Ob es rechtens war, dass für Asylwerber in Traiskirchen strengere Ausgangsbeschränkungen als für den Rest der Bevölkerung bis zum 30. April gegolten haben, klärt nun die Justiz.

Foto: Presseservice Wien

Die umstrittene Verordnung der BH Baden am Eingang des Erstaufnahmezentrums.

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Das Lager in Traiskirchen ist streng bewacht.

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Während des Ausgangsverbots kam es immer wieder zu Polizeieinsätzen, als Bewohner des Lagers versuchten, nach außen zu gelangen.

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Die drastischen Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus betreffen die gesamte Bevölkerung – und doch manche Personen noch einmal mit besonderer Härte. Zum Beispiel jene 611 Asylwerber, die im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen leben und seit 24. März das Areal nicht mehr verlassen dürfen, auch nicht, um zum Supermarkt zu gehen oder um frische Luft zu schnappen, wie es das Gesundheitsministerium eigentlich für das gesamte Bundesgebiet festgelegt hat. Dagegen wehren sich nun zwei Bewohner mit einer Maßnahmenbeschwerde gegen die Polizei, die sie am vergangenen Sonntag hinderte, das Lager zu verlassen. Einer von ihnen ist Deler Hamid aus dem Irak. Er versteht nicht, warum nicht auch er unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln auf die Straße gehen darf.

Verantwortlich für die strenge Regel, die nur für die Asylwerber und nicht für das Personal in Traiskirchen gilt, ist die Bezirkshauptmannschaft Baden. Diese habe versucht, im Sinne der Verhältnismäßigkeit zu entscheiden, sagt Bezirkshauptfrau Verena Sonnleitner zum STANDARD. Eine lückenlose Nachvollziehbarkeit von Infektionsketten und deren Eindämmung wäre sonst nicht möglich gewesen. Corona-positive und Kontaktpersonen wurden in einem eigenen Gebäude isoliert. Am 30. April ist das Betretungsverbot für das Areal in Traiskirchen ausgelaufen.

"Ohne gesetzliche Grundlage eingesperrt"

In der Maßnahmenbeschwerde argumentiert Anwalt Clemens Lahner so: Die gesetzliche Grundlage der Verordnung sieht nur ein Betretungsverbot vor, nicht aber das Verbot, bestimmte Grundstücke zu verlassen. So könnten von einer Bezirkshauptmannschaft Spielplätze gesperrt werden, nicht aber Menschen einfach eingesperrt werden. "Hier wird eine Gruppe von Personen pauschal und ohne gesetzliche Grundlage eingesperrt", sagt Lahner zum STANDARD. Auch gebe es keine Kontrollinstanz, wie das bei jeder anderen Form des Freiheitsentzugs notwendig ist, sagt Lahner.

Von der Verordnung ausgenommen ist nur das Personal, die Exekutive und Lieferanten. Selbst wenn einer der Asylwerber einen negativen Corona-Test vorweisen könne, dürfte dieser das Lager nicht verlassen. Der Verfassungsrechtler Peter Bußjäger fragt sich, warum das für das Personal möglich war, sollte die Situation so kritisch gewesen sein. Diese Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Asylwerber auf das Areal sieht er problematisch, wurden doch Infizierte und Kontaktpersonen in einem eigenen Gebäude untergebracht.

Lahner streitet nicht ab, dass gerade in Lagern die Ansteckung durch das Virus begünstigt wird. Dennoch versteht er nicht, warum dann beispielsweise nicht Studentenheime auch unter Quarantäne gestellt wurden. Außerdem seien laut Lahner "gelindere Mittel" möglich: Erkrankte und deren Kontaktpersonen könnten isoliert, Hygienemaßnahmen verstärkt werden. Dass zusätzlich 120 Asylwerber nach dem Ausbruch und Bekanntwerden der Pandemie noch im März nach Traiskirchen verlegt wurden, findet Lahner "kontraproduktiv".

Letzte Covid-19-Erkrankung am 9. April

Nach den ersten beiden Corona-Fällen am 23. und 24. März wurde das Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen unter Quarantäne gestellt. Mitte April wurde die Isolation um weitere zwei Wochen verlängert. Neun Corona-positive Fälle gab es bisher in Österreichs größtem Asylquartier, meldet die Bezirkshauptmannschaft Baden. Zwei Personen mussten im Spital behandelt werden, eine durch Vorerkrankungen belastete verstarb. Die anderen Geflüchteten gelten als genesen. Die letzte Covid-19-Erkrankung in Traiskirchen lag am 9. April vor, wie DER STANDARD erfuhr. Am 13. April wurde die Quarantäne verlängert.

Der Fall Traiskirchen zeigt aber auch, wie schwer es ist, die Corona-Gesetze auf deren Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Noch Anfang April bat Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) um "Nachsicht": Juristen sollen die Gesetze nicht überinterpretieren, forderte er und verwies auf die Höchstgerichte. Jedoch wäre in diesem Fall ein Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) gar nicht möglich. Dafür müsste die Verordnung noch während der kommenden Sitzung im Juni in Kraft sein, diese läuft aber mit 30. April aus.

Auch in Hinblick auf eine zweite Infektionswelle will Lahner die Rechtmäßigkeit dieser Verordnung jetzt klären. "Der Kanzler mag das als 'juristische Spitzfindigkeiten' abtun, ich nenne es Grundrechtsschutz. Und die Grundrechte gehen uns alle etwas an", so Lahner. Auch Bezirkshaupftfrau Sonnleitner kann sich eine Evaluierung vorstellen: "Im Rückblick ist Zeit für eine nähere Betrachtung, ob das Mittel der Wahl ausschlaggebend dafür war, dass es zu keinen weiteren Infektionen mehr gekommen ist." (Laurin Lorenz, Jan Michael Marchart, 30.4.2020)