Neuseelands Regierungschefin Jacinda Ardern glänzt in der Corona-Krise.
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Jacinda Ardern, Neuseelands Premierministerin, gilt als Role-Model der Sozialdemokratie. Sie hat alles, was sich die maroden Parteien inEuropa erträumen: gute Umfragewerte, einen hohen Grad an Authentizität und Glaubwürdigkeit, Entschlossenheit, Empathie. Vor allem in Krisen scheint sie über sich hinauszuwachsen, sie beherrscht symbolisch verbindende Gesten.

Nach den Terroranschlägen von Christchurch auf zwei Moscheen im Jahr 2019 besuchte sie die Opfer und Hinterbliebenen, sie trug dabei ein Kopftuch. Queen Elizabeth II empfing sie in einem Kahu huruhuru, dem traditionellen Federmantel der Maori.

Und auch in der aktuellen Corona-Krise weiß sie auf Augenhöhe zu kommunizieren. Bevor sie den strengen Lockdown ihres Landes im März verfügte, hielt sie eine Online-Fragestunde ab. Von zu Hause aus, im bequemen Pulli, gerade habe sie ihre kleine Tochter gefüttert. Ende April verkündete die Premierministerin den Sieg über das Virus. "The Atlantic" feierte sie als die "effizienteste Politikerin der Welt".

Superlative ist Ardern gewöhnt. Mit 37 Jahren wurde sie 2017 nicht nur die jüngste Ministerpräsidentin in Neuseelands Geschichte – drei Monate später gab sie auch bekannt, dass sie schwanger sei. Ihre Tochter wurde im Sommer 2018 geboren. Ardern und ihr Lebensgefährte Clark Gayford gelten als Vorzeigepaar.

Hochs und Tiefs

Doch hinter der perfekten Fassade kämpft auch Ardern mit den Niederungen der Tagespolitik. Neuseeland ist zwar einer der reichsten Staaten weltweit, viele soziale Errungenschaften wurden aber in den Achtzigerjahren abgebaut. Daran laboriert der Inselstaat noch heute. All ihre ambitionierten Wahlversprechen kann die Premierministerin kaum einlösen. Und aktuell musste Ardern zugeben, dass das Virus entgegen ihren Hoffnungen noch nicht ganz eliminiert sei. Die Wirtschaft leidet massiv, mit unabsehbaren Folgen.

Was Armut aus Menschen macht, konnte Ardern in ihrer Kindheit sehen. Aufgewachsen ist sie in einer wirtschaftlich schwachen, indigen geprägten Gegend in der Mitte der Nordinsel. Dort habe sich ihr soziales Gewissen gebildet, sagt sie. Der Vater, ein Polizist, habe ihr beigebracht, wie man Konflikte mit Bedacht löst.

Diese Fähigkeit ist aktuell gefragter denn je. Der Inselstaat wählt im September. In einer ersten internen Umfrage nach dem Lockdown liegt Arderns Labour-Partei zumindest deutlich vor den Konservativen. (Manuela Honsig-Erlenburg, 1.5.2020)