Johannes Hahn, der Budgetmann hinter Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

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Der Mittwoch hätte der große Tag von Ursula von der Leyen und ihrem Budgetkommissar Johannes Hahn werden können. Bis zum 6. Mai sollte die EU-Kommission nach dem Willen der 27 Staats- und Regierungschefs einen in seiner Höhe seit dem Krieg beispiellosen "Wiederaufbaufonds" präsentieren.

Mit ihm soll die durch die Coronavirus-Krise schwer beschädigte europäische Wirtschaft im Binnenmarkt flottgemacht werden, neben all den anderen milliardenschweren Maßnahmen aus regulären EU-Töpfen, auf nationalen Ebenen und seitens der Europäischen Zentralbank (EZB).

Nicht Milliarden, sondern Billionen

Es gehe bei dem Fonds "nicht um Milliarden, sondern um Billionen Euro", hatte die Kommissionspräsidentin vor zehn Tagen zum Wiederaufbauplan erklärt, ohne eine Zahl zu nennen. "Es werden 1,5 Billionen nötig sein", 1.500 Milliarden Euro mindestens, schob Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni nach.

Es geht also um viel. Aber der ursprüngliche Zeitplan ist nicht zu halten. "Die Präsentation wird um eine Woche verschoben", hieß es am Wochenende in Brüssel.

Verheerende Aussichten

Gentiloni wird mit dem für ihn zuständigen Vizepräsidenten Valdis Dombrowskis zuerst die aktualisierte Frühjahrsprognose präsentieren. Anstatt solides Wachstum, wie noch Anfang des Jahres erwartet, werden EU und Eurozone 2020 in eine schwere Rezession abstürzen. Die Staaten sind davon praktisch alle betroffen, aber doch unterschiedlich. Das heißt, dass die Wirtschaftsaussichten und die Bewertungen der nationalen Budgetlagen und Möglichkeiten der Regierungen vollkommen neu bewertet werden müssen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat ein "Minuswachstum" von fünf bis 15 Prozent prognostiziert. In Frankreich, in Italien, in Griechenland rechnet man mit minus zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Österreich oder Schweden kämen mit etwa minus sieben Prozent noch relativ gut weg, ähnlich Deutschland, das per Negativzinsen Geld "verdient", wenn es sich verschuldet.

Status und Bedarf

Um den Wiederaufbauplan zu strukturieren, muss die Kommission wissen, welchen Status und welchen Bedarf die einzelnen EU-Staaten haben, wie sehr nationale Budgets unter die Räder kommen. Erst dann kann man entscheiden, nach welchen Kriterien und Regeln der Fonds gestaltet wird. Erst Bewertungsstudie, dann Aufbauprogramm. Setzt man die provisorisch angenommene Summe von 1.500 Milliarden Euro (die einem Zehntel der Wertschöpfung aller EU-Staaten in einem Jahr entspricht) in Relation zum regulären EU-Budget, wird deutlich, warum es sich bei dem von der Kommission geführten Projekt Recovery Fund um ein gigantisches Unterfangen handelt: Es sprengt den traditionellen EU-Budgetvollzug.

2019 hatte die Kommission für alle gemeinschaftlichen Politiken 165 Milliarden Euro zur Verfügung. Das meiste Geld – zwei Drittel– geht in Agrarförderung und in Kohäsion, Subventionen für ärmere Regionen. Der gesamte EU-Budgetrahmen von 2014 bis 2021 beträgt 1,08 Billionen Euro.

Mehr als sieben Jahre

Das heißt: Die Wiederaufbauhilfen wären mehr als alles, was die EU in sieben Jahren bisher direkt leistete. Sie haben das Potenzial, für Verzerrungen bei bestehenden Beihilfen zu sorgen, wenn man nicht aufpasst. Eine Gratwanderung. So warnt die für Wettbewerb zuständige EU-Vizepräsidentin Margrethe Vestager im "Spiegel" nicht zufällig vor "gefährlichen Schieflagen". Es müsse auf "faire Bedingungen" geachtet werden – auch bei Staatshilfen.

"EU-Finanzminister" Hahn

Zwischen den Mitgliedsstaaten hat der Verteilungsstreit bereits eingesetzt. Deutschland, die Niederlande oder Österreich drängen darauf, dass die Summen nicht zu groß werden, für die sie haften müssten, wollen EU-Geld vor allem über rückzahlbare Kredite ausschütten. Die finanzklammen Südländer mit Italien und Spanien an der Spitze wollen 1,5 Billionen Euro "oder mehr" an Aufbauhilfen. Diese sollen zudem vor allem als Zuschüsse vergeben werden, nicht rückzahlbar.

Europas Wirtschaft nach dem Absturz Dampf machen: Das möchte die EU-Kommission mit einem großzügigen Wiederaufbauplan.

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Dem Österreicher Hahn kommt in dieser Billionenschlacht eine Schlüsselrolle zu. Der Haushaltskommissar, der direkt nur von der Leyen unterstellt ist, wird durch indirekte Gestaltungsmacht insgeheim zu einer Art neuem EU-Finanzminister. Nach Informationen des STANDARD arbeitet er daran, den nächsten (bei den Staaten ebenso umstrittenen) EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 eng mit dem Wiederaufbaufonds zu koppeln. Das käme im Budgetvollzug einer Revolution gleich.

Denn bisher ist es so, dass die einzelnen Ausgabenposten für die EU-Politiken über Jahre genau definiert sind. Es ist rechtlich und ohne Zustimmung der Staaten und des EU-Parlaments schwierig, Gelder umzuschichten.

Keine EU-Schulden

Die EU darf keine Schulden machen, wie das nationale Regierungen großzügig tun, wenn sie Geld brauchen. Hahn plant, dass in den zwei, drei Jahren des nötigen Wiederaufbaus auf EU-Ebenen zügig große Summen mobilisiert werden können, indem Ausgaben "vorgezogen" werden, die erst ab 2023 getätigt worden wären. Insbesondere Projekte in Infrastrukturen, bei Klimaschutz und Gesundheit, im Digitalbereich, in der gemeinsamen Forschung bekommen Priorität. Mittel für den Fonds sollen großteils über die Finanzmärkte aufgebracht werden, indem die Kommission mit kleineren Kapitalbeträgen große Kredite zu besten Konditionen ermöglicht. Die EU-Staaten treten als Garanten auf, niedrige Zinsen werden an schwächere Länder weitergereicht. Voraussetzung für ein flexibles Budget ist, dass die nominellen Obergrenzen angehoben werden. Entscheiden wird darüber der nächste EU-Gipfel. (Thomas Mayer, 4.5.2020)