Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besuchte am Dienstag eine der wenigen Schulen seines Landes, die aktuell für Kinder von Eltern mit systemrelevanten Jobs geöffnet blieben. Am kommenden Montag sollen alle Bildungseinrichtungen wieder öffnen. Dagegen gibt es massiven Widerstand von Bürgermeistern und Eltern.

Foto: EPA

Als guter Franzose respektiert Henri-Victor Tournier die Entscheidungen, die "von oben", namentlich aus dem Élysée-Palast kommen. Aber jetzt spielt der rüstige Bürgermeister von Biot (Savoyen) nicht mehr mit. "Ich habe keine Lust, eines Tages dem Sarg eines Jungen zu folgen, nur weil dieser in der Schule das Covid-19-Virus aufgelesen hat", meint er unwirsch. Am kommenden Montag wird seine Gemeinde südlich des Genfer Sees ihre Schule nicht öffnen.

Macron hat den 11. Mai seit langem als Stichdatum für die Lockerung der Ausgangssperre festgelegt. Den Auftakt machen einzelne Grundschulen, dazu auch der öffentliche Verkehr. Ziel ist es, den Eltern wieder die Fahrt zur Arbeit zu ermöglichen und damit die "kolossalen" ökonomischen und sozialen Schäden zu beheben, wie Premier Édouard Philippe am Montag erklärte. Doch je näher der kommende Montag rückt, desto größer werden die Proteste und Widerstände. Macrons Wunsch, die stufenweise Rückkehr zur Normalität mit "Ruhe, Pragmatismus und gutem Willen" durchzuziehen, wurde offensichtlich nicht erhört.

In einem offenen Brief haben 329 Bürgermeister angekündigt, sie würden ihre Schulen am 11. Mai nicht öffnen. Auch andere stemmen sich gegen Macrons Stichtag. Die Gewerkschaften wie auch die Direktionen der Bahngesellschaft SNCF und der Pariser Metrobetriebe RATP erklären sich für außerstande, die Abstandsregeln und anderen Hygienevorgaben einzuhalten. Zu befürchten seien "starke Spannungen" und die "Störung der öffentlichen Ordnung", teilten sie mit.

Senat gegen Lockerungen

Der Senat, die Zweitkammer des französischen Parlaments, hat das Lockerungsdispositiv am Montag überraschend zurückgewiesen. Links- und Rechtsopposition werfen der Regierung vor, sie habe nicht genügend Schutzmasken und Schnelltests, um eine allfällige zweite Viruswelle zu verhindern. Die Abstimmung im Senat war zwar nur konsultativ, aber sie zeugt von der Stimmung, die von Misstrauen gegenüber der Staatsführung geprägt ist.

Macron scheint indessen seinen Mitbürgern selbst nicht zu trauen: Er will die allmähliche Lockerung der Bewegungsfreiheit mit neuen Vollmachten für die Regierung absichern, die keiner Justiz- oder Parlamentskontrolle unterliegen. Das im März beschlossene, Ende Mai auslaufende Ausnahmerecht soll deshalb bis zum 24. Juli verlängert werden. Vorgesehen sind zusätzlichen Kontrolleure: Ab nächstem Montag sollen zum Beispiel auch Bahn- und Metroangestellte Bußen verteilen können. Die Regierung will ihrerseits ab dem 2. Juni eine Covid-App einführen, um infizierte Personen in eine verpflichtende Quarantäne einzuweisen. "Gesundheitsbrigaden" sollen den Betroffenen helfen, sie aber auch überwachen.

Restriktionen gibt es auch für Frankreich-Besucher. Die Regierung hatte zuerst erklärt, alle Einreisenden müssten sich einer Quarantäne unterziehen. Macron korrigiert darauf, die Bewohner des Schengenraums (sowie die Briten) seien davon ausgenommen. Dass eine für das Reiseland Frankreich so wichtige Frage so improvisiert gehandhabt wird, stößt vielerorts auf Kopfschütteln.

Viel Wirkung werden diese Einwände nicht haben: Dank ihrer absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung dürfte die Präsidentenpartei La République en Marche (LRM) das erweiterte Notrecht noch diese Woche verabschieden. Die angestrebte "nationale Einheit" hinter Macron bleibt allerdings auf der Strecke. Ein weiteres Opfer einer Krise, die den Franzosen als nicht mehr enden wollend vorkommt. (Stefan Brändle aus Paris, 6.5.2020)