert, 28.4.2020)