Tobias Pötzelsberger (36) ist ab kommendem Mittwoch neuer Anchorman der "Zeit im Bild", der weitaus meistgesehenen Nachrichtensendung im Land. Den von Corona-Krisenzeiten verschärften Verdacht des Regierungsfunks weist er im STANDARD-Interview zurück: "Das sind wir natürlich nicht. Ich glaube nicht, dass wir freundlicher zur Regierung geworden wären."

Anrufe, Beschwerden, Ideen aus Politikbüros kennt er "seit 15 Jahren", sie gehörten zum Geschäft – wie auch, sie "abzufedern": "An mich wurde nie etwas herangetragen, das Grenzen überschreiten würde", sagt er.

Wünscht sich Neo-Anchorman Pötzelsberger, dass die "ZiB 1" um 19.30 Uhr auf ORF 2 und ORF 1 (und derzeit auch auf ORF Sport plus) zur neuen Normalität wird, auch nach dem 1. Juni, bis dahin ist die sogenannte Durchschaltung schon fixiert? "Fernsehmoderatoren sind alle ein bisschen eitel. Wer etwas anderes sagt, dem glaube ich nicht. So weit reicht aber meine Eitelkeit nicht."

Ibiza und immer schon die "ZiB" als Ziel

Pötzelsberger wollte "immer schon die 'ZiB' moderieren". Ab kommendem Mittwoch, knapp vor seinem 37. Geburtstag, wird das deklarierte Lebensziel auch schon wahr.

Nach 14 Jahren im Landesstudio Salzburg und einem Dreivierteljahr auf dem Küniglberg war er am 18. Mai 2019 zum Wochenend-Frühdienst eingeteilt. An die sechs Stunden führte Pötzelsberger live und souverän durch den Tag nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos mit den beschwingten Machtphantasien des damaligen FPÖ-Chefs und Vizekanzlers Heinz-Christian Strache und durch das Ende der ÖVP-FPÖ-Koalition.

2019 interviewte er sich schon in freundlichem Ton, aber zugleich professionell durch die "Sommergespräche". Und ab 6. Mai 2020 nun präsentiert der Oberösterreicher die wichtigsten Nachrichten des Landes mit – Corona-bedingt noch vergrößertem – Millionenpublikum.

"Das ist ja kein Beliebtheitswettbewerb, sondern Journalismus"

Tobias Pötzelsberger in seinem bisher gewohnten Habitat, einer "ZiB spezial". Ab Mittwoch präsentiert er mit Susanne Höggerl die "ZiB" um 19.30 Uhr. Und die "ZiB 2"? "Es gibt wahrscheinlich wenige aktive politische Journalisten und Fernsehmoderatoren, die sagen würden, die 'ZiB 2' wäre für sie völlig uninteressant."
Foto: ORF

STANDARD: Was sollen denn die derzeit 1,7 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer am 6. Mai um 20 Uhr nach Ihrer Premiere über diese "ZiB 1" sagen?

Pötzelsberger: Dass sie sich weiterhin gut informiert fühlen, ausgewogen und umfassend. Das hat aber weniger mit mir zu tun, es geht um die Sendung.

STANDARD: Aber Sie sind der neue Mr. "ZiB". Was haben Sie sich vorgenommen, was wollen Sie einbringen? Oder wollen Sie's einfach so machen wie alle anderen bisher?

Pötzelsberger: Die Sendung funktioniert wahnsinnig gut, das zeigen ja die Quoten. Also muss man nicht groß etwas umstellen. Man kann sich auf bewährte Stärken verlassen. Ich bin ich und werde meinen Stil einbringen.

STANDARD: Wie würden Sie den beschreiben?

