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Vor allem Italiens Landwirtschaft ist ohne Migranten kaum vorstellbar.

Foto: REUTERS/Guglielmo Mangiapane

In Italien leben derzeit laut Schätzungen 670.000 Einwanderer ohne gültige Aufenthaltspapiere; ein beträchtlicher Teil von ihnen schuftet für einen Hungerlohn auf den Tomaten-, Früchte- und Zitrusplantagen in Süditalien, oft bis zu zwölf oder vierzehn Stunden pro Tag. Bei den meisten Erntehelfern handelt es sich um Bootsflüchtlinge aus Afrika. Sie wohnen unter menschenunwürdigen Zuständen in Barackensiedlungen. Weitere rund 200.000 ausländische Arbeitskräfte sind als Dienst- und Kindermädchen bei wohlhabenden Familien oder in der Altenpflege angestellt, rund 70 Prozent von ihnen ebenfalls in Form von Schwarzarbeit. Sie stammen wiederum größtenteils aus Asien.

Für Teresa Bellanova ist klar, dass die heutigen Zustände nicht mehr geduldet werden können: "Wenn wir die Migranten nicht legalisieren, dann macht sich der Staat zum Komplizen der Illegalität, der Schwarzarbeit, der Sklaverei und der Mafia", betont die Landwirtschaftsministerin. Hinzu kommt, dass der italienischen Landwirtschaft wegen der Corona-Pandemie und der geschlossenen Grenzen derzeit rund 200.000 reguläre Saisonarbeiter aus Rumänien, Bulgarien und Polen fehlen: Der Kleinbauernverband Coldiretti hatte sich schon vor einem Monat mit einem entsprechenden Hilferuf an die Regierung gewandt. Es wäre durchaus naheliegend, die fehlenden Osteuropäer durch Arbeitskräfte zu ersetzen, die sich bereits im Land befinden.

Kein Heer von "Unsichtbaren"

Bellanova nennt aber auch noch einen weiteren Grund, warum die Legalisierung der "Clandestini" vordringlich sei: Mitten in der Corona-Krise könne es sich Italien nicht leisten, ein Heer von "Unsichtbaren" im Land zu haben, die durch sämtliche Maschen des Gesundheitssystems fallen. Allein in den besonders berüchtigten Ghettos von Borgo Mezzanone in Apulien und San Ferdinando in Kalabrien leben während der Erntesaison jeweils bis zu 3.000 Menschen: Aus Angst vor einer möglichen Ausweisung wagt es kaum einer von ihnen, zu einem staatlichen Arzt zu gehen, wenn er erkrankt. Die über das ganze Land verteilten Elendssiedlungen könnten leicht zu neuen, unkontrollierbaren Infektionsherden für das Coronavirus werden.

Die genaue Zahl der illegal eingereisten Immigranten, die nun Papiere erhalten sollen, steht noch nicht fest. Zunächst sollten nach den Plänen von Innenministerin Luciana Lamorgese lediglich 200.000 landwirtschaftliche Arbeitskräfte eine Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung erhalten; ihre Kollegin Bellanova – und mit ihr die Regierungsparteien PD, Italia Viva und LEU – drängen indessen darauf, allen "Illegalen", die eine Arbeitsstelle vorweisen können, die entsprechenden Papiere auszustellen. Dies würde rund 600.000 Personen betreffen. Die größte Regierungspartei, die populistische Fünf-Sterne-Bewegung, tritt wie Lamorgese noch auf die Bremse. Die rechtsradikale Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini will von der "Sanatoria" für die Migranten ohnehin nichts wissen. Doch den seuchenpolitischen Überlegungen werden sich in der heutigen Situation aber weder die Grillini noch die Lega verschließen können.

Lebensweg mit vielen Windungen

Dass es Teresa Bellanova ist, die sich für eine möglichst umfassende Regelung einsetzt, ist kein Zufall. Die heute 61-jährige Süditalienerin stammt aus einfachen Verhältnissen und hatte nach dem Ende der obligatorischen Schulzeit als junge Frau selbst jahrelang auf den Tomatenfeldern und in den Olivenhainen Apuliens als Erntehelferin gearbeitet. Dann hat sie sich in der Landarbeiter-Gewerkschaft engagiert, absolvierte ein Fernstudium und gelangte schließlich in die Politik. "Ich habe auf den Feldern viele Freundinnen verloren, die auf dem Arbeitsweg oder an Überarbeitung gestorben sind. Sie hatten nicht so viel Glück wie ich", sagte Bellanova bei ihrer Vereidigung zur Landwirtschaftsministerin im vergangenen September. Die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Erntesklaven ist für Bellanova ein durch ihre Biografie bedingtes Herzensanliegen. (Dominik Straub aus Rom, 5.5.2020)