Teile des Hauptgebäudes der Uni Wien lagen vor 75 Jahren in Schutt und Asche. Mehr als 20 Bombentreffer hatten das Haus am Ring beschädigt, so etwa auch dessen Philosophenstiege

Archiv der Universität Wien

Nach dem Ende der NS-Herrschaft ging alles sehr schnell: Keine drei Wochen nach dem Ende der Kämpfe um Wien wurde am 2. Mai 1945 der Betrieb an Österreichs größter Universität offiziell wieder aufgenommen, die Vorlesungen begannen am 29. Mai. Wichtige Weichen für die Zukunft der Uni Wien waren freilich bereits in den Wochen zuvor gestellt worden.

Die Schlacht um Wien zwischen der Roten Armee und der Deutschen Wehrmacht dauerte im Stadtgebiet bis zum 13. April 1945. An der Uni Wien ereigneten sich in diesen Tagen zumindest zwei Heldengeschichten, von denen eine tragisch endete: Am 5. April versuchten die beiden Uni-Assistenten Kurt Horeischy und Hans Vollmar am Chemie-Institut in der Währinger Straße 42 die von Rektor Viktor Christian angeordnete Zerstörung des Elektronenmikroskops zu verhindern. Die beiden Widerstandskämpfer wurden deshalb vom regimetreuen Chemieprofessor Jörn Lange erschossen.

Zwei Heldengeschichten

Rund eine Woche später hatten zwei andere junge Helden – der 20-jährige Chemiestudent Hans Tuppy und der eben erst promovierte Altorientalist Kurt Schubert – mehr Glück. Noch bevor die Stadt von der Roten Armee befreit wurde, schufen die beiden jungen Männer auf abenteuerliche Weise die Voraussetzungen zur Wiedereröffnung der Universität. Einige symbolträchtige Umstände dieses Ereignisses hätte man nicht besser erfinden können, um vorwegzunehmen, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg zu keiner Stunde null und zu keinem echten Neubeginn kam.

Das lag am allerwenigsten an Tuppy und dem 22-jährigen Schubert, der übrigens bei Viktor Christian promoviert hatte. Die beiden Männer aus dem Umkreis der Widerstandsbewegung O5 holten sich von den Offizieren der Roten Armee die notwendige Legitimation, um das Hauptgebäude der Uni Wien am Ring betreten zu dürfen, das durch mehr als 20 Bombentreffer schwer beschädigt war. Ziel war es, mit einem neuen Stempel, der für die Sowjets besonders formales Gewicht hatte, die Uni wieder eröffnen zu dürfen.

Ein symbolträchtiger Stempel

Schubert holte deshalb aus einem Schreibtisch im verwaisten Büro des Rektors den Stempel der Universität und schnitt, unterstützt von einem russischen Offizier, das Wappen mit dem Reichsadler der Nationalsozialisten heraus. Die Leerstelle wurde behelfsmäßig durch einen doppelköpfigen Adler ersetzt, der wiederum aus einem alten Dekanatsstempel aus der Zeit des Ständestaates geschnitten wurde. Damit hatte die Alma Mater Rudolphina wieder einen offiziellen Stempel. Der Wiedereröffnung der Universität stand nun nichts mehr im Wege.

Doch nicht nur die Zusammensetzung dieses Stempels nahm symbolisch vorweg, was in den nächsten Jahren folgen sollte. Auch die eigentliche Wiedereröffnung am 15. April fand unter symbolträchtigen Umständen statt. Diese Zeremonie wurde nicht im beschädigten Hauptgebäude abgehalten, sondern im Institut für Ägyptologie in der Frankgasse 1 neben der Votivkirche. Schubert, später Ordinarius für Judaistik an der Universität Wien, lud zu einer Professorenversammlung, der sechs Professoren Folge leisten konnten, und wurde durch Händedruck als "Interimsrektor" für drei Tage bestellt.

Noch heute erinnert eine Gedenktafel am Haus Frankgasse 1 an dieses Ereignis. Was die Tafel allerdings verschweigt: Das Institut für Ägyptologie, das bis 2014 in diesem Haus untergebracht war, übersiedelte erst nach dem "Anschluss" an diese Adresse – und zwar in eine Wohnung, die bis 1938 dem von den Nazis vertriebenen Maler Armin Horowitz gehört hatte. Die Wiedereröffnung der Universität Wien 1945 fand also auf indirekt arisiertem Institutsboden statt.

Eine politisch belastete Wahl

An diesem 15. April begannen im Hauptgebäude die Aufräumungsarbeiten, bei denen die Studierenden tatkräftig anpackten. Neben der Infrastruktur war aber auch das Personal politisch "beschädigt": Noch 1944 waren nicht weniger als 92 von insgesamt 124 Professoren Mitglieder oder Anwärter der NSDAP gewesen. Dennoch berief man bereits am 25. April 1945, zwei Tage vor der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung Österreichs, eine allgemeine Professorenversammlung ein, um die neue Führungsriege der Universität zu wählen.

