"Wir haben alles gesehen", werden wir dereinst sagen, wenn wir im Schaukelstuhl am Kamin sitzen und unsere Kinder und Kindeskinder aufmerksam den Geschichten aus der Corona-Zeit lauschen. Ja, wahrhaft unglaubliche Bilder waren es, die sich vor manchen Webcams abspielten: Wir haben die Kollegen in Jogginghose oder im Pyjama gesehen, unfrisiert, unrasiert oder im verblichenen Drei-Euro-T-Shirt, das auch aus dem Ibiza-Video stammen könnte.

Und was man einmal gesehen hat, kann bekanntlich schwer "unseen", also ungesehen, gemacht werden. Nein, es gab kein Zurück mehr. So schritten wir nach der Krise in Sneakers und ohne Krawatte zurück in die Büros. So oder so ähnlich könnte die Erzählung lauten. Wie so vieles könnte es rückblickend absurd anmuten, wie sich manche Branchen mit ihren Kleidungsvorschriften gegen die Existenz von Jahreszeiten stemmen.

Klimaanlagen machen drinnen kühl und draußen warm.
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Während im Juli draußen der Asphalt davonschwimmt, kühlen sie ihre Bürotürme so weit herunter, dass den Pinguinen im Inneren nicht zu heiß wird. Steht ein Geschäftstermin außer Haus an, müssen natürlich auch Taxis und Dienstwagen gekühlt werden – schließlich darf die Kühlkette nicht unterbrochen werden.

Zu heiß für sie in dieser Stadt

Dabei werden die Klimawandelanlagen immer mehr zum Problem. Mitte des Jahrhunderts werden wir mehr Energie für die Kühlung von Gebäuden verwenden als zum Heizen. Energie, die nicht immer aus erneuerbaren Quellen kommt und deshalb das Klima anheizt.

Um die Hitze der Klimaanlagen zu spüren, müssen wir allerdings nicht warten, bis das Zwei-Grad-Ziel überschritten ist. Denn selbst die beste Aircon kann die Gesetze der Thermodynamik nicht austricksen: Kälte "erzeugt" man, indem man Hitze woanders hinschiebt – deshalb ist es hinter dem Kühlschrank warm.

Die Kühlschrankrückwände der Bürogebäude sind eben die Straßen. Das trägt dazu bei, dass sich Urban Heat Islands bilden – städtische Hitzeinseln, die um bis zu zwölf Grad wärmer sind als das Umland. Was natürlich dazu verleitet, die Klimaanlagen noch stärker aufzudrehen.

Die Politik machte es vor: Der japanische Premierminister Shinzo Abe (Mitte) und zwei seiner Minister bei einem Meeting im Jahr 2017.
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Cool, aber professionell

Auch Japan brauchte eine Krise, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Als nach Fukushima der Strom knapp war, verstärkte die Regierung ihre Aktion "Cool Biz". Die Klimaanlagen wurden gedrosselt, Beamte durften dafür in legerer Kleidung erscheinen. Große Unternehmen schlossen sich an. Sogar Vorschläge, wie man trotzdem professionell auftritt, veröffentlichte die Regierung und kam der Angst zuvor, dass sich der Bankberater im Hawaiihemd mit dem Geld in die Karibik absetzt.

Einer im renommierten Fachjournal "Nature Climate Change" veröffentlichten Studie zufolge ist die Temperatur in Büros außerdem auf einen 40-jährigen Mann um die 70 Kilo eingestellt. Frauen, die einen anderen Metabolismus haben und – weil gesellschaftlich akzeptiert – im Sommer oft leichter bekleidet sind, frösteln bei den Temperaturen oft. Ein bisschen mehr heiße Luft würde auch ihnen guttun. (Philip Pramer, 4.5.2020)