Nebenwirkungen der Corona-Fatigue: Bei jedem Briefing der Bundesregierung gehe ich die Wände hoch, bei jedem Covid-19-Tweet von Trump wird mir schlecht.

Foto: APA / Roland Schlager

Ich erinnere mich, dass ich am Mittwoch, den 12.9.2001 Blattkritik hatte. Die Blattkritik ist eine jeden Vormittag stattfindende, zeitungsinterne Veranstaltung (manchmal gibt es Blattkritiken von außen), bei der ein Redakteur lobt und tadelt, was ihm bei einer gründlichen Lektüre der Zeitung aufgefallen ist (seit vielen Jahren sieht er oder sie sich natürlich auch die Online-Ausgabe gründlich an).

Die Ausgabe vom 12.9., von Nine Twelve, war insofern eine sehr besondere Ausgabe, weil, von zwei, drei unwesentlichen Ausnahmen abgesehen, sämtliche Artikel sich mit dem beschäftigten, was sich tags zuvor, an Nine Eleven, in den USA zugetragen hatte. Eine monothematische Zeitung also, und monothematisch sollte sie auch noch viele Tage lang bleiben.

Regiment des Monothematischen

So gesehen beschert mir die Corona-Krise derzeit ein berufliches Déjà-vu: Corona rules, so wie damals 9/11 regierte. Auf meine Psyche (und nicht nur auf meine) wirkt sich ein Regiment des Monothematischen nach einiger Zeit unangenehm aus: Es langweilt, stößt ab, lähmt, deprimiert.

Ehe man es sich versieht, wird man zu einem Fall von Corona-Fatigue, von Corona-Überdruss, Corona-Weltschmerz. Bei mir ist es jetzt so weit. Es ist, als würde einem ein seniler Gesprächspartner immer und immer wieder ein- und dieselbe Geschichte erzählen. Und täglich grüßt das Murmeltier. Nietzsches ewige Wiederkehr des Gleichen.

Corona-Fatigue hat viele Gesichter. Wenn ich das Wort Corona nur sehe oder höre, gerate ich blitzartig in einen Zustand des schläfrigen Entrücktseins. Bei jedem Briefing der Bundesregierung gehe ich die Wände hoch, bei jedem Covid-19-Tweet von Trump wird mir schlecht.

Ich habe mir eine Phobie vor Wörtern zugezogen, die mit "Co-" beginnen: Lese ich "Cockpit", "Cosinus", "Cordon bleu" oder "Coloniakübel", beginnt es mich zu würgen. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich das Virus innerlich beschimpfe: "Du rundliche Nano-Sau", "Du penetranter viraler Kotzbrocken" usf.

Wird das ewig so weitergehen? Ewig nicht, aber noch viele Tage, Wochen und Monate. Ich erinnere mich, dass sich 9/11 auch scheinbar endlos dahinzog, irgendwann jedoch war der Spuk vorbei, und das, was die globale Vorderbühne eingenommen hatte, trat in den Bewusstseinshintergrund. Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Auch von Corona-Fatigue kann man genesen. (Christoph Winder, 2.5.2020)