Die Exekutive während des Einsatzes.

Foto: Presseservice Wien

Der heurige 1. Mai war in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert: Lange Zeit war unklar, ob Kundgebungen und Demonstrationen überhaupt genehmigt werden würden. Schlussendlich konnten mehrere Versammlungen unter dem neuen Abstandsgebot stattfinden. Eine Fahrrad-Demonstration sorgt nun auch Tage danach noch für Diskussionen – vor allem deshalb, weil es zu Zusammenstößen mit der Exekutive kam. Auf einem Video ist unter anderem zu sehen, wie ein am Boden sitzender Mann von einem Polizeibeamten im Prater mit dem Fuß getreten wird, woraufhin er nach hinten umkippt.

Die Polizei wiederum spricht davon, dass es zuvor zu Attacken auf zwei Polizeibeamte gekommen sei. DER STANDARD hat mit mehreren Demo-Teilnehmern gesprochen, die ihre Wahrnehmungen schildern. Dabei werden Vorwürfe hinsichtlich des Verhaltens der Exekutive laut, was die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes betrifft.

Eine kurze Rekapitulation der Ereignisse: Begonnen hat alles mit einer nicht angemeldeten Fahrrad-Aktion in Anschluss an die "Mayday"-Demonstration am Wiener Ring. In dem Aufruf des Bündnisses "Solidarität für alle" hieß es: Im Rahmen der Aktionsform des gemeinsamen Radfahrens auf autodominierten Straßen ("Critical Mass") wolle man auf gesellschaftliche Missstände – etwa die Situation Geflüchteter in griechischen Lagern – hinweisen. Grundsätzlich wolle man sich dabei an die Straßenverkehrsordnung halten.

Sowohl die Polizei als auch Beobachter sprechen von ein paar hundert Radfahrern, die daraufhin unterwegs waren. Die Polizei schildert, dass die Radler "gegen den Ring", also gegen die Fahrtrichtung, fuhren, was ein Sprecher der "Platform Radikale Linke", die ebenfalls zur Aktion aufrief, bestreitet. Die Aktion sei zudem friedlich verlaufen, auch Familien mit Kindern seien dabei gewesen. Auch laut Polizei gab es "zunächst durchaus Kooperation", was die Routenführung betroffen habe. Danach sei es aber zu teilweise chaotischen Zuständen gekommen, heißt es in einem Statement der Exekutive, die sich auf eine "präpubertierende Weise zu einem Katz-und-Maus-Spiel" genötigt sah. Bei vorheriger Absprache hätte die Aktion auch "ohne Wickel" stattfinden können, heißt es.

Zwei Szenen

Laut Polizei sei es zu Eigen- und Fremdgefährdungen gekommen. Demonstranten sehen auch Gefährdungen, sehen die Schuld aber bei der Exekutive. Streitpunkt sind im Wesentlichen zwei Szenen. Die erste trug sich bei der Mariahilfer Straße zu. Die Polizei erhebt Vorwürfe gegen die Demonstranten: Dort seien zwei Beamte und ihre Motorräder mit Tritten attackiert worden. Verletzungen seien bislang allerdings nicht bekannt.

Ein Fotograf, dem die Polizei in einer Aussendung vorwarf, die Menge aufgestachelt zu haben, schildert die Situation so: "Die Polizei ist ziemlich wild mit Motorrädern durch die Demo gerast." Ein Polizist habe ihn am Lenker festgehalten und aufgefordert, sich auszuweisen. Sein Presseausweis sei nicht akzeptiert worden, die Dienstnummer des Polizisten habe er wiederum nicht erhalten. Auch Thomas Moser, ein anderer Demoteilnehmer, spricht von einer "chaotischen Situation" und schnellen Motorrädern. Eines habe ihn gestreift, wodurch er gestürzt sei, allerdings nur Kratzer davongetragen habe. "Mein Eindruck war, dass die Polizei nervös war, es war eine tumultartige Stimmung", sagt er. Gewaltvorfälle habe er nicht wahrgenommen.

Da Verdacht auf "extremistisch motivierte Straftaten" bestehe, ermittle auch der Staatsschutz, teilt hingegen die Polizei mit. Zudem sei es zu strafbaren Handlungen gekommen, darunter versuchte schwere Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt und Sachbeschädigung.

Tritt gegen festgehaltenen Demonstranten

Der zweite Vorfall trug sich im Prater zu. Demonstrant Laurens berichtet dem STANDARD davon, wie er beobachtete, dass ein Beamter versucht habe, aus einem fahrenden Bus heraus einen Radfahrer mit dem Fuß zu treten. Kurze Zeit später sei dieser "vom Rad runtergerissen" worden, schildert Demonstrantin Melanie Heckl. Aus Sicht der Polizei sei der Radfahrer durch "besonders aggressive Fahrweise" aufgefallen und ignorierte den Befehl anzuhalten. Durch einen Tritt gegen das Vorderrad sei er "zum Stehen" gebracht worden.

Eingangs erwähntes Video zeigt, wie der Demonstrant, Michael Westerkam, kurze Zeit später von einem Beamten getreten wird, während er am Boden sitzt. Im Gespräch mit der Falter und dem freien Journalisten Michael Bonvalot gibt er an, dass er bereits zuvor auf den Oberschenkel getreten worden sei und sich beim Sturz leicht die Schulter gestaucht habe. Er überlege, eine Maßnahmenbeschwerde einzureichen.

Angesichts dessen, was am Video zu sehen ist, hätte er dabei gute Chancen, recht zu bekommen, sagt Philipp Sonderegger, Mitglied des Menschenrechtsbeirats der Volksanwaltschaft. Die Szene mache einen "furchtbaren Eindruck", das Verhalten des Beamten sei "viel zu überzogen". Die Exekutive verteidigte das Verhalten mit der Abwehr eines Angriffs. "Die bloße Annahme, dass jemand etwas aus dem Rucksack zieht, reicht aber nicht aus", sagt Sonderegger, der außerdem kritisiert, dass ein Beamter versuche, das Filmen der Amtshandlung zu verhindern. Die Polizei kündigte eine interne Untersuchung an.

Sonderegger weist außerdem darauf hin, dass es im Rahmen einer Kundgebung "unvermeidlich ist, dass es zu Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung kommt". Das gelte auch für unangemeldete Versammlungen, entscheidend sei, dass diese friedlich verlaufen. (Vanessa Gaigg, 6.5.2020)