"Wir bewegen uns in Richtung einer Rezession, wie sie die Welt seit 1929 nicht mehr gesehen hat", konnte man vor einiger Zeit hier im STANDARD lesen. Aufschwung, Hochkonjunktur, Abschwung, Rezession, Depression und ein erneuter Aufschwung beschreiben den lehrbuchmäßigen Verlauf eines Konjunkturzyklus. Durch verschiedenste Einflüsse kommt Bewegung in das Wirtschaftswachstum, welches oft durch die Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (also der Güter und Dienstleistungen, die innerhalb eines Referenzzeitraums produziert werden) definiert wird. Der Auslöser des aktuellen Abschwungs ist recht schnell ausgemacht: der Erreger Sars-CoV-2 beziehungsweise die dadurch ausgelöste Erkrankung Covid-19. Wie kommt es jetzt aber, dass dieses Virus nicht nur gesundheitliche Folgen hat, sondern auch eine heftige makroökonomische Reaktion hervorruft?

Schocks für die Wirtschaft

In der makroökonomischen Forschung unterscheidet man zwischen einer Vielzahl von Störungen, die eine Volkswirtschaft für eine bestimmte Zeit mehr oder weniger stark beeinflussen können. Solche Ereignisse, die die Dynamik einer Ökonomie positiv oder negativ beeinflussen, nennt man Schocks. Verschiedene makroökonomische Fundamentalwerte beeinflussen sich durch unterschiedliche Zusammenhänge und Wirkungskanäle. Störungen in diesen Zusammenhängen können somit zu diversen Konjunkturphänomenen führen, wie zum Beispiel zu einer Rezession. Zu den wichtigsten Größen gehören die Arbeitslosigkeit, der Konsum, die Inflationsrate, das Bruttoinlandsprodukt und die Industrieproduktion. Aufgrund der beobachteten Werte dieser Variablen können Modelle entwickelt werden, die die längerfristige Entwicklung der Wirtschaft abbilden. So kann beispielsweise die Situation bis Ende Februar 2020 modelliert und diese dann als Ausgangspunkt für weitere Analysen herangezogen werden.

Was kann nun den dynamischen Verlauf dieses – je nach Modell mehr oder weniger stabilen – Systems beeinflussen? Solche Ereignisse können durch geld- oder fiskalpolitische Aktivitäten, zum Beispiel eine unerwartete Erhöhung des Leitzinssatzes durch eine Zentralbank, oder angebots- oder nachfrageseitige Verwerfungen hervorgerufen werden. Hier können die verschiedenen Ölkrisen der 70er und 80er als Beispiel dienen. Aber auch plötzlich und unerwartet auftretende Neuigkeiten und ein plötzlicher Anstieg der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit können den Verlauf von makroökonomischen Kerngrößen beeinflussen. So wie ein einzelner Tweet eines Konzernchefs ganze Aktienmärkte ins Wanken bringt, können auch Aussagen von Regierungsvertretern solche Effekte verursachen.

Herausfordernde Krise

Ein wesentlicher Teil der makroökonomischen Forschung beschäftigt sich mit der Analyse genau solcher Ereignisse und deren Auswirkungen auf die Entwicklung von Arbeitslosigkeit, Inflation oder Wirtschaftsleistung. Klassische Fragen (auch normativer Natur), die zu beantworten versucht werden, sind beispielsweise: Wie lange dauert ein spezifischer Schock? Wie stark wirkt sich der Schock auf zentrale Kennzahlen aus? Wann wird das ursprüngliche Niveau wieder erreicht? Welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen könnten die negativen Effekte verringern? Aber auch strukturelle Fragen können im Rahmen dieser Modelle analysiert werden. So kann zum Beispiel nach Möglichkeiten zur Erhöhung der wirtschaftlichen Widerstandsfähigkeit gegen exogene Schocks gesucht werden.

Für Makroökonomen ist die jetzige Situation aus mehreren Gründen besonders herausfordernd. Man kann sich einerseits nicht auf bisherige Krisenverläufe verlassen, da die Weltwirtschaft bisher noch nie mit so einer Situation konfrontiert wurde. Eventuell können hier einige Parallelen zur Spanischen Grippe 1918 gezogen werden, wobei aber in der Forschung primär die epidemiologischen Auswirkungen von Gegenmaßnahmen im Vordergrund stehen. Darüber hinaus treffen die aktuellen wirtschaftlichen Probleme durch verschiedenste Kanäle auf die Wirtschaft, die es in dieser Zusammensetzung noch nicht gab. Das bedeutet aber leider auch, dass klassische Wirtschaftsprognosen derzeit mit sehr hohen Unsicherheiten behaftet sind und permanent neu evaluiert werden müssen.

