Zur freundlichen Erinnerung: Wir müssen an der Ober- fläche des Abzugs kratzen!

Foto: Verlag Bildmanufaktur

Meine Großmutter, Jahrgang 1917, hatte solche Fotografien auf der Kredenz oder zusammen mit anderen Fotos und Ansichtskarten in einer Schublade gesammelt. Schon als Kind war mir klar, dass diese Aufnahmen von Soldaten in Uniformen nicht mehr unbedingt die Aufgabe von Heldenbildern erfüllten.

Sie waren ein Andenken. "In vielen Fällen wurden aus diesen Porträtaufnahmen rascher als gedacht Totenbilder", schreibt Martin Pollack in dem Vorwort zum Fotokunstband Zur Erinnerung 1939/2019.

Dessen Herausgeber Kurt Lackner, oberösterreichische Künstler und Lehrer, hätte keinen prädestinierteren Vorwort-Schreiber finden können als den Schriftsteller und Gedenkexperten Martin Pollack, der sich schon sein Leben lang mit Krieg und Fotografien, Gedächtnis und Erinnerung auseinandersetzt und weiß, "wie vorsichtig und misstrauisch wir mit diesem Material umgehen müssen".

Kurt Lackner hat genau das gemacht. 80 Postkarten-Porträts hat er in dem Band versammelt, "für die 80 Jahre seit Kriegsausbruch". Kein unheikles Unterfangen, das ist ihm klar. "Nie gerät er in den Verdacht, dem Krieg und den Kriegern zu huldigen, sie durch eine rosa Brille des Vergessens und Verdrängens zu betrachten", schreibt Pollack unmissverständlich.

Vielmehr hat sich Lackner gefragt: "Was wird er wohl erlebt haben?", und das fragen wir uns auch beim Betrachten der Soldatenporträt-Postkarten samt deren fragmentarisch beschriebenen Rückseiten, die uns vom Jahr 1939 bis in das Jahr 1945, bis zum Kriegsende führen.

Gleichermaßen ernst und freundlich

Und weil wir dieser Tage 75 Jahre Kriegsende begehen, zeigen wir ein Porträt von 1945. "Zur freundlichen Erinnerung an Franz Forstner Den 6. 12. 1945" steht auf der Rückseite geschrieben. Und unter einem Bild eines gleichermaßen ernst und freundlich blickenden Mannes in Uniform notiert Kurt Lackner Folgendes: "In der unmittelbaren Nachkriegszeit war es nicht immer möglich, sich fotografieren zu lassen. Möglicherweise deshalb verschenkte der ehemalige Unteroffizier Franz Forstner sieben Monate nach Kriegsende ein Foto, das ihn in der Uniform des Infanterieregiments 132 mit all seinen Kriegsauszeichnungen zeigt. Das Verwundetenabzeichen neben beiden Eisernen Kreuzen zu sehen ist nichts Ungewöhnliches. Seltener ist da schon das gleichzeitige Tragen von Infanteriesturmabzeichen und Panzerkampfabzeichen. Der deutlich lesbare Fotografenstempel weist auf einen Bezug zu Linz hin."

Bei der Interpretation bewegen wir uns also auf dünnem Eis, um wieder Martin Pollack zu zitieren: "Kriegsfotografien, und seien es harmlose Porträtaufnahmen, üben stets eine beunruhigende und provozierende Wirkung aus, weil wir wissen, was damals geschehen ist." Kurzum, es gibt keine klaren Deutungen und Einordnungen, die Fotografien werfen mehr Fragen auf, als sie Antworten geben, warnt uns Pollack, der aber weiß, wie wichtig das ist, um "gleichsam an der Oberfläche des Abzugs zu kratzen, um tiefere, verborgene Schichten freizulegen".

Wir müssen genau hinschauen, immer wieder. Kurt Lackner hat uns dafür wichtiges Anschauungsmaterial geliefert, das er über Jahrzehnte gesammelt hat. Fotografien, die bei Wohnungsräumungen oft einfach entsorgt werden, auch weil Angehörige oft Angst vor einem NS-Bezug der eigenen Vorfahren haben. "Man will Schluss machen, endlich die braunen Flecken in der Familie loswerden", schreibt Kurt Lackner, "und vergisst dabei, dass – bei aller möglichen individuellen Schuld – die Kriegsgeneration trotzdem Teil unserer eigenen Biografie ist." (Mia Eidlhuber, 5.5.2020)

Kurt Lackner, "Zur Erinnerung 1939/2019". Mit einem Vorwort von Martin Pollack. 29,–Euro / 171 Seiten. Verlag Bildmanufaktur, 2019
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