Klosterneuburg/Wien – Bisher war man davon ausgegangen, dass das Blut im menschlichen Körper gleichmäßig zirkuliert. Forscher des Institute of Science and Technology (IST) Austria zeigen dagegen nun im Fachjournal "Pnas", dass Blut deutlich turbulenter fließt als angenommen. Das ist insofern interessant, weil ein unregelmäßiger Blutfluss mit vielen Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Arteriosklerose in Verbindung gebracht wird.

Die Ursache für diesen unregelmäßigen Blutfluss ist jedoch noch nicht gut verstanden. Nun hat Björn Hof vom IST-Austria zusammen mit einem internationalen Forscherteam gezeigt, dass pulsierende Blutströme, wie die unseres Herzens, stark auf geometrische Unregelmäßigkeiten in den Gefäßen (wie Plaqueablagerungen) reagieren und viel höhere Geschwindigkeitsschwankungen verursachen als bisher angenommen. Die Forschungsergebnisse könnten Auswirkungen darauf haben, wie wir in Zukunft Krankheiten untersuchen, die mit dem Blutfluss zusammenhängen.

Visualisierung der numerischen Simulation eines turbulenten Blutstroms.
Illustr.: ZARM/Universität Bremen

Bisher unbekannter Mechanismus

"In diesem Projekt wollten wir untersuchen, ob die Erkenntnisse, die wir kürzlich über den Ursprung von Turbulenzen in Rohrströmungen gewonnen haben, Licht auf Instabilitäten in pulsierenden Strömungen und auf die kardiovaskuläre Strömung in Blutgefäßen werfen können", sagt Hof. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein bisher unbekannter Mechanismus Turbulenzen in pulsierenden Strömungen im menschlichen Körper bei niedrigeren Strömungsgeschwindigkeiten als bisher angenommen verursachen kann. "

Die Innenwand eines Blutgefäßes, das Endothel, reagiert sehr empfindlich auf eine als Scherspannung bezeichnete Kraft, die sich in diesem Fall auf die Reibung bezieht, die durch den Blutfluss an der Innenseite eines Blutgefäßes entsteht. Normalerweise sind die Zellen innerhalb des Endothels an relativ gleichmäßige Fließgeschwindigkeiten in einer Richtung angepasst. Wenn jedoch Turbulenzen im Gefäß entstehen (beispielsweise aufgrund einer geometrischen Unregelmäßigkeit), wird die Strömung multidirektional und führt zu wechselnden Scherkräften auf das Endothel. Solche Spannungsschwankungen können eine zelluläre Dysfunktion, eine Entzündung des Endothels und langfristig eine Arteriosklerose auslösen.

Turbulenzen bei verlangsamtem Blutfluss

Das Team hat sowohl experimentell als auch theoretisch bewiesen, dass Blutgefäße mit geometrischen Unregelmäßigkeiten wahrscheinlich mehr Turbulenzen verursachen als bisher angenommen. In ihren Experimenten, die am IST Austria durchgeführt wurden, konnte Teammitglied Atul Varshney nachweisen, dass bei einer Verlangsamung des pulsierenden Blutflusses (etwa zwischen Herzschlägen) Turbulenzen entstehen, insbesondere in Bereichen mit geometrischen Unregelmäßigkeiten.

Video: Fließverhalten während eines aufgezwungenen vollständigen Fließzyklus.
ISTAustria

Sobald sich der Fluss wieder beschleunigt hat, wurde er glatt und turbulenzfrei (auch bekannt als laminare Strömung). Das bedeutet, dass, wenn ein Blutgefäß nicht ideal geformt ist oder geometrische Unregelmäßigkeiten aufweist, bei jedem Pulszyklus oder Herzschlag wahrscheinlich eine turbulentere Strömung auftritt. Die Forschung könnte wichtige Auswirkungen darauf haben, wie die medizinische Gemeinschaft den Blutfluss modelliert, insbesondere in großen Blutgefäßen wie der Aorta.

Übersehene Instabilität

Björn Hof schließt daraus: "Es ist erstaunlich, dass diese Instabilität in früheren Studien übersehen wurde. Wir vermuten, auch wegen der komplexen Zusammensetzung des Blutes, dass es andere Mechanismen geben könnte, die bei noch niedrigeren Geschwindigkeiten Turbulenzen im kardiovaskulären Fluss verursachen können. Wie in der vorliegenden Studie wird auch unsere zukünftige Arbeit darauf abzielen, grundlegende Mechanismen zu identifizieren, die für andere Bereiche wie die Medizin relevant sind". (red, 11.5.2020)