Bill Gates hat sich etwas auf die Seite gelegt von seinem unternehmerischen Schaffen. Der Microsoft-Gründer könnte sich wohl jeden Tag nach dem Frühstück einen Fuhrpark mit ein paar Dutzend SUVs bestellen, ohne seine eiserne Reserve für die Pension allzu sehr zu belasten. Würde er die übermotorisierten Vehikel ein paar Wutbürgern zur Verfügung stellen, damit sie Greta Thunberg und Co damit trotzig um die Ohren fahren - Bill Gates flögen die Herzen zu.

In Wirklichkeit läuft es nicht so geschmeidig ob des tatsächlichen Engagements eines der reichsten Männer der Welt. Gates unterstützt die Weltgesundheitsorganisation WHO und investiert in Unternehmen, die nach Impfstoffen forschen. Das sorgt für weltweite Schnappatmung im Konglomerat von Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern und Anbetern des US-Präsidenten Donald Trump. Nicht zuletzt mit harscher Kritik an Trump und dessen Zahlungsstopp an die WHO hat sich Gates allerlei Unmut aus diesen Kreisen zugezogen. In Texas verlangten Impfgegner bei einer Demo unlängst lautstark die Verhaftung von Gates. In den sozialen Medien sorgt dieses Soziotop mit einer Kampagne dafür, dass George Soros von Gates als meist gehasster Mann der Welt abgelöst hat. Und das will etwas heißen.  

Gates als Verkörperung des Bösen

Die Anklagepunkte gegen Gates stünden fest, hätten die Seuchenfreunde das Sagen: Gates habe mitgeholfen, das Virus zu verbreiten, nachdem eines seiner Unternehmen längst ein Patent auf einen Impfstoff dagegen entwickelt hatte. Nebenbei will Gates die Weltbevölkerung mit Impfungen dezimieren. Uns werde mit der Vakzine gegen Corona zugleich und geheim ein Chip implantiert, mit der uns eine - zumeist "Kabale" genannte - Elite wie Drohnen fernzusteuern plant. Tausende Youtube-Clips und Memes mit bizarren, verzerrenden und surrealen Collagen dazu verbreiten sich in den sozialem Medien mit einer Geschwindigkeit, die Corona, Ebola und Masern-Viren alt aussehen lassen. 

Bill Gates, die neue Hassfigur der Verschwörungstheoretiker und Impfgegner.
Foto: REUTERS/Arnd Wiegmann

Anti-Vax-Moms und Dads geben nicht mehr den Ton an

Fast mit Wehmut erinnert man sich an Diskussionen mit ideologisch weniger fundierten Anti-Vax-Moms und -Dads in vergangenen Jahren, als regelmäßig die Masern aufpoppten irgendwo auf der Welt. Impfkritik war bisher eher ein Steckenpferd grün-alternativer Bobos. In dem Milieu haben nicht nur Stoffwindel die Pampers ersetzt und Hirsebällchen die Schokobananen, sondern auch krude Impfverweigerung eine solidarische Gesundheitsvorsorge. Impfungen verweigerte man aus zweierlei Gründen. Erstens aus Pragmatismus, weil halbwegs durchgeimpfte Milieus von offenkundig nur mangelhaft reflektierenden Prolos und Bürgerlichen brav wie die Schlafschafe für einen Herdenschutz sorgten. Zweitens aus der Verklärung von Krankheit und Seuchen. Man wolle dem Kind "die Chance, einen Infekt durchzustehen" nicht vorenthalten. Über allfällige Masernopfer rümpfte man hinter vorgehaltener Hand die Nase und erinnerte daran, dass man gegen das Karma ohnehin nicht heilen könne. Auf das eigene Kind indes war man stolz, es zeigte einen "erstaunlichen Entwicklungsschub" nach dem Karma-reinigenden Stahlbad im Kinderzimmer.   

