1. Mai 2019, Rathausplatz, die Welt war eine andere – auch für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, Bürgermeister Michael Ludwig und Andreas Schieder, damals roter EU-Spitzenkandidat.

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Wien – Ex-Bundesgeschäftsführer Max Lercher ist groß im Bild, Europaparlamentarier Andreas Schieder ebenso, auch viele andere Abgeordnete ergreifen das Wort. In einem Video zum Tag der Arbeitslosen am 30. April fordern SPÖ-Mandatare forsch eine Arbeitszeitverkürzung. Eine kommt dabei aber nicht vor: Parteichefin Pamela Rendi-Wagner.

Wer in der SPÖ von Krise redet, meint damit nicht immer nur die Corona-Misere. In der größten Oppositionspartei grassiert ein Virus, dessen Eindämmung fehlgeschlagen ist: Seit vielen Monaten schwelt eine Führungsdebatte, die in regelmäßigen Peaks ausschlägt.

Dass sich nun eine neue Welle ankündigt, liegt nicht allein am Werbespot, der ohne die Vorsitzende auskommt. Die Sozialdemokraten stehen nicht nur vor dem Festtag der Arbeiterbewegung am 1. Mai, sondern auch vor einem für ihre Zukunft entscheidenden Termin: Am 6. Mai will die Parteispitze bei einer Vorstandssitzung das Ergebnis der im März gestarteten Mitgliederbefragung präsentieren. Abgesehen von inhaltlichen Fragen sollten die 157.000 Genossen beantworten, ob Rendi-Wagner weiterhin die SPÖ anführen soll.

Autorität infrage gestellt

Die 48-jährige Vorsitzende hatte die Aktion als Flucht nach vorn angelegt. Weil die Funktionärsriege ihre Autorität ständig infrage stellte, wollte sie sich Rückhalt bei der Basis holen, wo sie eine positivere Stimmung vermutete. Bei den anderen Wortführern kam die Idee gar nicht gut an, der mächtige Wiener Parteichef Michael Ludwig etwa machte aus seinem Ärger keinen Hehl. Statt Oppositionspolitik zu betreiben, beschäftige sich die SPÖ wieder nur mit sich selbst, lautete die zentrale Kritik. Außerdem störe die Nabelschau die Kampagne für die Wien-Wahl im Herbst.

Prompt verdichteten sich im März die Hinweise, dass Rendi-Wagner nach der Befragung als Parteichefin weichen müsse – doch dann brach die Corona-Krise los. Das Virus hat nicht nur die Auswertung der von den Genossen ausgefüllten Fragebögen um mehr als einen Monat verzögert, sondern auch diverse Planspiele über den Haufen geworfen.

Rendi-Wagners Gspür

Hat Rendi-Wagner im Ausnahmezustand an Statur gewonnen? Wer bei Kritikern in der Partei nachfragt, merkt nichts von einem Meinungswandel. So schwer es für die Opposition sei, angesichts der Regierungsfestspiele auf allen Kanälen mit Botschaften durchzukommen: Auch in der Krise habe Rendi-Wagner nicht bewiesen, dass sie eine reaktionsschnelle Politikerin mit dem Gespür für gute Gelegenheiten ist. Für Unverständnis sorgte etwa, dass die SPÖ dem dritten Corona-Paket zugestimmt hat, ohne harte Bedingungen – wie etwa ein höheres Arbeitslosengeld – zu stellen. Weil die türkis-grüne Koalition die Stimmen für eine Verfassungsmehrheit benötigte, hätten die Sozialdemokraten einen starken Hebel in der Hand gehabt.

Durch die Corona-Krise ist der Staat plötzlich gefragt wie nie. Feiert die Sozialdemokratie jetzt ein Comeback? Auf welche Themen soll sie setzen? Darüber diskutierten unter anderem der deutsche Jungsozialist Kevin Kühnert, Robert Misik und Marina Hanke bei "STANDARD mitreden".
DER STANDARD

Doch das Schicksal der Chefin hängt auch an strategischen Überlegungen. Selbst entschiedene Rendi-Gegner werfen die Frage auf, ob eine Ablöse mitten in der Krise die SPÖ nicht als unzuverlässigen Haufen dastehen lässt, mit dem kein Staat zu machen ist. Unter den unzufriedenen Genossen gebe es zwei Denkschulen, sagt ein erfahrener Funktionär: "Weil's eh schon wurscht ist" und die SPÖ in den Umfragen kaum noch tiefer sinken könne, wollen die einen endlich die Reißleine ziehen. Die anderen aber plädieren für ein Stillhalteabkommen samt Weitergfretten bis nach der Wien-Wahl im Herbst.