Seit 2. Mai dürfen wieder alle Geschäfte offen haben.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Wie die Wirtschaft beeinflusst wird

Durch welche Kanäle wird die derzeitige wirtschaftliche Lage nun beeinflusst? Die Ausgangsbeschränkungen, die notwendig sind, um unser Gesundheitssystem nicht zu überlasten und Menschenleben zu retten, haben starke Auswirkungen auf die gesamte Volkswirtschaft. Zum einen ist die Angebots- und Nachfrageseite betroffen, die wirtschaftliche Unsicherheit ist gestiegen, und zusätzlich sind auch Zukunftsaussichten getrübt. Je länger dieser Zustand andauert, desto wahrscheinlicher wird es auch zu substanziellen negativen Bewegungen am Finanzmarkt kommen. Hierbei sind nicht nur massive Wertverluste von Unternehmen durch Aktienkurseinbrüche zu berücksichtigen, sondern vor allem auch die Kreditwirtschaft, die mit höheren Kreditausfallswahrscheinlichkeiten konfrontiert wird. Wenn bei Unternehmen die Einnahmen ausbleiben, können Kredittilgungen und Zinszahlungen nur noch in eingeschränkter Höhe vorgenommen werden, was vor allem regionale Kreditinstitute nachhaltig in Bedrängnis bringen kann.

Wenn wir die lokale Wirtschaft betrachten, bietet sich für die Angebotsseite eine sektoral differenzierte Betrachtungsweise an. Während bestimmte Sektoren nach wie vor aktiv sind (Nahrungsmittelproduzenten, Supermärkte, der Gesundheitssektor), sind andere Bereiche mit einem nahezu vollständigen Umsatzausfall konfrontiert (vor allem Dienstleistungen, beispielsweise das Friseurgewerbe, die Gastronomie und der Tourismus). Was sind die wirtschaftlichen Implikationen? Einerseits besteht ein starker Konsumrückgang (weil die Menschen nicht mehr konsumieren können, da viele Geschäfte geschlossen sind), andererseits bricht auch die Produktion ein, da nicht essenzielle Unternehmen schließen müssen und insgesamt eine geringere Nachfrage nach nicht essenziellen Produkten und Dienstleistungen besteht. Insgesamt kann hier ohne durchdachte wirtschaftspolitische Maßnahmen eine sehr problematische Abwärtsspirale auftreten: Wenn nicht konsumiert wird, wird weniger produziert, wodurch auch die Nachfrage nach Arbeit sinkt, was wiederum zu einer steigenden Arbeitslosigkeit führt. Arbeitslose Menschen sind in ihrem Konsum zusätzlich eingeschränkt, was den Absturz beschleunigt.

Ein weiteres Problem entsteht durch den Rückgang des Konsums von bestimmten Dienstleistungen. Hier ist ein Nachholen des Konsums nicht möglich, zum Beispiel bei Friseurbetrieben oder Kulturveranstaltungen. Viele Menschen werden zwar nach Lockerung der Beschränkungen ihren Friseur aufsuchen oder an Kulturveranstaltungen teilnehmen, allerdings nicht häufiger, um die versäumten Termine nachzuholen. Dadurch können viele (vor allem kleine) Unternehmen ohne große Kapitalrücklagen in den Bankrott getrieben werden. Durch die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Kurzarbeit und der unkomplizierten kurzfristigen Bereitstellung von Geldmitteln könnten hier viele Konkurse verhindert werden, sodass nach Lockerung der Covid-19-Maßnahmen der Betrieb wieder aufgenommen werden kann und sich diese Unternehmen längerfristig wieder stabilisieren können.

