Berlin – Millionen Menschen gehen traditionell weltweit zum Tag der Arbeit auf die Straßen, doch wegen der Corona-Pandemie gestaltete sich der 1. Mai diesmal deutlich anders als sonst: In vielen Ländern verlegten die Gewerkschaften am Freitag ihre Aktivitäten ins Internet, nur wenige Demonstranten wagten sich auf die Straßen. In der Türkei und auf den Philippinen kam es zu Festnahmen. Die meisten der kleinen Kundgebungen verliefen allerdings ohne Zwischenfälle.

Besondere Symbolik

Wegen des Coronavirus hat der diesjährige 1. Mai eine besondere Symbolik: Weltweit geht die Wirtschaft in den Keller, Millionen von Menschen verlieren ihre Arbeit – und gleichzeitig wirft die Pandemie ein Schlaglicht auf die meist schlecht bezahlten "Helden der Arbeit", beispielsweise Pflegekräfte, Kassierer, Lieferboten und Müllarbeiter.

Ihnen würdigte der französische Präsident Emmanuel Macron seine Botschaft zum Tag der Arbeit. Ihrem Einsatz sei es zu verdanken, "dass wir jeden Tag so viele Leben retten", sagte Macron. In Frankreich wollten die Menschen außer mit virtuellen Kundgebungen im Internet den Tag mit Gesängen und Töpfeschlagen auf den Balkonen begehen.

5.000 Polizisten in Berlin im Einsatz

Die Polizei in Deutschland will am 1. Mai mit einem Großaufgebot die Corona-Einschränkungen in der Hauptstadt durchsetzen und größere Menschenansammlungen konsequent auflösen. Der Tag stehe ganz im Zeichen des Infektionsschutzes, kündigte Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) an. Demonstrationen dürften nicht "zum Ischgl von Berlin werden", hatte der SPD-Politiker betont.

Bei Partys in dem österreichischen Skiort hatten sich zahlreiche Menschen mit dem neuartigen Coronavirus infiziert und weitere Menschen angesteckt.

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Berlin.
Foto: AP/DPA/Christoph Soeder

Etwa 5.000 Polizisten werden am Freitag im Einsatz sein. Rund 20 Versammlungen mit jeweils bis zu 20 Teilnehmern wurden laut Geisel genehmigt. Die Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen sei derzeit eine Straftat.

Das große Kreuzberger Straßenfest "Myfest" fällt in diesem Jahr wegen der Pandemie aus, ebenso die traditionelle "Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration" gegen den Kapitalismus am Abend. Linke und linksradikale Gruppen kündigten jedoch spontane Protestaktionen an. Die Polizei werde "verhältnismäßig vorgehen, aber sie wird auch konsequent vorgehen", hatte Geisel im Parlament bekräftigt.

Schon in der Nacht auf den 1. Mai fanden erste Proteste in Berlin statt.
Foto: EPA/FILIP SINGER

Düsterer Tag der Arbeit in Italien

Italien hat am Freitag den Tag der Arbeit in einer düsteren Stimmung begangen. Wegen der Coronavirus-Epidemie fielen die traditionellen Veranstaltungen der Gewerkschaften aus. Das seit Jahrzehnten von den Arbeitnehmerverbänden organisierte Großkonzert mit vielen Musikstars vor der Lateranbasilika in Rom wurde etwa durch ein Streaming-Event ersetzt.

Drei Tage vor der für 4. Mai vorgesehenen Lockerung der Ausgangssperre sind Italiens Zukunftsperspektiven schwarz. Die Einwohner bangen um die Wirtschaft und ihre Jobs, vor allem in den von der Krise am stärksten betroffenen Sektoren wie Tourismus, Gastronomie, Freizeit und Kultur. Papst Franziskus hat für Gerechtigkeit in der Arbeitswelt plädiert.

