Wien – Die bis ins Jahr 2007 zurückreichende Planungsgeschichte der Marchfeld Schnellstraße (S8) vom Regionenring an der Wiener Stadtgrenze bis zur Anschlussstelle Gänserndorf ist um einen Winkelzug reicher. Angesichts schlechter Karten im naturschutzrechtlichen Zweig des beim Bundesverwaltungsgericht bekämpften Bescheids der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) hat das Land Niederösterreich Anfang April das faktische Vogelschutzgebiet zwischen der Nordbahn und der geplanten S8 anerkannt und zum ausgewiesenen Schutzgebiet erklärt.

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Ein Federvieh, das die Verkehrspolitiker narrt: der vom Aussterben bedrohte Triel.
Foto: Picturedesk.com / R. Kaufung

Damit hat sich der auf Schotterbänken brütende, in Mitteleuropa vom Aussterben bedrohte Vogel Triel durchgesetzt. Das Federvieh hat diesen Schritt mit seinem Brutverhalten außerhalb der ihm zugestandenen Flächen erzwungen. Ob mittels dieser Umwidmung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie genüge getan ist, darüber muss erst der Richtersenat unter Vorsitz von Richter Thomas Büchele befinden. Guten Willen zeigten die Verwaltungsrichter: Sie haben das Beweisverfahren wieder aufgemacht, weil "von einer Entscheidungsreife" nicht mehr "ausgegangen werden" könne.

Zur Rettung der S8

Damit versucht die Landesregierung in St. Pölten einmal mehr, ihre 2007 mit Verkehrsminister Werner Faymann (SPÖ) ausgedealte S8-Variante zu retten. Sie war mit geschätzten 610 Millionen Euro deutlich teurer und länger als die von der Asfinag seinerzeit favorisierte Südtrasse vom Knoten Raasdorf entlang der ÖBB-Bahnlinie "Marchegger Ast" nach Marchegg (und irgendwann bis nach Bratislava). Aktuell sind 310 Millionen Euro veranschlagt, diesfalls freilich nur für den 14,4 Kilometer langen Westteil der S8.

Dieser Schritt sei "einzig der zunehmenden Verfahrensnot geschuldet", attestiert Wolfgang Rehm von der Umweltorganisation Virus, die gegen die S8 im Konzert mit zahlreichen Marchfelder Bürgerinitiativen ankämpft. Ob der Schachzug den Antragsteller Asfinag und die dahinterstehende treibende Kraft Land Niederösterreich ans Ziel bringt, bleibt der Prüfung durch das Gericht vorbehalten. Die Verwaltungsrichter müssten eine Ausnahmegenehmigung für den Bau erteilen, was der Gesetzgeber allerdings nur in engen Grenzen erlaubt.

Flexibel in der Haltung

Auszuschließen ist in der Causa inzwischen kaum mehr eine Wendung. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Februar hatte der Leiter der Naturschutzabteilung des Landes Niederösterreich, Martin Tschulik, noch betont, dass "keinerlei Notwendigkeit" bestehe, das Triel-Gebiet auszuweiten. Es sei 2006 korrekt ausgewiesen worden und die 2010 vom Naturschutz-Sachverständigen Georg Bieringer erarbeiteten Zielvorgaben für das Schutzgebiet hätten "keinerlei unmittelbare Relevanz auf einen verpflichtend anzustrebenden Zielzustand."

Inzwischen ist Bieringer zum Gerichtssachverständigen avanciert und seine Kritik am Schutzgebiet ("ungenügend", "fachlich nicht korrekt", "schlechter Erhaltungszustand") führte dazu, dass der von Verkehrsministerium und Asfinag beigezogene Sachverständige seine Unbedenklichkeitsbescheinigung für das S8-Verfahren kurzerhand zurückzog – DER STANDARD berichtete.

Links und rechts der Autobahn

Vögel wie Triel und Brachpieper, die sich partout nicht an die Grenzen des Vogelschutzgebietes "Sandboden und Praterterrasse" halten wollten, gewinnen mit der Erweiterung des Schutzgebietes auf den Nordosten der Autobahn freilich nicht viel. Denn die vom Bund finanzierte, als riesige Ortsumfahrung konzipierte S8 führt dann mitten durch dieses erweiterte Schutzgebiet, welches sohin direkt durchlärmt wird – und nicht nur wie bisher am Rand.

Gut möglich ist allerdings, das das Verfahren noch weitergeht. Denn das Bundesverwaltungsgericht könnte den in einigen Punkten mangelhaft erscheinenden UVP-Bescheid auch an die erste Instanz zurückverweisen. Dann wäre wieder das Verkehrsministerium zuständig, diesfalls unter grüner Führung von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler, was politisch brisant wäre. (Luise Ungerboeck, 28.4.2020)