Realistische Abstandsregeln gesucht: Roland Geyer.

Hauswirth

Am Dienstag startet der Abo-Verkauf – immer eine spanende Angelegenheit für das Theater an der Wien und dessen Intendanten. Heuer dürfte Roland Geyer jedoch ein besonderes Prickeln verspüren. Weder ist sicher, in welchem Umfang er ab September Publikum begrüßen darf, noch, ob es überhaupt Lust verspüren wird zu erscheinen. Es mag beruhigen, dass Geyer verspricht, bezüglich Hygienemaßnahmen "alles möglich zu machen" und bei Absagen Geld zurückzugeben, falls jemand nicht "für eine andere Aufführung umbuchen will". Abgesehen davon ist aber wohl nichts sicher.

Geyer hält die nächsten sechs Wochen für entscheidend. Es würde sich zeigen, ob die Öffnung von Restaurants, Schulen und Bädern im Zwei-Wochen-Rhythmus Folgen hatte. Wenn es mit nur unwesentlichen Steigerungen bei den Infektionen abläuft, bin ich optimistisch. Dann spielt auch die Zeit für uns."

Nur Gedankenspiele

Sollte allerdings eine zweite Welle kommen, hätte man den Worst Case. "Dann brauchen wir weder über Probenbetrieb noch Publikum zu diskutieren." Dann ginge gar nichts, dann würde nur ein Medikament oder "eine gut erprobte Impfung" helfen. Geyer glaubt auch nicht, dass ein zweiter Lockdown finanziell verkraftbar wäre und man Leute noch einmal für längere Zeit in Kurzarbeit schicken könnte.

Es sind dies präventive Gedankenspiele. Geyer sieht sich selbst "auf der optimistischen Seite, was Österreich angeht". Zur positiven Gemütslage mag auch beitragen, dass die Reisebeschränkungen beim Theater an der Wien nicht signifikant ins Gewicht fallen, auch wenn diese noch länger rigoros blieben. 80 bis 85 Prozent der Besucher kämen aus dem Inland; man sei im "besten Sinne des Wortes Stadttheater".

Probleme bei Solisten

Probleme würden sich zwar langfristig bei internationalen Solisten ergeben. "Wenn wir aber über unsere erste Premiere, also Leoncavallos Zazà, am 16. September sprechen, sind es bis dahin noch mehr als vier Monate. Das ist doppelt so lange ,wie die Corona-Krise nun bei uns dauert." Die Proben beginnen zwar schon am 10. August. Bis Anfang September wären die hygienischen Vorgaben jedoch bewältigbar: "Notfalls können wir auch 14 Tage Quarantäne durchführen oder die zehn Solisten und das Leading Team von Zazà testen lassen. Das scheint alles machbar", so Geyer.

Außerdem würden viele wichtige Sänger in Wien leben, die womöglich im Ernstfall auch nicht ausreisen dürfen und "bei uns einspringen könnten". Die Künstler würden dies bei Werken tun, die in eine "atmosphärische Dramaturgie" eingebunden sind. Geyer versucht, beim Konzipieren Zusammenhänge herzustellen und "nicht blind aus 400 beliebigen Opern auszuwählen".

Schön, dann dunkel

Im dritten Teil seines vierjährigen Programmkonzepts der "Vier Tageszeiten" kommt er 2020/21 bei "vor Abendrot" an. Und nahezu alle Werke unterliegen dieser Dramaturgie, die farbenreich Richtung Dunkelheit führt. "Zuerst scheint alles wunderschön, wird aber düsterer, schmerzhafter, und manches endet letal." Etwa bei Thais und bei Gershwins Porgy and Bess oder beim Feurigem Engel, einer Neuinszenierung von Andrea Breth, die heuer abgesagt werden musste, jedoch in die nächste Saison integriert wurde.

Bezüglich der "Feinde" seiner Pläne kommt Geyer naturgemäß auch um die Abstandsregeln nicht herum. "Ein Meter um mich ergibt einen Kreis mit drei Quadratmetern. Wir reden also von drei Quadratmetern pro Zuschauer bei der derzeit geltenden Abstandsregel, die jedoch in der U-Bahn auch schon nicht gilt. Bei 1000 Plätzen im Theater ergäbe das umgerechnet 300 bis 350 Besucher. Auch das ist zu wenig!"

Aus ökonomischen und atmosphärischen Gründen müssen mindestens 500 bis 600 Zuschauer da sein, um das Gefühl zu vermeiden, in einer Geisteraufführung zu sitzen. Also sollen nach Geyer bei "Abstandsregeln ab September neue Lösung gefunden werden". Damit Varietédame Zazà nicht in einer Atmosphäre der Leere ihr Schicksal besingt oder überhaupt stumm bleibt. (Ljubiša Tošic, 5.5.2020)