Pötzelsberger: Ich versuche, auf Augenhöhe zu kommunizieren, gut zu erklären, ohne unterkomplex zu werden. Einfach zu reden, wie ganz normale Menschen auf der Straße auch reden würden. Im Gegensatz zur Zeitung kann man ja nicht eine Zeile zurückspringen und etwas nochmal lesen, falls man etwas nicht verstanden hat. Das muss auf Anhieb funktionieren. Ich werde mich nicht verstellen, nicht verändern. Ich habe im vergangenen Jahr zeigen können, wie ich bin und wie ich arbeite.

STANDARD: Der ORF arbeitet seit Monaten an einer kleinen Reform der "ZiB 1", die durch die Corona-Krise verzögert wurde und nun im Herbst kommen soll. Was wäre für Sie eine perfekte "ZiB 1"?

Pötzelsberger: Die "ZiB 1" soll wie die Titelseite einer Tageszeitung oder eher die ersten drei Seiten einer Tageszeitung sein oder wie die blaue Seite von orf.at: Das Wichtigste des Tages, Platz für Analyse, die Topgeschichten aus den Ressorts. Das ist die "ZiB 1" heute, und das soll sie auch weiterhin sein. Einige Minuten mehr, so wie wir sie derzeit haben, fand ich schon lange erstrebenswert. Damit können wir zum Beispiel das super Korrespondentennetz ausführlicher nützen. Über die Reform entscheide natürlich nicht ich. Ich gehe davon aus, dass die "ZiB 1" dann ein bisschen anders klingt, ein bisschen anders aussieht, aber alles in homöopathischen Dosen. Denn eine sehr erfolgreiche Sendung ändert man nur in Spurenelementen.

STANDARD: Die "ZiB 1" ist ja nicht nur in Corona-Zeiten die weitaus meistgesehene Nachrichtensendung des Landes. Sie prägt wohl auch stark den Eindruck eines besonders staatstragenden ORF in diesen Krisentagen. Wahrt der ORF, wahrt die TV-Information genügend Distanz zur Regierung?

Pötzelsberger: Ich glaube nicht, dass wir freundlicher zur Regierung geworden wären. In der Frage schwingt ein bisschen der Vorwurf eines Regierungsfunks mit. Das sind wir natürlich nicht. Die Regierung hat unser Leben wahnsinnig einschneidend und beispiellos verändert. Dann ist relativ logisch, dass viel über die Regierung und diese Regelungen berichtet wird. Zudem war die Opposition am Anfang durchaus auf Regierungslinie, inzwischen gibt es mehr Bruchlinien, und darüber berichten wir selbstverständlich genauso. Und die Regierung hat ihre ganze Kommunikationsmacht auf den Markt geworfen.

STANDARD: Das heißt?

Pötzelsberger: In Krisenzeiten erhält die Exekutive viel Aufmerksamkeit. Daraus kann ein politischer Mehrwert entstehen, und Politikerinnen und Politikern ist dieser Umstand selbstverständlich bewusst. Zur guten journalistischen Pflicht gehört dabei genau das, was wir tun: Wenn wir Auftritte übertragen, ordnen wir sie immer auch ein, erklären und analysieren, bringen andere Blickwinkel ein – sowohl unmittelbar danach als auch in den folgenden Sendungen. Ich habe da immer versucht, auch andere Sichtweisen einzuweben, etwa in einem Analysegespräch. Ich habe immer Liveticker mitlaufen im Studio, damit ich Reaktionen mitbekomme. Ich glaube nicht, dass Corona das Verhältnis zwischen Regierung und ORF großartig verändert hat. Für den Journalismus sind das halt insgesamt keine einfachen Zeiten.

STANDARD: Zweifellos. Welche Schwierigkeiten meinen Sie da konkret?