Seuchenfreunde von rechts und eine Querfront gegen "Impfterror"

Corona mischt die Karten neu. In der Kakophonie der "impfkritischen" Seuchenfreunde geben stramm rechte Influencer den Takt an. Die Bereitschaft, deren Narrativ zu übernehmen, reicht allerdings weit nach links. Die Botschaft mit dem Spruch "Gib Gates keine Chance" macht Sinn für den Identitären, der sich in einen wackeren Kampf gegen "Globalisten" imaginiert und für den linken Graswurzelaktivisten, der den üblen Kapitalisten an den Pranger stellen will. Die Bilder dieser Querfront sind nicht schön und sie sind entlarvend für beide Seiten.

Bereits Mitte April demonstrierte in Berlin eine bizarre Melange rechter und linker Aktivisten gemeinsam - unter anderem gegen "Impfterror." Auch bei den nun in Österreich aufpoppenden Demos gegen die Corona-Maßnahmen fanden Rechtsextremisten, Impfgegner, Gates-Ankläger und Verschwörungstheoretiker gemeinsam Gefallen an der Sache. Identitäre beobachten den Unmut der Unwuchten zufrieden vom Trottoir aus. Vielleicht suchen die selbsternannten Patrioten noch eine Linie zum Thema Impfen. "Herdenimmunität" klingt verlockend für die völkische Wannabe-Elite, aus medizinischer Sicht umfasst die "Herde" freilich deutlich mehr Menschen und Kulturen, als ihnen lieb sein dürfte. Ein Dilemma. Bei einer der Demos skandieren die Teilnehmer: "Wir sind die Juden". Man fühlt sich schließlich unterdrückt, Diktatur und Verfolgung stünden ante portas, da darf sich guter Geschmack einen Babyelefanten weiter hinten anstellen. Die Fotomontage eines zerschlissenen gelben Davidsterns aus der NS-Zeit kursiert auf Facebook, die Aufschrift "Jude" wurde entfernt und mit "Nicht geimpft" ersetzt. 

Geschmacklos: Impfgegner vergleichen sich mit verfolgten Juden der NS-Herrschaft
Screenshot Facebook / Kreil

Weniger quer, sondern stramm verschwörerisch ist eine Front in Deutschland. Der in der Truther-Szene vielzitierte Aktivist Oliver Janich gluckst in einem Youtube-Filmchen zufrieden: "Wir haben Bill Gates in die Flucht geschlagen." Gesprächspartner ist der Musiker Xavier Naidoo, der seit einiger Zeit Schnittlauch und Fettauge auf jeder Verschwörer-Suppe mimt. Was die beiden auf die Palme trieb: Eine Reihe von Prominenten hatten in Postings für die Aktion "Solidaritypledge" geworben. Der Aufruf richtete sich an die Politik, sie solle den Schutz und die Forschung für Risikogruppen wie Ältere und Bedienstete im Gesundheitswesen forcieren.

Rechte Verschwörungstheoretiker schüchtern Prominente ein

Ein harmloses Anliegen, hinter dem Janich, Naidoo und Co Impfzwang-Propaganda orteten. Sie ließen Fans und allerlei Brüder in Wut die digitalen Stiefel schnüren und von der Leine. Das Sujet "Gib Gates keine Chance" flutete die Threads der arglosen Unterstützer. Sogar der deutsche Fußballweltmeister Mario Götze sah sich ob des massiven Shitstorms gezwungen, seinen Unterstützer-Post für die Aktion zu löschen. 

MusikRatgeber

In Österreich frohlockt die rechte Krawallpostille "Wochenblick" über Naidoos "Sieg gegen Bill Gates", adelt den Youtube-Darsteller Janich zum Investigativjournalisten und macht mit düsteren Metaphern Stimmung: "Bill Gates will sieben Milliarden Menschen impfen lassen!" 

