Premierministerin Jacinda Ardern warnt trotz guter Erfolge vor einer Ausbreitung von Covid-19 in Neuseeland.

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Für den Wohnwagenverleih (hier nahe Christchurch) sind es keine guten Zeiten.

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Zumindest die Strände dürfen, so wie hier in Wellington, mittlerweile wieder besucht werden.

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Anderswo, etwa in Christchurch, naht aber schon der südliche Winter.

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Wellington – Neuseeland war schon vor Corona ein Opfer des eigenen Erfolges. Seit Jahren gilt die hochentwickelte, aber spärlich bewohnte Inselgruppe als Geheimtipp am Ende der Welt – und auch als Geheimtipp für das Ende der Welt. Mehrere Dutzend US-Milliardäre haben in den vergangenen Jahren Grund und Boden in dem Südpazifikstaat erworben, um dort allfällige gesellschaftliche Verwerfungen oder klimatische Katastrophen zu überstehen. Mehrere ließen sogar Bunker via Schiff auf die dünn besiedelte Südinsel bringen und dort vergraben. Ein Programm, das Immobilieninvestitionen ab zehn Millionen NZ-Dollar (5,6 Millionen Euro) mit unbegrenztem Aufenthaltsrecht verband, musste die Regierung 2018 aufgeben. Zu groß war die Kritik daran geworden, dass die Staatsbürgerschaft womöglich zum Verkauf stehe.

Den Megareichen hilft es nun, da die Grenzen geschlossen sind, zwar wenig – aber gerade jetzt, in der Corona-Krise, profiliert sich Neuseeland erneut als Land, das von großen Katastrophen meist verschont bleibt. Nur 1.476 Corona-Fälle werden derzeit dort gezählt, 19 Menschen sind gestorben. In den vergangenen drei Tagen gab es einmal null, einmal zwei und einmal drei neue Fälle. Die Regierung hat dennoch strenge Maßnahmen erlassen und lässt diese vorerst auch nur geringfügig lockern. Ihr Ziel ist nicht nur, das Virus unter Kontrolle zu bringen – sondern dessen vollständige Eliminierung auf dem eigenen Staatsgebiet. Als wohlhabender Inselstaat, so die Hoffnung, könnte Neuseeland dafür die besten Voraussetzungen mitbringen. Das jedenfalls ist der Tenor internationaler Medienberichte aus den vergangenen Tagen – vom "Economist" über CNN zum "Time"-Magazin.

Elimination ist nur ein technischer Begriff

Allerdings: Ganz so einfach ist die Sache nicht. Die Regierung von Premierministerin Jacinda Ardern selbst ist mittlerweile nämlich wieder zurückgerudert – sowohl bei den Zielen als auch bei deren Formulierung. Die Labour-Politikerin hatte Anfang der Woche gesagt, weil es keine bewiesenen Übertragungen innerhalb der Bevölkerung mehr gebe, gelte das Virus "derzeit als eliminiert".

Wenig später stellte sich dann der Chef der Gesundheitsbehörde, Ashley Bloomfield, den Medien. Er sprach von internationaler Verwirrung und betonte: "Eliminiert heißt nicht ausgerottet." Gemeint sei damit ein örtlicher technischer Jargon, der es erlaubt, von der höchsten Lockdown-Warnstufe auf eine etwas niedrigere zu wechseln – eben deshalb, weil die Zahl der Neuinfektionen unter ein bestimmtes Maß gesunken sei. Ardern hielt fest: Im Sinne des alltäglichen Sprachgebrauchs "eliminiert" sei das Virus erst, wenn es eine Impfung gebe. So zitiert sie der "New Zealand Herald". Viele der strengen Lockdown-Maßnahmen bleiben vorerst aufrecht. "Das Schlimmste, was wir machen könnten, wäre, jetzt Lockdown-Jo-Jo zu spielen."

Die Erntehelfer fehlen

Schon zuvor hatte es an den Plänen der Regierung auch Kritik gegeben. Infrage gestellt worden war etwa, ob eine vollständige Isolation des Inselstaats bis zum Vorhandensein eines Impfstoffs praktikabel oder durchhaltbar sei. Der für die Wirtschaft wichtige Tourismus etwa ist bereits zum Erliegen gekommen, er macht in normaleren Zeiten fünf Prozent des BIP aus. Gerechnet wird mit einer Arbeitslosenrate von 13 Prozent.

Und auch Neuseeland hat seine eigene Version des "Erntehelfer"-Problems: Finanzschwache Menschen reisen gewöhnlich zu bestimmten Jahreszeiten an, um sich beim Pflücken von Weintrauben und anderen Agrarprodukten ein Zubrot zu verdienen. Doch auch sie, die Backpacker aus Europa, können dieses Jahr nicht helfen. Das wird den landwirtschaftlichen Exporten zusetzen. Ewig kann man also auch in Neuseeland nicht so weitermachen wie zuletzt.

Systemrelevanter Osterhase

Dennoch: Die Maßnahmen der Ardern-Regierung zählen derzeit zu den erfolgreichsten der Welt. Schon am 14. März, als es erst sechs Fälle im Land gab, wurde eine zweiwöchige Quarantäne für alle Einreisenden beschlossen, seit 19. März sind die Grenzen insgesamt weitgehend geschlossen. Ein strenger Lockdown wurde nur vier Tage danach beschlossen – zu einem Zeitpunkt, als es 102 bestätigte Fälle gab. Neuseeland argumentierte damals nicht nur mit dem eigenen Wohl, sondern auch mit der Verantwortung, die man für ärmere Inselnationen im Südpazifik trage. Deren Bevölkerung müsse man unbedingt vor Ansteckungen schützen.

Freilich: Dass der wirtschaftlich eng mit China verbundene Inselstaat während der Krise in Wuhan im Jänner und Februar von Übertragungen fast verschont geblieben war, kann auch als Glück gelten – die schnelle Reaktion im März rechnet sich Wellington dennoch als eigenes Verdienst zu. Gelobt wird Ardern aber auch für ihren öffentlichen Umgang mit der Seuche – darunter ihre Verlautbarung an Kinder vor dem Osterfest, wonach der Osterhase systemrelevant sei und daher auch dieses Jahr arbeiten dürfe. Leider sei er so im Stress, dass er nicht alle Kinder selbst beschenken könne.

Gute Aussichten

Solche Auftritte haben freilich auch einen politischen Hintergrund. Spätestens am 19. September stehen in Neuseeland Wahlen an. Ardern, die 2017 überraschend ins Amt gekommen war, kandidiert für eine weitere dreijährige Schaffensperiode. Umfragen hatten ihr noch jüngst ein enges Rennen gegen die Konservativen vorhergesagt, im Februar waren die Zeichen sogar eher auf Niederlage für ihre Koalition aus Sozialdemokraten, Grünen und der Populistenpartei "New Zealand First" gestanden.

Wie sich die Meinungslage seither entwickelt hat, ist unklar, wegen der Corona-Pandemie gab es vorerst keine öffentlichen Umfragen mehr. In einer internen Erhebung der Konservativen wird dem Kabinett aber ein Aufwärtstrend attestiert. Bis zur Wahl, so die Hoffnung der Regierung, soll zumindest in Neuseeland wieder Normalität einkehren können – nicht eine "neue", so wie andernorts, sondern die alte. (Manuel Escher, 30.4.2020)