Pötzelsberger: Das war für uns alle eine Umstellung, Stichwort Homeoffice statt Redaktionskonferenz. Vor allem am Anfang war es nicht immer einfach, den Überblick zu behalten. Wir mussten uns alle in kürzester Zeit virologisches Wissen aneignen. Experten waren manchmal nicht greifbar, Daten nicht zugänglich, Interviewpartner nur per Schaltung. Gespräche über Skype können kein echter Ersatz sein, Mimik, Gestik, Zwischenmenschliches fallen weg, das macht Interviews schon manchmal mühsam. Ich bin froh, wenn sich das wieder aufhört. Das ist wahnsinnig umständlich und auch für das Publikum mühsam.

STANDARD: Sind Sie eigentlich in der Whatsapp-Gruppe von ORF-General Alexander Wrabetz, in der in diesen Krisentagen Formulierungen und Wordings über Corona und Co im ORF – sagen wir – abgeklärt werden?

Pötzelsberger: Ich bin in einer Whatsapp-Gruppe, aber die ist mit Redakteuren besetzt.

STANDARD: Die weitaus meistgesehenen TV-Nachrichten sind stets die weitaus interessanteste Plattform für Politiker, die ihre Botschaften möglichst in ihrem Sinne durchbringen wollen. Haben Sie in Ihren eineinhalb Jahren in der Wiener TV-Information Interventionen mitbekommen?

Pötzelsberger: An mich wurde nie etwas herangetragen, das Grenzen überschreiten würde. Dass es Anrufe aus Politikbüros gibt, dass sich jemand ärgert, dass jemand Anmerkungen, Anregungen, Ideen hat – geschenkt, das kann man gut abfedern. Das gehört zum Geschäft. Das habe ich im ORF Salzburg genauso erlebt, das kenne ich seit 15 Jahren. Aber ich habe in Wien nicht den Eindruck gehabt, dass da hineinregiert würde.

STANDARD: Muss man das als angehender "ZiB"-Anchroman vielleicht auch sagen?

Pötzelsberger: Das sage ich einfach als politischer Journalist. Ich fühle mich völlig unabhängig. Ich gehöre nirgendwo dazu und bin niemandem etwas schuldig, habe mich vom kleinen Redakteur hochgearbeitet. Ich denke, ich konnte mich schlicht über meine Arbeit am Schirm beweisen, da konnte und kann man ja eh sehen, wie ich arbeite. Das schützt auch vor Angriffen. Und ich muss auch sagen, dass der Chefredakteur, Matthias Schrom, wirklich einen breiten Rücken hat. Ich habe den Eindruck, dass er im Fall des Falles bombenfest hinter mir stehen würde.

STANDARD: Wem verdanken Sie jetzt eigentlich ihren recht raschen "ZiB"-Einsatz – abgesehen von Ihrer souveränen Performance im überraschenden Ibiza-Marathoneinsatz am 18. Mai 2019, Ihrem offenbar gewinnenden Wesen und diversen Preisen, Ihrer Arbeit? Chefredakteur Matthias Schrom? Channel-Manager Alexander Hofer? ORF-General Alexander Wrabetz?

Pötzelsberger: Im Wesentlichen entschieden hat das natürlich Matthias Schrom gemeinsam mit Alexander Hofer. Die Letztentscheidung liegt selbstverständlich immer beim Generaldirektor. Ich war ja zuletzt im Innenpolitikressort bei Hans Bürger, der hat mich auch immer gefördert. Wir waren stundenlang gemeinsam auf Sendung und haben hervorragend zusammengearbeitet. Die haben mich schon alle von früher gekannt. In einem Landesstudio kommt man ja schnell auch ins nationale Programm.

STANDARD: Haben Sie eine Meinung zur Durchschaltung der "ZiB 1" auf ORF 1 und ORF 2 und derzeit auch ORF Sport plus? Würde sich Anchorman Tobias Pötzelsberger das weiter wünschen?

Pötzelsberger: Fernsehmoderatoren sind alle ein bisschen eitel. Wer etwas anderes sagt, dem glaube ich nicht. So weit reicht aber meine Eitelkeit nicht. Die Durchschaltung ist eine komplexe Debatte. Das Haus wird darüber sicher bald entscheiden.