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Istanbul.
Foto: REUTERS/Umit Bektas

Festnahmen in Istanbul

In Istanbul versuchten Gewerkschafter und einige Abgeordnete der Opposition, trotz einer dreitägigen Ausgangssperre zu einer kleinen Kundgebung zum Taksin-Platz in Istanbul zu marschieren. Rund zwei Dutzend von ihnen wurden nach Angaben eines AFP-Fotografen von der Polizei festgenommen – unter ihnen auch die Vorsitzende des Gewerkschafts-Dachverbands DISK, Arzu Çerkezoğlu.

Sicherheitsabstand in Athen

Ohne Zwischenfälle dagegen verlief in Griechenland eine Kundgebung von hunderten Mitgliedern der kommunistischen Gewerkschaft Pame vor dem Parlament in Athen. Rote Klebestreifen auf dem Boden sorgten dafür, dass die Demonstranten den gebührenden Abstand voneinander hielten. Viele hatten ihre Gesichter mit roten Schals verhüllt oder trugen Masken mit Botschaften der Solidarität für das Personal in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Trotz Missachtung der Corona-Einschränkungen verzichtete die Polizei auf Festnahmen.

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Athen.
Foto: REUTERS/Alkis Konstantinidis

Russen feiern Tag der Arbeit im Internet

In Russland haben zahlreiche Parteien ihre Kundgebungen zum Tag der Arbeit ins Internet verlagert. Im Radio und auf zahlreichen Onlineplattformen gab es am Freitag Flashmobs und Konzerte mit sowjetischen Liedern. Auf Youtube luden etwa Parteien die Menschen ein, über ihre finanziellen Schwierigkeiten und Probleme in der Selbstisolation zu sprechen. Bis zu drei Millionen Russen sollten nach Angaben der Gewerkschaft an den Aktionen im Internet teilnehmen. Nur einzelne Mitglieder der Kommunistischen Partei seien in Moskau auf die Straße gegangen, normalerweise organisieren die Gewerkschaften landesweit traditionelle Märsche mit zehntausenden Teilnehmern.

Proteste auf Philippinen und in Indonesien

Auch auf den Philippinen trotzten kleinere Gruppen dem Versammlungsverbot, um finanzielle Hilfen der Regierung zu fordern. Die Polizei nahm mehrere Demonstranten fest. Nach den Worten des Gewerkschafters Jerome Adonis sind rund 23 Millionen Menschen im Land wegen der Epidemie "ohne Arbeit und ohne Bezahlung" und deshalb vom Hunger bedroht – gleichzeitig aber drohe ihnen die Verhaftung, wenn sie auf der verzweifelten Suche nach Abhilfe die Quarantäne-Bestimmungen missachteten.

In Indonesien protestierten die Gewerkschaften im Internet gegen ein neues Gesetz, das Entlassungen erleichtern soll. Ihr Dachverband organisierte zudem Spendensammlungen, um gefeuerte Arbeiter mit Lebensmitteln zu versorgen und deren Kollegen, die noch in den Fabriken beschäftigt sind, mit Schutzmasken auszurüsten.

Die Mendiola-Straße in der philippinischen Hauptstadt Manila ist normalerweise fixer Bestandteil der Demonstrationen. Am diesjährigen 1. Mai ist sie aufgrund der Corona-Krise so gut wie leer.
Foto: EPA/MARK R. CRISTINO

Patrouillen in Hongkong

In Finnland finden sich normalerweise zigtausend Menschen zum traditionellen Frühlingspicknick zum 1. Mai ein. Dieses Jahr mussten sie sich mit virtuellen Zusammenkünften begnügen. Nur eine Handvoll Menschen feierte den 1. Mai auf Helsinkis Marktplatz, auf dem die Polizei strikt auf die Begrenzung der Gruppenstärke auf maximal zehn Menschen achtete.

In Hongkong patrouillierten mit Tränengas und Gummigeschoßen ausgerüstete Polizisten in den Straßen, nachdem Pro-Demokratie-Aktivisten trotz des Versammlungsverbots Massenkundgebungen angekündigt hatten. Außer den Anti-Aufruhr-Einheiten war aber kaum ein Mensch zu sehen. (APA, AFP, dpa, red, 1.5.2020)