Bereits am 15. April 1945 wurde im schwer beschädigten Hauptgebäude der Universität mit den Aufräumarbeiten begonnen.
Foto: Archiv der Universität Wien

Ausgeschlossen wurden davon nur jene Professoren, die Funktionäre der NSDAP oder Angehörige der SA oder SS gewesen waren. Diese zu einem erheblichen Teil "belasteten" Professoren wählten den Verfassungsjuristen Ludwig Adamovich zum ersten Rektor und den Pädagogen und Altphilologen Richard Meister zum Prorektor. Als erste Dekane wurden Leopold Arzt (medizinische Fakultät), Wilhelm Czermak (philosophische Fakultät) Ferdinand Degenfeld-Schonburg (rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät) bestellt.

Bedenkliche Vorgeschichten

All diese Personen hatten ihre Vorgeschichte: Adamovich war 1935 maßgeblich an der Formulierung des austrofaschistischen Hochschulerziehungsgesetzes beteiligt, und danach war er letzter Justizminister unter Schuschnigg. So wie er waren auch Leopold Arzt (Rektor 1936/37 und ein persönlicher Freund von Dollfuß) sowie Degenfeld-Schonburg aufgrund ihrer ständestaatlichen Regimetreue nach dem "Anschluss" aus politischen Gründen entlassen worden.

Was damals vermutlich etliche der abstimmenden Professoren wussten, nicht aber die Öffentlichkeit und schon gar nicht die Alliierten: Meister und Czermak waren vor 1938 in der geheimen antisemitischen Professorenclique Bärenhöhle tätig gewesen, Czermak und Arzt zudem im antisemitischen Geheimbund Deutsche Gemeinschaft, in dem Christlichsoziale und Deutschnationale bis 1930 Postenschacher in großem Stile betrieben hatten.

Die Politik wurden mit der Wahl vor vollendete Tatsachen gestellt – insbesondere die US-Alliierten, die ursprünglich radikalere Pläne zur demokratischen Erneuerung Österreich hatten: Der Elitenaustausch hätte eigentlich auch die Funktionäre der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur umfassen sollen. Doch das wurde von den neuen Funktionsträgern in der Uni und im Unterrichtsministerium ebenso unterlaufen wie alle Initiativen der Alliierten für eine Remigration vor allem jüdischer und linken Wissenschafter, die 1938 aus Wien geflüchtet waren.

Tiefpunkt der Entwicklung

Diese Rückholung scheiterte aber nicht nur an den alten antisemitischen Netzwerken, die mehr oder weniger erfolgreich reaktiviert wurden. Natürlich kam auch die politische Unsicherheit und der beginnende "Kalte Krieg" dazu, sowie die ökonomische Situation, die nach 1945 insbesondere für die Hochschulen katastrophal war: Ihr Budgetanteil, der 1930 noch 1,27 Prozent betragen hatte und vor dem "Anschluss" 1 Prozent, sank 1950 auf 0,75 Prozent,.

Damit war nicht nur finanziell der absolute Tiefpunkt erreicht. Entsprechend sah es beim Unipersonal aus, wo in den Nachkriegsjahren Tiefstwerte erreicht wurden: Hatte etwa die medizinische Fakultät, einst der wissenschaftliche Stolz der Uni Wien, im Jahr 1927 noch 75 Professoren und 264 Dozenten, waren es 1949 nur noch 23 Professoren und 93 Dozenten. Die Personalzahlen der 1920er-Jahre wurden erst wieder in den 1970er-Jahren erreicht – von der Qualität der Lehrkräfte einmal ganz zu schweigen.

Grafik: Klaus Taschwer

"Kläglicher Klerikalismus"

Immerhin wurde die Entnazifizierung zumindest in den ersten Jahren recht strikt durchgezogen. Das lang nicht zuletzt daran, dass mit Otto Skrbensky jener streng katholische Ministerialbeamte, der bereits ab 1934 die politische Säuberungen der Hochschulen von Nazis und Linken zuständig gewesen war und etwa auch die Relegation des damaligen Jus-Studenten Bruno Kreisky verantwortete, 1945 als allmächtiger Sektionschef für die Hochschulen eingesetzt wurde.

An den Hochschulen machte sich in den Jahren nach 1945 mithin eine "erstickende provinziellen Restauration" breit, wie sich der Sozialphilosoph Ernst Topitsch im Rückblick erinnerte: "Und ein kläglicher Klerikalismus verbreitete in den Hallen der Alma Mater eine fast mit Händen zu greifende Atmosphäre intellektueller Unredlichkeit, ohne auf entschiedenen Widerstand zu stoßen." Topitsch, eher kein Linker, verließ die Uni Wien 1962, um eine Professur in Heidelberg anzutreten. (Klaus Taschwer, 1.5.2020)