Entscheidend wird sein, welche Marschrichtung Stadtchef Ludwig vorgibt. Zuletzt hat sich der Furor in der Wiener SPÖ über Rendi-Wagners Vertrauensfrage merkbar gelegt; zumindest wird dieser nicht mehr so offensiv nach außen getragen. Denn eines ist klar: Bei einer Rendi-Ablöse bräuchte die SPÖ in der Sekunde einen Plan B. Und dieser ist aktuell nicht klar ersichtlich.

Geringe Infektionszahl als Trumpf

Ludwig steht vor einem richtungsweisenden Wahlkampf, die Auseinandersetzung will er lieber mit anderen Fraktionen führen als innerparteilich. Aus Phase eins der Corona-Krise geht er gestärkt hervor: Wien, die rote Bastion, hat im Vergleich mit anderen Millionenstädten bisher bemerkenswert gut abgeschnitten. Die Infektionszahlen pro Kopf sind niedrig, die medizinische Versorgung ist sichergestellt, die Stadt funktioniert. Für Politikberater Thomas Hofer hat Ludwig diesen Umstand aber nur "äußerst zurückhaltend" kommuniziert: "Das ist ein Versäumnis."

Langsam wird es mit Hinweisen auf Corona-Erfolge in Wien auch schwieriger: Wien wies in den letzten Tagen als einziges Bundesland wieder mehr Neuinfizierte als Genesene aus – wenn auch auf sehr niedrigem Niveau.

Was Ludwig Hoffnung machen kann: Klassisch sozialdemokratische Themen wie Arbeit, Soziales, Gesundheit, leistbares Wohnen oder Pflege haben infolge der Krise mehr Konjunktur. Hofer nennt das die "Wiederentdeckung des linken Populismus". Zuletzt ließen die Wiener Genossen ihr massives Umfragetief hinter sich, befinden sich aber immer noch einige Prozentpunkte unter den rund 40 Prozent bei der Wahl 2015.

Auch Rendi-Wagner setzt anlässlich des 1. Mai auf diese Signale. Angesichts der Corona-Krise stelle sich die Frage, ob die Politik "achselzuckend" zu einer Linie zurückkehre, die sich bedingungslos den Kräften des Marktes unterwirft, sagt die Parteichefin. Die SPÖ stehe dafür nicht – sondern für "eine neue Solidarität mit einem Bekenntnis zu einem starken Sozialstaat".

Das Ergebnis und seine Bewertung

Welche Themen den Wahlkampf vor dem Termin am 11. Oktober beherrschen werden, hängt aber natürlich noch davon ab, wie sich die Infektionszahlen entwickeln. Bei einer möglichen zweiten Welle mit ansteigenden Zahlen sieht die Sachlage anders aus als aktuell, wo bereits breit über Wege aus dem ökonomischen Tal gesprochen wird.

Davor muss die SPÖ aber noch Rendi-Wagners Befragung abwickeln. Ob das Resultat für klare Verhältnisse sorgt, ist fraglich. Als einzige Richtmarke nannte Rendi-Wagner eine Beteiligung von 22 Prozent, das Quorum der letzten Mitgliederbefragung. Doch wenn von einem Fünftel der Genossen etwa 75 Prozent Ja zur Chefin sagen – beendet das die Führungsdebatte? Eher nicht, wenn die SPÖ bei der gesamten Wählerschaft weiterhin nicht auf mehr als 16 bis 20 Prozent Zustimmung kommt.

Vor der entscheidenden Sitzung am 6. Mai macht sich gewisser Galgenhumor breit. Der Vorstand solle am besten im Corona-Notquartier in der Wiener Messehalle tagen, sagt ein Genosse: Dort gibt es viele Kojen – und die Kranken sorgten für eine stimmige Symbolik. (Gerald John, David Krutzler, 1.5.2020)