Verschwörungstheoretiker auf der Suche nach jüdischen Akteuren

Ein kleiner Wermutstropfen für rechte Impfgegner: Bei der Hassfigur Gates findet sich  beim besten Willen keine jüdische Genealogie. Janich versucht trotzdem wacker, Gates in einen antisemitsich verwertbaren Narrativ einzubinden. Im Youtube-Filmchen "Biotechfirma entdeckt Corona-Impfstoff" orakelt Janich von der "Rothschild-Epstein-Gates-Darpa-Verbindung". Diese Erzählung gerät freilich äußert verwinkelt, dieser Spin wird ein wenig zu kompliziert sein für das eher schlichte Zielpublikum. Viel Pulver für die Sache hat Janich bereits im März verschossen, als er von einer bevorstehenden Weltregierung warnte. Die Familie Rothschild und Gates würden die Gelegenheit dazu während der Pandemie bei den Hörnern packen. Zudem warnt Janich vor einer "Räterepublik der Virologen" und en passant streut Janich eine recht plausible Quelle ein, die verkündet: "Bill Gates verlangt ein sozialistisches Gesundheitssystem, um Corona zu bekämpfen."


Statt Impfungen: Janich empfiehlt wie Trump Desinfektionsmittel

Janich hat nicht nur eine blühende Fantasie, sondern auch eine Alternative zu den üblen Impfungen. In seinem Telegram-Kanal verkündete er, dass er schon lange mit Desinfektionsmitteln experimentiere: "Meine ersten positiven Erfahrungen mit intravenösen Chlordioxid Infusionen, habe ich bereits vor sechs Jahren sammeln können. Seither habe ich das Verfahren perfektioniert." Hat gar Janich dem US-Präsidenten einen Floh ins Ohr gesetzt? Trump dachte laut darüber nach, dass Desinfektionsmittel nicht nur am Handlauf und am Einkaufswagerl, sondern - via Jaukerl - auch im Körper Viren erfolgreich bekämpfen könnten. 

Janich hat tolle Erfahrungen mit intravenös verabreichten Desinfektionsmitteln.
Screenshot_Telegram

Die politische Positionierung hinsichtlich einer allfälligen Impfung gegen Corona sind in Österreich, in Europa und vermutlich weltweit klar. Rechte und Rechtspopulisten machen mobil, der Vorwand lautet "Impfzwang", ein allgemeiner Furor gegen Impfungen wird dabei wohl in Kauf genommen und weitgehend unterstützt. In Österreich haben Kanzler Sebastian Kurz und sein Vize Werner Kogler unmissverständlich geäußert, dass sie auf eine Impfung hoffen. 

FPÖ löst Grüne als informelle Schutzmacht der Seuchenfreunde ab

Mit der zumindest informellen Schutzherrschaft der Grünen über Pseudomedizin und Impffeindschaft ist es offenkundig vorbei. In die Bresche wird wohl die FPÖ springen. Das wechselseitige Pushen der Agenda zwischen obskuren Verschwörungstheoretikern und FPÖ-Politikern ist kein neues Phänomen. Die derzeitige politische Konstellation lässt manches Schmankerl von Funktionären am flachen Land erwarten. Einen kleinen Vorgeschmack gibt eine Ankedote aus Steyr. Der Zahnarzt und Tourismus-Stadtrat Mario Ritter von der FPÖ richtet der Öffentlichkeit und dem Bundeskanzler in einem Video aus, "sich - ebenso wie viele andere Österreicher - sicher nicht impfen zu lassen". Der Stadtrat stellt Kanzler Kurz dann persönlich die Rute ins Fenster: "Eines dürfte Ihnen entgangen sein: Impfschäden sind nur in den USA einklagbar. Oder übernehmen Sie die Verantwortung? Ich glaube, sicher nicht!"    

Post scriptum: Ich freu mich auf die Diskussion mit allen, die Gates "keine Chance geben wollen" umso mehr, wenn die Eingabe über ein Microsoft-System erfolgt. Jeder noch so kleine Puzzlestein zur Entwicklung einer Impfung ist begrüßenswert. (Christian Kreil, 6.5.2020)

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