STANDARD: Der ORF testet doch sicher laufend und gerade bei neuen "ZiB 1"-Moderatoren die Beliebtheit beim Publikum. Wo liegen Sie denn im Ranking – vermutlich weit vor Armin Wolf, der mit seinen Interviews ja doch eher polarisiert ...

Pötzelsberger: Keine Ahnung, es gibt diese Testungen, und natürlich hätte mich das schon mal interessiert. Aber das wird nicht einmal intern kommuniziert, da sitzt der Chef drauf. Das ist auch klug: Das ist ja kein Beliebtheitswettbewerb, sondern Journalismus.

STANDARD: Für die Moderation von Veranstaltungen sind ORF-Moderatoren gefragt. Was kostet es eigentlich, Tobias Pötzelsberger für die Moderation einer Veranstaltung zu buchen – wenn es wieder Veranstaltungen gibt?

Pötzelsberger: Das mache ich sehr selten, dafür bleibt zwischen Beruf und Familie wenig Zeit. Das vermittelt der ORF, und der handelt auch die Preise aus, ich kann da keine Summe nennen. Wir sind da strengen Regeln unterworfen. Aber wenn es interessant ist und den Regeln entspricht: Warum nicht?

STANDARD: Sie wollten im Herbst 2020 mit ihrer Band The More Or The Less ein Album herausbringen und Konzerte spielen ...

Pötzelsberger: Alles abgesagt.

STANDARD: Corona- oder "ZiB"-bedingt?

Pötzelsberger: Corona-bedingt. Ich hatte schon sechs Konzerttermine vereinbart. Und ich habe so viel zu arbeiten, dass es vernünftig ist, noch ein bisschen zu warten. Zwei oder drei Tage vor dem Lockdown war ich noch im Tonstudio. Man braucht dann schon ein bisschen Zeit. Das Album ist fertiggeschrieben, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, es fertig aufzunehmen.

STANDARD: Wie wird es heißen?

Pötzelsberger: Ich schreibe Texte immer ganz am Schluss, und als Allerletztes Albumtitel. Also: Keine Ahnung. Wenn wer eine gute Idee hat, bitte melden!

STANDARD: "Es war immer mein Ziel, die 'ZiB' zu moderieren", haben Sie 2019 gesagt. Sie sind mit noch nicht einmal 37 am Ziel. Und was nun?

Pötzelsberger: Jetzt komme ich mit gerade noch 36 in die Position, die ich immer bekleiden wollte. Klar, ich muss noch 30 Jahre arbeiten, wenn ich gesund bleibe. Sicher werde ich noch etwas anderes arbeiten wollen. Aber das ist nicht der Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen. Ich lege das schon langfristig an. Tarek Leitner moderiert die "ZiB 1" seit 15 Jahren.

STANDARD: Was anderes könnte sich Tobias Pötzelsberger noch vorstellen?

Pötzelsberger: Zu meinen Stärken gehören Interviews. Also würde ich mich freuen, wenn da in Zukunft wieder etwas möglich ist ... dass ich die "Pressestunde" weiter machen kann oder einen "Runden Tisch" oder ein anderes Format. Die "Sommergespräche" haben ja sehr gut funktioniert.

STANDARD: Das klang jetzt aber ein bisschen nach "ZiB 2".

Pötzelsberger: Interviews gibt's in vielen verschiedenen Formaten.

STANDARD: Aber absagen würden Sie auch nicht, wenn Sie gefragt werden?

Pötzelsberger: Es gibt wahrscheinlich wenige aktive politische Journalisten und Fernsehmoderatoren, die sagen würden, die "ZiB 2" wäre für sie völlig uninteressant. Das ist natürlich ein tolles Format. Aber sie ist im Moment auch großartig besetzt, hat ein super Team und tolle Quoten. (Harald Fidler, 1.5.2020)