Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner freut es, dass Systemerhalter jetzt mehr Wertschätzung erfahren. Die Bezahlung sei aber Sache der Sozialpartner.

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Zuletzt musste das Gesundheitsministerium einräumen, dass private Treffen nicht verboten sind. Das Interview mit Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ist dienstlich und findet dennoch telefonisch statt.

STANDARD: War Ihnen bewusst, dass private Treffen die ganze Zeit erlaubt waren?

Mikl-Leitner: Ja, aber natürlich mit dem Hinweis, dass man derartige Treffen tunlichst vermeiden soll.

STANDARD: Bei vielen Leuten ist das anders angekommen. Ist da etwas schiefgegangen in der Kommunikation der Regierung?

Mikl-Leitner: Vereinzelt wäre mehr Klarheit wünschenswert, das ist schon richtig. Wenn man aber nach Spanien, Italien oder Frankreich schaut, scheint mir die Grundausrichtung der Bundesregierung nicht überzogen gewesen zu sein.

STANDARD: Innenminister Karl Nehammer wollte bei der Rückverfolgung der Infektionsketten Polizisten einsetzen. Sie haben das abgelehnt. Hat es da geknatscht in der Kommunikation zwischen Bund und Land?

Mikl-Leitner: Wir haben dieses Angebot vorerst ausgeschlagen, weil wir schon seit Beginn der Krise auf Contact-Tracing setzen und das über unsere Bezirkshauptmannschaften äußerst professionell abgewickelt wird.

STANDARD: Ihr Vorarlberger Amtskollege Markus Wallner findet, man müsste nach der Krise das Regierungsprogramm neu verhandeln. Sehen Sie das auch so?

Mikl-Leitner: Wir haben eine gute Arbeitsgrundlage, daran halten wir auch fest. Ich gehe aber davon aus, dass es auf europäischer, Bundes- und Landesebene auch konjunkturelle Maßnahmen brauchen wird, die über das bisherige Arbeitsprogramm hinausgehen.

STANDARD: Die ökosoziale Steuerreform soll wie vereinbart kommen?

Mikl-Leitner: Gerade jetzt brauchen die Menschen deutliche Entlastungen durch eine Steuerreform, so wie das auch vereinbart worden ist, ja.

STANDARD: Die Opposition will die wöchentliche Veröffentlichung von Arbeitslosenzahlen, wäre das nicht klug?

Mikl-Leitner: Was die Transparenz dieser Zahlen betrifft, bin ich offen. Jeder sollte sich beim AMS erkundigen können. Ich sehe da kein grundsätzliches Problem.

STANDARD: Bei der Wahl der Landarbeiterkammer haben sich FCG und FSG ein Ergebnis ausgemacht. Formal in Ordnung, aber ist das einer Demokratie würdig?

Mikl-Leitner: Das war eine Entscheidung der beiden Fraktionen. Keine andere Partei wollte überhaupt kandidieren – die beiden haben eine gemeinsame Liste gebildet.

STANDARD: Demokratisch klingt das nicht.

Mikl-Leitner: Die gesetzliche Änderung dafür wurde im Covid-Paket beschlossen, dem vier von fünf Parteien zugestimmt haben. Wäre die Wahl trotz der Pandemie abgehalten worden, hätte das, weil nur eine Liste angetreten ist, am Ergebnis nichts geändert – aber an der Optik, da gebe ich Ihnen schon recht.

STANDARD: Auch Niederösterreich bemüht sich um 24-Stunden-Pflegerinnen aus dem Ausland. Hat man ihnen vor Corona genug Wertschätzung entgegengebracht?

Mikl-Leitner: Wir sind mit dem gesamten Pflegepersonal sehr gut durch die Krise gekommen. Und allen gebührt dafür unser Dank. Diese 24-Stunden-Kräfte sind wichtig für einen kleinen Teil der Familien, wenn ich das so sagen darf. Der Großteil der Pflegebedürftigen wird von den mobilen Diensten gepflegt. Wir haben mit dieser Sonderaktion, dass wir Leute aus Bulgarien und Rumänien geholt haben, Vorsorge getroffen, sollte ein Engpass entstehen.

STANDARD: Allgemein rücken jetzt schlecht bezahlte Systemerhalter in den Fokus. Hat man sie in der Vergangenheit übersehen?

Mikl-Leitner: Vielleicht haben das manche zu oft als Selbstverständlichkeit genommen, umso größer ist jetzt die Wertschätzung, die ihnen entgegengebracht wird. Das ist auf alle Fälle mehr als gerechtfertigt, und es ist schön zu sehen, dass ihre Arbeit jetzt von allen auch honoriert wird.

STANDARD: Sollen sie mehr verdienen?

Mikl-Leitner: Das ist immer eine Sozialpartner-Lösung. Gerade im Bereich der mobilen Dienste haben wir die Kollektivverträge schon erhöht.

STANDARD: Es gibt acht Pflegeheime in Niederösterreich, in denen Covid-19-Trakte eingerichtet werden. Ist es klug, Corona-Patienten auf Häuser aufzuteilen, in denen Nichtinfizierte wohnen?

Mikl-Leitner: Es geht für den Ernstfall in den Krankenhäusern um eine flächendeckende Absicherung der Versorgung im Land und auch um klare räumliche Trennung in den Häusern, durch isolierte Abschnitte. Wir haben eine Reihe von Vorkehrungen getroffen, um das Risiko einer Systemüberlastung zu minimieren. In den Pflegeheimen selbst führen wir schon jetzt Testungen durch und haben in allen Häusern ein Besuchsverbot erlassen, damit dieses Virus nicht eingeschleppt wird.

STANDARD: Genau das erscheint vielen Betroffenen widersprüchlich: Bewohner dürfen nicht besucht werden, gleichzeitig holt man infizierte Menschen ins Haus.

Mikl-Leitner: Deswegen gab es da ganz klare Kriterien, nach denen die Häuser ausgewählt wurden – wie eben die Möglichkeit, die Abschnitte räumlich klar und sicher voneinander zu isolieren. Natürlich auch die notwendige Personalkapazität und die erforderlichen Hygienevorkehrungen. Wir haben bisher knapp 40 Fälle in den Pflegeheimen gehabt. Das ist Gott sei Dank eine geringe Zahl.

STANDARD: Wird man irgendwann darüber reden müssen, wie viel es wert ist, Menschen vor einer Corona-Infektion und den Folgen zu schützen?

Mikl-Leitner: Das Wichtigste ist, Gesundheit und Leben zu schützen. Das ist unser oberstes Credo, dem haben wir alles untergeordnet. Ja, gleichzeitig führt uns diese Pandemie mittlerweile auch in eine Weltwirtschaftskrise. Das sind die zwei Herausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Gleichermaßen.

STANDARD: Wird es irgendwann notwendig sein zu sagen: Es ist jetzt wichtiger, dass das Leben, auch wirtschaftlich, für die Allgemeinheit weitergeht, auch wenn es zu neuen Infektionen und Todesfällen kommt?

Mikl-Leitner: Ich hoffe nicht. (Sebastian Fellner, 30.4.2020)