Große Unsicherheiten

Des Weiteren sind viele in Österreich produzierende Unternehmen auf globale Lieferketten angewiesen, die durch die weltweit implementierten Ausgangssperren teilweise zum Stillstand gekommen sind. Insbesondere Unternehmen, die für ihre Produktion auf importierte Zwischengüter angewiesen sind, fehlen nun Rohstoffe, wodurch es zu einem Rückgang oder einer kompletten Einstellung des Betriebs kommen kann. Ein weiteres globales Phänomen ist der deutliche Nachfragerückgang nach dem Rohstoff Öl, ausgelöst durch die verringerte globale Produktion in nahezu allen Sektoren. Unter anderem durch die fehlende Nachfrage nach Öl ergeben sich die derzeit absurden Preisentwicklungen von Rohöl-Terminkontrakten (sogenannte Futures). Dies trifft nicht nur Ölfirmen, sondern auch viele ölproduzierende Staaten, die den Großteil ihres Staatshaushalts über Einnahmen aus dem Verkauf von Öl finanzieren.

Zusätzlich zu den realwirtschaftlichen Verwerfungen (Angebots- und Nachfragestörungen) sind wir auch mit einem sehr starken Anstieg der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit konfrontiert. Aufgrund der schlechten Datenlage können weder valide makroökonomische noch firmenspezifische Prognosen für Investitionsentscheidungen getroffen werden. Darüber hinaus ist auch die weitere Entwicklung der Pandemie schwer oder kaum einzuschätzen. So berichtet der Internationale Währungsfonds (IWF) von einem enormen Anstieg der Unsicherheit, der im Vergleich zu früheren Pandemien, beispielsweise der Schweinegrippe 2009/2010 oder auch dem Ebolavirus 2016, deutlich stärker ausfällt. Durch die allgemeine Unsicherheit, nicht zu wissen, wie es weitergehen wird und diesbezüglich auch keine zuverlässige Risikoeinschätzung geben zu können, verschieben Konsumenten ihren Konsum und Produzenten ihre Investitionen. Dieses für den Einzelnen möglicherweise wirtschaftlich sinnvolle Verhalten führt zu gravierenden makroökonomischen Problemen. Daher ist nun die Wirtschaftspolitik am Zug, um primär die angebots- und nachfrageseitigen Ungleichgewichte abzuschwächen und einer Abwärtsspirale entgegenzuwirken, aber auch um zur Unsicherheitsreduktion beizutragen.

Staatliche Hilfspakete müssen sehr schnell und in ausreichender Höhe beschlossen werden, damit schwerwiegende Folgen, zum Beispiel eine lange Depressionsphase wie nach der Weltwirtschaftskrise 1929, vermieden werden können. Die Vereinigten Staaten haben im Zuge ihrer wirtschaftspolitischen Covid-19-Maßnahmen Mittel in Höhe von zwei Billionen US-Dollar (circa 1,8 Milliarden Euro) bereitgestellt. Dies stellt in etwa zehn Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der Vereinigten Staaten, einer der größten Volkswirtschaften der Welt, dar.

Depression verhindern

Thomas Zörner ist Assistenzprofessor für Volkswirtschaft am Institut für Makroökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien. Seine Forschung konzentriert sich auf geldpolitische Fragestellungen, Kredit- und Konjunkturdynamiken und Makroökonometrie.
Foto: privat

Kann man der aktuellen Situation auch etwas Positives abgewinnen? Durch das "Abstandhalten" als Kernstrategie gegen die Verbreitung des Virus sind wir gezwungen, viele Aufgaben über den virtuellen Raum zu erledigen. Dies kann möglicherweise eine Chance im Bereich der Digitalisierung und der Entwicklung von neuen Technologien darstellen, die sich im Rahmen von technologischen Externalitäten positiv auf die Wirtschaft auswirken könnten. Ein starker Fiskalimpuls des Staates kann darüber hinaus auch in Richtung eines Ausbaus von grünen und nachhaltigen Technologien gelenkt werden. Derzeit sind das jedoch noch vage Überlegungen, die allerdings erst zuverlässig im Nachhinein evaluiert werden können.

Grundsätzlich besteht jetzt aber die Aufgabe der relevanten wirtschaftspolitischen Institutionen, den Abwärtstrend möglichst abzuschwächen, sodass wir uns nicht in Richtung einer länger anhaltenden Rezession oder gar Depression bewegen. Dies kann durch eine gut durchdachte und sauber implementierte Wirtschaftspolitik bewerkstelligt werden. Da wir allerdings Teil eines global vernetzten wirtschaftlichen Systems sind, wird ein österreichischer Alleingang letztendlich nicht die volle Wirksamkeit erreichen und auch langfristig Probleme bereiten. Österreich ist Teil der europäischen Idee und muss diese Krise daher auch in Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern im Rahmen einer europäischen Strategie bewältigen. (Thomas Zörner, 5.5.2020)