Diese Skulptur im weißrussischen Brest könnte man fast mit dem Coronavirus verwechseln.

Foto: EPA / Tatyana Zenkovich

Alexander Lukaschenkos traditionelle Jahresansprache ans Parlament und Volk ist geplatzt. Schuld ist die "Corona-Psychose", wie der Langzeitpräsident erklärte. Diese habe die Lage nicht nur im Land, sondern weltweit verändert. Er habe Ungenauigkeiten vermeiden wollen. "Stellen Sie sich einen Präsidenten heute auf der Tribüne vor und was er sagen könnte: Vielleicht, wenn es so kommt, wird es so, aber wenn es anders kommt, wird alles ganz anders", begründete Lukaschenko sichtlich konsterniert die Absage der Rede.

Dabei lässt sich Batjka ("Vater"), wie er sich gern nennen lässt, eigentlich von niemandem vorschreiben, was er zu tun oder zu lassen hat. Schon gar nicht von "winzig kleinen Mikroben", die der Agrarökonom verächtlich mit Grippeviren gleichsetzt. Standhaft weigert sich Lukaschenko vor den TV-Kameras, Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorzunehmen.

Alles geöffnet

Zwar werden nachweislich Infizierte konsequent isoliert. Schulen und Universitäten sind aber ebenso weiter geöffnet wie Geschäfte, Restaurants oder Flughäfen. Wurde anderswo der Spielbetrieb eingestellt, rollt der Ball in Weißrusslands Fußballiga weiter. Am vergangenen Wochenende beteiligte sich Lukaschenko persönlich am landesweit organisierten Subbotnik – eine aus sozialistischer Zeit stammende Tradition zum kollektiven Frühjahrsputz an einem Samstag. Selbst die beim großen Nachbarn Russland abgesagte Militärparade zum "Tag des Sieges" am 9. Mai steht in Minsk noch auf dem Plan.

Für die Ablehnung wirtschaftlicher Zwangsschließungen hat Lukaschenko durchaus pragmatische Argumente: Minsk fehlen die nötigen finanziellen Reserven, um die eigene Wirtschaft wochen- und monatelang lahmzulegen, sagt er. Tatsächlich leidet die weißrussische Volkswirtschaft stark unter den Grenzschließungen und dem Einbruch des Exports. Jahrelang hat das Land auch durch die Weiterverarbeitung billigen russischen Öls und den Weiterverkauf gen Westen Einnahmen generiert. Doch der Shutdown in Europa drückt die Nachfrage nach Benzin, Diesel und anderen Ölprodukten deutlich.

Täglich tausend Neuinfizierte

So droht in Weißrussland eine handfeste Wirtschaftskrise. Die will Lukaschenko durch zusätzliche Beschränkungen nicht noch weiter verschärfen. Denn im Sommer sind Wahlen.

Seit 1994 regiert Alexander Lukaschenko in Weißrussland. Eng war es nur 1994, als er in die Stichwahl musste. Seither wurde er stets mit einem Resultat von offiziell mehr als drei Viertel der Stimmen bestätigt. Bei der letzten Wahl 2015 holte er 83,5 Prozent. Seine Wiederwahl heuer schien ungefährdet, die Opposition ist längst zerschlagen.

Doch nun steht Lukaschenko vor einer neuen Herausforderung. Covid-19 hat trotz aller Dementis von ihm auch Weißrussland getroffen. Uno und Weltgesundheitsorganisation haben Minsk zum Handeln aufgefordert. Die offiziellen Zahlen sind zwar nach wie vor mit 14.000 Infizierten relativ gering, doch selbst die mit Vorsicht zu genießenden Angaben lassen die Tendenz erkennen. Innerhalb der letzten Woche haben sich demnach die Ansteckungszahlen verdoppelt, seit Mitte April vervierfacht. Täglich kommen inzwischen fast 1.000 Neuinfizierte hinzu.

Die Bürger wollen Beschränkungen

Damit steigt auch die Angst innerhalb der Bevölkerung. Obwohl die staatlichen Medien in Minsk abwiegeln, meinen einer jüngsten Umfrage zufolge inzwischen zwei Drittel der Befragten, dass sich die Lage verschlechtert hat und weiter verschlechtern wird. 65 Prozent sprechen sich für stärkere Kontaktbeschränkungen aus, elf Prozent machten keine Angaben, während nur eine kleine Minderheit den Kurs der Regierung befürwortet.

Die Unzufriedenheit nimmt mit den steigenden Ansteckungszahlen weiter zu. Bleibt der Trend erhalten, droht Lukaschenko der Höhepunkt der Epidemie mitten im Sommer. Kein guter Zeitpunkt für eine Wahl, selbst wenn in Weißrussland der Anteil der sogenannten Briefwähler – ein Instrument, das in der in Minsk praktizierten Form leicht zur Manipulation genutzt werden kann – bei den letzten Abstimmungen immer weiter gestiegen ist. (André Ballin, 30.4.2020)