Im Gastkommentar stellt Arbeitsmarktexpertin Judith Pühringer fest, dass der Arbeitsmarkt der Zukunft weit mehr als kosmetische Veränderungen brauchen wird. Dazu sei eine mutige Arbeitsmarktpolitik nötig.

Yasmin hat nach dem Corona-Lockdown ihre Arbeit verloren in dem kleinen Geschäft, in dem sie neben der Selbstständigkeit dazuverdient. Ihr Mann Richard ist Musiker, alle Konzerte sind abgesagt. "Ich versuch nicht zu viel an die finanzielle Situation zu denken", sagt er, "aber da tut sich schon ein sehr großes Loch auf."

Peter und Sabine haben eine medizinisch-technische Praxis aufgebaut: "Wir haben im März die Hälfte von dem umgesetzt, was wir an Fixkosten haben. Der Härtefallfonds fällt für uns aus, weil unsere Branche kein Berufsausübungsverbot hatte." Murat, der Koch meines Stammlokals, erzählt: "Ich wurde in der Sekunde gekündigt." Wie es weitergeht, weiß er nicht.

Die Corona-Krise hat den österreichischen Arbeitsmarkt hart getroffen. Allein am 15. und am 16. März, also jenem Tag, an dem der Shutdown in Kraft trat, wurden jeweils mehr als 35.000 Arbeitsverhältnisse beendet. Aber auch viele Selbstständige teilen in diesen Tagen das Schicksal "arbeitslos".
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Der Tag der Arbeitslosen im Corona-Jahr 2020 ist ein Tag der Arbeitslosen wie keiner zuvor. Mehr als eine halbe Million Menschen sind beim AMS arbeitslos gemeldet, der Anstieg der Arbeitslosigkeit beträgt 65,7 Prozent. Weitere 1,1 Millionen Menschen wurden in Kurzarbeit geschickt.

Arbeitslosigkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Da war sie in Wirklichkeit schon die ganze Zeit, nur war uns das bisher nicht immer bewusst. Die Bedrohung, die von Arbeitslosigkeit ausgeht, die Angst davor, die eigene Existenz nicht sichern zu können, die Perspektivlosigkeit, die damit einhergeht, ist für alle real. In dieser Bedrohung finden sich arbeitslose Menschen und Ein-Personen-Unternehmen gerade in einem Boot. Es gibt in Österreich 315.900 solcher Unternehmen. Das sind 60 Prozent aller Unternehmen insgesamt, die von der Corona-Krise hart getroffen sind.

Grundsicherung schaffen

Die vielen Menschen, die jetzt arbeitslos geworden sind, treffen auf die, die es schon vor der Krise waren. Die große Befürchtung ist, dass auch die Langzeitarbeitslosigkeit weiter steigen wird, das Wifo bestätigt das in ersten Analysen. Die Langzeitarbeitslosigkeit hat sich seit der Krise 2008 verdreifacht und das hohe Niveau nicht wieder verlassen. Ein nachhaltig wirksames Mittel dagegen fehlt. 76 Prozent (!) aller langzeitarbeitslosen Menschen und deren Kinder in Österreich sind armuts- und ausgrenzungsgefährdet.

Der Arbeitsmarkt der Zukunft wird weit mehr als kosmetische Veränderungen brauchen. Alle sozialen Sicherungssysteme müssen so gestaltet werden, dass niemand im Stich gelassen wird, egal ob selbstständig oder unselbstständig beschäftigt. Das kann kurzfristig durch eine zeitlich befristete Erhöhung des Arbeitslosengeldes gelingen oder durch die schon jetzt beschlossene Aufstockung der Notstandshilfe. Es braucht genau jetzt aber viel mehr: eine Grundsicherung, die – existenzsichernd und armutsfest – diesen Namen auch verdient, die Menschen nicht zu Bittstellerinnen macht, sondern Menschen soziale Rechte einräumt.

Es gibt ein Menschenrecht auf soziale Sicherheit und ein Menschenrecht auf Arbeit – jede Verletzung dieser Rechte ist also eine Menschenrechtsverletzung.

Bessere Arbeitsbedingungen

Die Corona-Krise führt uns eindrucksvoll vor Augen, wer die Leistungsträgerinnen in unserer Gesellschaft sind und was das über unser Verständnis von (Erwerbs-)Arbeit sagt. Es sind überproportional viele Frauen, die in den systemrelevanten Berufen im Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich arbeiten und schlechter bezahlt, schlechter abgesichert sind und zusätzlich den Hauptteil der Sorgearbeit leisten.

Es sind die 24-Stunden-Betreuerinnen, Frauen, die in der Familie pflegen und Kinder betreuen, jetzt gerade jonglierend mit Homeoffice, und viele auch komplett allein. Sie brauchen mehr als Dank. Sie brauchen bessere Arbeitsbedingungen, bessere Bezahlung und bessere Absicherung. Besonders die Sorgearbeit muss neu bewertet, verteilt, anerkannt und abgesichert werden.

Mutige Arbeitsmarktpolitik

Eine mutige Arbeitsmarktpolitik verlässt sich nicht auf die Ergebnisse von Algorithmen, um die Politik im Sinne der Menschen zu gestalten. Eine mutige Arbeitsmarktpolitik teilt Menschen nicht nach ihren Arbeitsmarktchancen ein und verteilt Gelder nach Effizienzüberlegungen auf die, die ohnehin die besseren Chancen haben. Es braucht diese mutige Arbeitsmarktpolitik. Und dazu eine Konjunkturpolitik und eine Beschäftigungsoffensive, die Arbeitsplätze schafft, die dem Gemeinwohl dienen: im Bereich der Green Jobs, der Kreislaufwirtschaft und in der Pflege.

Dieser Tag der Arbeitslosen ist Yasmin, Richard, Peter, Sabine und Murat gewidmet und denjenigen, die gerade arbeitslos sind oder sich berechtigte Sorgen um ihre Existenz machen. Der Grat zwischen gesicherter Existenz und Existenzbedrohung ist sehr schmal geworden – für Angestellte, Selbstständige und arbeitslose Menschen gleichermaßen.

Dieser Tag der Arbeitslosen mitten in der Krise muss der Wendepunkt sein hin zu einer Politik, die Menschen existenziell und auf Basis ihrer Rechte absichert, Arbeit neu bewertet und Arbeitsplätze schafft, die uns als Gesellschaft zugutekommen. (Judith Pühringer, 30.4.2020)