Jeder spielt hier sein Solo, am Ende soll es gut zusammengehen: Amandla Stenberg und André Holland als Tochter und Vater in "The Eddy".

Netflix / Lou Faulon

Schon jener Film, der den US-Regisseur Damien Chazelle als neuen Fixstern auf der Karte der Filmwelt verankerte, hatte mit Jazz zu tun. In Whiplash (2014) erzählt er von dem Drill, dem ein Nachwuchsschlagzeuger in einem Musikkonservatorium in Manhattan ausgesetzt ist, der Rhythmus der Trommelwirbel wirkt dementsprechend bis in die Montage hinein. Mit La La Land (2016), seiner Oscar-prämierten Reverenz vor dem Hollywood-Musical, die sich um einen passionierten Jazzpianisten dreht, setzte Chazelle seine Begeisterung für den Musikstil dann ein weiteres Mal mit noch verschwenderischerer Geste um.

Chazelle in jeder Fuge spürbar

Dass Netflix den 35-jährigen Regisseur für eine TV-Serie gewinnen konnte, in der sich alles um ein begeistertes Grüppchen von Jazzmusikern dreht, darf deshalb schon einmal als kleiner Coup gewertet werden. Und auch wenn The Eddy, wie bei Serien üblich, vor allem das Produkt des Autors Jack Thorne ist, spürt man den Geist von Chazelle bis in jede Fuge. Mehr als in den strenger durchinszenierten Filmen scheint er sich hier im Vérité-Stil mit Handkamera auf Improvisationen einzulassen. Oft gewinnt man den Eindruck einer Jamsession, die sich der Musik direkter anverwandelt und das Zusammenspiel der Interpreten, ob mit Instrument oder ohne, richtiggehend genießt.

Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass der Schauplatz der Serie nicht in den USA liegt, sondern ein kleiner Jazzclub im Paris der Gegenwart ist, welcher der Serie auch den Namen gibt. Die Seine-Metropole war schon immer ein Sehnsuchtsort für Amerikaner, auch Jazzer wie Archie Shepp oder Eric Dolphy sind ihrer Faszination erlegen und haben ihre Energie musikalisch ausgedrückt.

Ähnlich ist es bei der Hauptfigur Elliot Udo, einem Pianisten aus New York, der hier gemeinsam mit seinem Partner Farid (Tahar Rahim) seinen Traum eines eigenen Etablissements verwirklicht hat– André Holland verleiht ihm mit grüblerischer Zurückhaltung besonders intensive Züge.

"American Songbook"

Elliot trat allerdings seit dem Tod seines Sohnes nicht mehr selbst auf die Bühne. In The Eddy ist er ein Leader, der seine Hausband vom Zuschauerplatz aus als launiger Impresario leitet. Die Musik stammt diesmal nicht von Damien Chazelles oftmaligem Komponisten Justin Hurwitz, sondern von Glen Ballard und Randy Kerber, Letzterer verkörpert auch den Pianisten der Band.

Die Nummern sind als richtige Songs konzipiert, nicht unnostalgische, aber auch vitale Variationen auf das "American Songbook" eines Cole Porter oder George Gershwin. Gesungen werden sie von Joanna Kulig, der polnischen Schauspielerin aus dem Oscar-prämierten Schwarz-Weiß-Melodram Cold War, die ihrer Maja trotz Sprachbarriere eine besonders eigenwillige Note zwischen Nonchalance und sinnlicher Vehemenz verleiht.

Jede der acht Folgen der Miniserie – nur die ersten beiden hat Chazelle selbst inszeniert – nähert sich einer anderen Figur an, ohne den Überblick für die größeren Verwicklungen zu verlieren. Und derer gibt es genug: Schon in der ersten Folge kommt es zu einer überraschend gewaltvollen Wendung, die den in der Banlieue situierten Jazzclub stärker in das realitätsnahe Umfeld einbezieht.

Improvisation mit Geldeintreibern und Polizei

Elliot wird seine Aufmerksamkeit von der Musik abziehen und mit Geldeintreibern, Verdächtigungen der Polizei und den Erziehungsnöten mit seiner freigeistigen Tochter Julie (Amandla Stenberg) improvisieren lernen müssen. Nicht alle diese Verstrickungen werden schlüssig zu Ende erzählt, sie funktionieren oft mehr wie Motive, die mitunter auch musikalisch "aufgehoben" werden – das Musizieren in der Gruppe stiftet den Gemeinschaftssinn, der anderswo fehlt.

The Eddy erhält in der Betonung dessen, wie Familie – und zwar jene der Band, aber auch jene von Freundschaften – sowie Träume gegen ein missliebiges Außen verteidigt werden, mit der Zeit durchaus etwas von einer TV-Soap. Das Bemerkenswerte daran bleibt allerdings, dass die Serie sich kaum in Klischees verliert und in ihrer Mischung aus Milieurealismus und Swing-seliger Musikstudie immer wieder zu einer ganz eigenständigen Melodie zurückfindet.

Ab Freitag auf Netflix