Foto: Christian Fischer

Herr Krippel und sein Team haben ganze Arbeit geleistet. Bis zuletzt hat der Hausverwalter diverse Baustellenklebebänder vor Druckern, Toiletten und Getränkeautomaten angebracht, weiße Bodenmarkierungen im Vorhof aufgemalt, mehrere Hundert Meter Verlängerungskabel in den Turnsälen verlegt. Jetzt stehen die ersten Maturantinnen und Maturanten vor dem Gebäude und warten schön brav, in Reih und Glied, auf Einlass. Gewusel auf dem Schulhof, das war einmal.

Susanne Neuner, die Direktorin der privaten Vienna Business School Floridsdorf, ist freudig aufgeregt – so eine Schulöffnung in Pandemiezeiten ist auch keine ganz alltägliche Angelegenheit. "Schön, dass Sie wieder alle da sind und dass Sie gesund sind", begrüßt sie die Wartenden vor dem Schulgebäude. Und sie fügt später im Gespräch mit dem STANDARD hinzu, jetzt müsse es nur noch gelingen, alle gesund zur Abschlussprüfung zu bringen: "Das wäre das Schlimmste, wenn jetzt jemand krank wird! Dann müssten wir die Prüfungen absagen, wahrscheinlich stünde die gesamte Schule unter Quarantäne."

Mit Maske durchs Haus

An diesem Montag, dem ersten Unterrichtstag nach der Corona-bedingten Schulschließung, wird jedenfalls alles getan, um eine Ansteckung bestmöglich zu verhindern. Gleich hinter der gläsernen Eingangstür, durch die eine nach dem anderen gehen, heißt es schon wieder Stopp – der Desinfektionsspender, gerade noch rechtzeitig vor der Wiedereröffnung eingetrudelt, harrt seines Einsatzes. Ein schneller Drücker, ein kurzes Masken-gedämpftes Gespräch mit der Frau Direktor, dann geht’s hinauf in den Festsaal, der an diesem Vormittag ausreichend Platz für die 19 Schülerinnen und Schüler bietet. Jetzt darf die Maske abgenommen werden.

Hände hoch und desinfizieren: Schule in Corona-Zeiten.
Foto: Christian Fischer

Oben angekommen, will die Deutschlehrerin wissen, was sie in den "Corona-Ferien" alles gemacht haben. Ups. Jetzt ist ihr rausgerutscht, was eigentlich niemand hier vermitteln möchte: dass die unterrichtsfreie Zeit eine lernfreie Zeit gewesen sei. Es war natürlich genau das Gegenteil der Fall. Maturavorbereitung heißt lernen, lernen, lernen. Und weil die Schule von Haus aus fürs Online-Lernen gut aufgestellt war, hat man den Shutdown eher als Lernschub erlebt, versichert Frau Direktorin Neuner.

Für Netflix, Playstation und Co ist laut Angaben der Klasse aber auch genügend Zeit geblieben. Ein Schüler erklärt gar, er sei noch nie so viel einkaufen gegangen wie in den vergangenen Wochen, "um rauszukommen". Es ist derselbe junge Mann, der zum späten Schulstart kurz vor 10 Uhr Vormittag freudigst und mit ausgestreckter Hand seinen Lehrer begrüßen wollte. Gerade noch rechtzeitig hat ihn dieser in Richtung Desinfektionsspender dirigiert. Auch die gute Beziehung von Lehrkräften und Schülern, stets als wichtige Variable für den Lernerfolg gesehen, erfährt in Corona-Zeiten eine unfreiwillige Veränderung. Handshakes sind bis auf weiteres unerwünscht.

Mit gemischten Gefühlen

Katharina Gebauer hat die Zeit daheim als stressig erlebt. Die 19-Jährige hat sich neben der Maturavorbereitung um ihre beiden kleinen Schwestern gekümmert. Die standen mit dem Distance-Learning nämlich vor einer ungeheuer großen Aufgabe, während die Eltern beide arbeiten waren. Hinzu kam ein "Wechselbad der Gefühle" beim Ansehen der diversen Pressekonferenzen der Regierung, formuliert es ein Klassenkollege. Ob er damit speziell jene lange Phase gemeint hat, in der viel Unklarheit über das Wie und Wann der Matura geherrscht hat, bleibt dabei offen. Immerhin, seit rund vier Wochen ist klar: Die Matura findet heuer nur schriftlich statt, außer es gibt den expliziten Wunsch nach einer mündlichen Prüfung. Einige aus den Maturaklassen haben sich gemeldet.

Weil Handelsschule und Handelsakademie hier in Floridsdorf unter einem Dach sind, werden auch die Abschlussklassen der HAS ab Mittwoch ins Haus kommen – macht rund 140 von insgesamt über 700 Schülerinnen und Schülern. Und weil das selbst eine Schule mit viel Platzangebot vor große organisatorische Schwierigkeiten stellt, hat Frau Direktorin Neuner die Rückkehr der jungen Leute gestaffelt angelegt – eine Entscheidung in Eigenregie. Jetzt nimmt sie in einem der umgebauten Klassenzimmer – mit schräg aufgestellten Tischen, um den Ein-Meter-Abstand tunlichst einzuhalten – Platz und formuliert diplomatisch aus Sicht der Praktikerin: "Der Distanzunterricht funktioniert in den Oberstufenklassen sehr gut." Das heißt: Sie hätte mit den übrigen 500 Schülerinnen und Schülern gerne so weitergemacht, statt mit Anfang Juni das Haus wieder voll zu haben – Ergänzungsunterricht inklusive. Immerhin, es gäbe noch die Außenanlagen, etwa den Volleyballplatz, den die bewegte Schule ja vorerst nicht mehr für den Turnunterricht verwenden darf. Einige Lehrkräfte wollen also den Unterricht dorthin, nach draußen, verlagern.

Direktorin Susanne Neuner holt die Abschlussklassen gestaffelt ins Haus.
Foto: Cristian Fischer

Die Direktorin ist nicht die Einzige, die mit manchen Entscheidungen aus dem Bildungsministerium hadert. Andernorts legen sich die Schulleitungen ganzer Bezirke quer, etwa wenn es um den "freiwilligen" Unterricht an den bevorstehenden Fenstertagen geht. Einen solchen Kompromiss wollen Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) und die Lehrergewerkschaft ja bekanntlich gefunden haben. Im 13. und 23. Wiener Gemeindebezirk sind Direktorinnen und Direktoren anderer Ansicht und lehnen diese Lösung geschlossen ab, zitiert die Wiener Zeitung aus einem gemeinsamen Protestschreiben.

Mit scharfem Blick

Für Susanne Neuner ist das beim Besuch des STANDARD kein Thema. Während sie durch die stillen Gänge des Gebäudes führt, beschleicht sie ein sentimentales Gefühl. "Normalerweise ist die leere Schule für mich ein Zeichen für Aufbruch, für die Zeit kurz vor Schulbeginn", sagt sie. Doch jetzt richte sich ihr Blick nur noch auf die Frage, ob etwas den Hygienevorschriften entspreche oder nicht.

Auch auf andere liebgewonnene Traditionen nimmt Corona keine Rücksicht. Der Maturaball? Abgesagt. Dabei war das Rathaus schon reserviert. Die feierliche Verabschiedung der Maturantinnen und Maturanten? Findet höchstens per Videobotschaft statt. Inmitten des Ausnahmezustands gibt es aber auch Konstanten: Vor dem Maturaantritt müssen die jungen Leute nämlich noch die eine oder andere Schularbeit schreiben. Heute, Dienstag, ist es gleich so weit. (Karin Riss, 5.5.2020)