Ohr und Trichter stehen im KHM bereit

John Baldessari

Wer sich einsam oder mit Menschen seiner Wohngemeinschaft zuletzt draußen die Füße vertrat und vor dem Kunsthistorischen Museum landete, vernahm trotz der urbanen Konzertstille tatsächlich Beethoven. Allerdings irgendwie verkehrt. Die türkische Künstlerin Ayse Erkmen hatte bei der Installation esile rüf den Krebsgang eingelegt: Vor dem verschlossenen Museum ist weiterhin den ganzen Tag Beethovens bekanntes Klavierstück Für Elise zu erlauschen. Rückwärts.

Esile rüf ist eine Art tröstender Vorgeschmack: Aufgrund der Epidemie sind so ziemlich alle Aktivitäten zum 250. Geburtstag des Bonner Komponisten eingefroren. So wurde auch die KHM-Ausstellung Beethoven bewegt auf Herbst verschoben, wobei es auf Spotify als Zeitvertreib Podcast sowie Playlist gibt.

Es geht der Schau nicht anders als der zehnten Symphonie des Meisters, der auf seinem Wiener Beethovenplatz als Denkmal – passend zur Weltlage – grimmig dreinblickt. Die Uraufführung der von künstlicher Intelligenz vollendeten Zehnten wird voraussichtlich im November präsentiert, falls wegen möglicher weiterer Viruswellen überhaupt etwas erklingen darf.

Eine interessante, hörenswerte Spekulation wäre es: Beethoven hat wenige handschriftliche Skizzen zu seiner zehnten Sinfonie hinterlassen, die nun per Softwareprogramm auf 25 Minuten ausgedehnt werden sollen. Auch Ideen anderer Meister aus Beethovens Epoche sollen dem akustischen Kuriosum beigemischt werden.

Ende aller Symphonik

Dem (durch die erst eskalierende und sich inzwischen hoffentlich weiter beruhigende Reproduktionszahl) eingeschläferten Konzertleben sind in Wien natürlich auch alle verbürgten neun Symphonien zum Opfer gefallen. Dirigent Teodor Currentzis hätte sie im Konzerthaus mit seinem nun zur Untätigkeit verdammten Ensemble MusicAeterna gespielt. Und im Musikverein wollte Daniel Barenboim alle Klaviersonaten zelebrieren. Ein Unterfangen, das Pianist Igor Levit für die noch in Schwebe befindlichen Salzburger Festspiele auch in Planung hatte.

Das Zittern um die mögliche Wiederaufnahme kultureller Aktivitäten geht allerdings weiter. Es ist diesbezüglich nur ein winziger Trost, wenn die Homepage des Wiener Beethoven-Jahrs einen mit aufmunternden Worten ("Mit Beethoven durch die Krise!") begrüßt. Das Kulturprogramm weckt der Spruch auch nicht auf, es wandert bestenfalls ins Internet-Exil aus.

Etwa die Nationalbibliothek mit ihrer Ausstellung Beethoven. Menschenwelt und Götterfunken. Im Vorjahr mit ihr gestartet, hat die NB in ihrem Besitz befindliche Handschriften oder bildliche Darstellungen eingescannt und online zugänglich gemacht. (www.onb.ac.at/beethoven-digital/ portal). Auch die Bonner Kunsthalle verlegte ihre Schau Welt.Bürger.Musik ins Netz, wobei sich im Museumsbereich wieder schüchtern Normalität ankündigt: Die Nationalbibliothek zeigt ihre Schau ab 29. Mai wieder real und verlängert sie bis 10. Jänner 2021.

Jeden Tag ein Stück

Dermaßen schnell werden wohl weder Konzerte noch die Schifffahrt in Gang kommen: Jener Frachter, der von Beethovens Geburtsort Bonn aus bis nach Wien hätte fahren sollen, blieb im Hafen und wurde zum Studio. Dort entstandene Aufnahmen sind immerhin nachzuhören (www.musikfrachter.de/) wie auch das Angebot der Pianistin Susanne Kessel. Ihr Projekt 250 Piano Pieces for Beethoven läuft bis in den Dezember hinein und bringt täglich ein neues Stück mit Bezug zum Jubilar, der am 17. 12. 1770 seinen Tauftag erlebte (250-piano-pieces-for-beethoven.com).

Natürlich ist jedes Jahr Beethoven-Jahr. Der Meister ist etabliertester Teil des Konzertrepertoires. Insofern wäre es ein Leichtes, das Jubeljahr einfach zu strecken, um Versäumtes nachzuholen. Absurd? Eine gewichtige Instanz, der Aufsichtsrat der Beethoven Jubiläums GmbH, hat beschlossen, dass "die Feierlichkeiten zu Ehren von Ludwig van Beethovens 250. Geburtstag bis September 2021 weitergeführt" werden sollen. Damit könne sich das kreative Potenzial der in Deutschland unter BTHVN2020 zusammengefassten Aktivitäten "trotz der Einschränkungen durch die Covid-19-Pandemie weiter entfalten".

An den Tod gedacht

Was dies konkret bedeutet und ob der Virus es zulässt, wird sich weisen. Sicher ist, dass der Meister auf Twitter weiterhin selbst das Wort ergreift. Mit dem "BeethovenBot": Das Projekt des Bonner Literaturhauses verleiht ihm auf Basis seiner Briefe und Konversationshefte als Digital-Ludwig Leben. Der Bot reagiert auf Ereignisse und beantwortet Userfragen mit seinen Alltagsgedanken (twitter.com/lettersofludwig).

Sie zeigen übrigens, dass er nicht immer gut drauf war. "Ich sage Ihnen nur, dass es mir besser geht, ich habe zwar diese Nacht öfters an meinen Tod gedacht; unterdessen sind mir diese Gedanken am Tage auch nicht fremd." Zwecks Stimmungsaufhellung also besser seine Musik hören. Siehe Kasten. (Ljubisa Tosic, 3.5.2020)