Seit Montag aktiviert: Soldaten des Milizstandes

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Wien – Man könnte meinen, Kevork Asvazadurian hätte jetzt Dringlicheres zu tun: Wochenlang hatte er sein Juweliergeschäft auf der Wollzeile in der Wiener Innenstadt zusperren müssen; nach Ostern konnte er wieder aufsperren und müsste jetzt versuchen, versäumtes Geschäft nachzuholen. Stattdessen steht er nicht im Laden, sondern adjustiert mit dem Kampfanzug des österreichischen Bundesheers im zweiten Stock des Gardekommandos in der Maria-Theresien-Kaserne.

Das sei jetzt sein Platz, sagt er, ohne zu zögern: "Wenn der Staat ruft, ist es meine Pflicht zu kommen." Das Juweliergeschäft ist ja ein Familienbetrieb, jetzt musste eben die Mutter einspringen. Und die Mutter kennt das: Schon Vater und Onkel des jungen Hauptmanns haben sich als Milizoffiziere bewährt.

1991 hat man sich Mobilmachung nicht getraut

Jene Art von Bewährung, die Asvazadurian dieser Tage bevorsteht, hatten sie aber nie zu bewältigen: Es ist ja das erste Mal in der Geschichte des Bundesheeres, dass es auf die Strukturen des Milizheeres zurückgreift und die Soldaten ganzer Kompanien geschlossen einberuft. 1991, als das Bundesheer angesichts des Unabhängigkeitskriegs in Slowenien zum Sicherungseinsatz an die jugoslawische Grenze geschickt wurde, hat Österreich auf die Alarmierung der Miliz verzichtet, um die Lage nicht weiter zu eskalieren.

Um in der momentanen Krise die Kräfte der Polizei zu entlasten, wurden jetzt erstmals 13 komplette Kompanien des Milizstands aufgeboten. Eine davon wird von Asvazadurian befehligt, er ist Kommandant der zweiten Kompanie des Jägerbataillons Wien 1.

Wiens "Hausregiment"

Dieses Bataillon wiederum ist eines von zwei aus Milizsoldaten gebildeten Bataillone aus Wien – eines sehr traditionsreichen Verbands: Die "Hoch- und Deutschmeister" führen ihre Gründung auf einen Vertrag des Kaisers Leopold I. mit dem Hochmeister des Deutschen Ordens aus dem Jahr 1696 zurück: Die "Teutschmeister" kämpften mit dem Prinzen Eugen in Zenta gegen die Türken, sie wurden als Infanterieregiment No. 4 das "Wiener Hausregiment", weil es seine Soldaten in den Wiener Vororten angeworben hat.

Die Traditionsverbundenheit der Milizsoldaten ist so stark, dass Bataillonskommandant Oberst Stefan Koroknal sogar auf seiner hellblauen Schutzmaske das Kreuz des Deutschen Ordens trägt. Auch Koroknal ist Milizoffizier – im Zivilberuf IT-Manager, ist er nur für wenige Tage zu einer Waffenübung eingerückt, um die Phase der Einberufung und Ausbildung seiner 2. Kompanie zu begleiten.

Mit Masse rücken die Soldaten des Milizstandes heute, Montag, ein, weder Koroknal noch Asvazadurian rechnen mit großen Problemen. "Wir sind ja durch die Übungen fast so etwas wie eine Familie", sagt der Hauptmann über den Kompaniestab, der vorgestaffelt bereits in der Vorwoche eingerückt ist. Jedem Milizsoldaten müsse klar sein, dass er im Ernstfall weg von Arbeitsplatz und Familie zum Dienst mit der Waffe gerufen werden kann.

Aus dem Zivilberuf ins Heer

Zumindest bei den Deutschmeistern (Wahlspruch: "Deutschmeister ist und bleibt man") sei das so, meint der Bataillonskommandant – im Verteidigungsministerium wird aber durchaus auch erzählt, dass einige der 2.350 bundesweit einberufenen Milizsoldaten angerufen hätten und gefragt hätten, ob das mit dem Einberufungsbefehl ernst gemeint sei und ob man dem wirklich Folge leisten muss.

Zweimal: Ja. Nur in wenigen Fällen werde eine Ausnahme gemacht – vor allem aus gesundheitlichen Gründen. Daher werden die Soldaten zunächst einmal gründlich untersucht, bevor sie spezifisch auf ihre Aufgabe – Polizisten bei der Bewachung von Botschaften abzulösen – ausgebildet werden. Dazu gehört sowohl eine entsprechende Schulung in Selbstverteidigung und in sicherheitspolizeilichen Rechtsfragen als auch ein den Aufgaben entsprechendes Schießtraining mit der Pistole.

Erst in drei Wochen werden Asvazadurians Soldaten dann tatsächlich auf jenen Posten stehen, auf denen derzeit Polizisten eingesetzt sind. Das hat neben der praktischen Bedeutung (also der Entlastung der Exekutive) auch eine symbolische: Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) will die Durchhaltefähigkeit des Bundesheers in Krisensituationen unter Beweis stellen. Und wenn sich zeigen sollte, dass das nicht reicht? Asvazadurian lächelt zuversichtlich: Für die nie auszuschließenden Ausfälle hätten sich Kameraden aus anderen Kompanien freiwillig gemeldet. (Conrad Seidl, 4.5.2020)