Foto: epa, LUONG THAI LINH

Die Covid-19-Pandemie ist weit mehr als eine gesundheitliche oder ökonomische Katastrophe. Es ist der Beginn eines sozialen Wandels und ein Test für unsere Zivilisation, ob und wie wir mit Transformationsprozessen umgehen – und der Test für Nachhaltigkeit als neues Regulativ für nachhaltiges Handeln als "neues Normal". Das Testergebnis wird zeigen, inwieweit wir mit kulturellen und sozialen Veränderungen in der Zukunft umgehen können. Die Medien spielen hierbei eine kritische Rolle, sie definieren das, was "normal" ist, sie kreieren Common Sense und manifestieren den normativen Rahmen für individuelles Verhalten. Eine Reflexion.

Was ist normal – und was wird normal sein?

Am 21. April startete der "Guardian" eine Videoserie, die nach dem 'neuen Normal' fragt, und danach, wie wir uns die durch Covid-19 veränderte und auch neu zugeschnittene Zukunft vorstellen. Was erhoffen wir uns? Wie wird die Zukunft aussehen – und welche der veränderten Verhaltensweisen werden bleiben?

Maske für den Hund.
Foto: epa, LUONG THAI LINH

Wir werden die Krise überstehen, keine Frage. Dennoch ist es schwer oder quasi unmöglich, sich die Post-Corona-Normalität vorzustellen. Was hingegen möglich ist, ist, darüber nachzudenken und zu reflektieren, wo und wie das neue Normal entsteht und definiert wird – und durch wen es geprägt wird.

Im Imaginieren einer veränderten sozialen Ordnung, kultureller Muster, aber auch veränderter moralischer Vorstellungen spielen die Medien als organisierte Form der Kommunikation eine zentrale Rolle; sie haben das Potenzial, einen Kommunikationsraum zu schaffen, in dem Zukunftsszenarien entwickelt und diskutiert werden. Und sie haben auch die Möglichkeit, Antworten zu geben und Common Sense, einen neuen Gemeinsinn zu manifestieren.

Medien: Verwirrung statt Wandel

Doch die wohl größte Herausforderung, die bei einem Blick in die internationale Corona-Medienberichterstattung deutlich wird, sind Fake-News, ideologischer Spin und Misstrauen. Während traditionelle, überregional beziehungsweise national berichtende Medien versuchen, möglichst live-gestreamt und regierungstreu zu berichten und sich dabei den Veränderungen und dem steigenden ökonomischen Druck anzupassen und daneben Regional- und Lokalmedien genau in diesen Punkten straucheln, sind soziale Medien und vergleichbare Onlinekanäle der Ort, an dem Verschwörungstheorien und Populismus herumgereicht werden. Es entsteht soziale Verwirrung statt sozialer Wandel.

In anderen Worten: Wir erfahren zurzeit eine umkämpfte Medienumwelt mit oftmals intransparenten Informationsflüssen und einer komplexen Situation für Journalisten und Medienmacher. Wie viel Potenzial bleibt da noch, einen Transformationsprozess tatsächlich mitzugestalten? Sind die Medien nur noch Hofberichterstatter, wie der Medienwissenschafter Ottfried Jarren nicht ganz zu Unrecht anmahnt? Oder öffnen Sie Raum für Aushandlungsprozesse von Wertvorstellungen? Sind sie Teil eines sozialen und kulturellen Transformationsprozesses?

Framing des "neuen Normal"

Aus einer ökonomischen Perspektive wird tatsächlich öffentlich über eine neue Normalität beziehungsweise die Post-Corona-Situation diskutiert, dies geschieht vor allem vor dem Hintergrund des Globalisierungs-Paradigmas oder einer Berater- beziehungsweise Managementperspektive. Aber was ist mit sozialen Transformationen und unterschiedlichsten individuellen Erfahrungen der Isolation, gemeint sind physische beziehungsweise psychische Herausforderungen. Kreieren die Medien hier Verwirrung oder Veränderung?

Eine explorative kommunikationswissenschaftliche Betrachtung zeigt, dass die Medien die Gesellschaft vor allem als unterstützend, zusammenhaltend und gemeinschafts-orientiert framen; Ausreißer wie die Demonstranten in den USA werden kritisch in die Auslage gestellt. Und gute Beispiele, wie das "Together at home"-Onlinekonzert der Rolling Stones, Lady Gaga and anderer Künstler werden als Beispiel für den Common Sense des "Auf-sich-Schauens", des "Ein-Global-Citizen-Seins" und des "Zu-Hause-Bleibens" präsentiert.

"Wir bleiben zu Hause"-Konzert mit Lady Gaga.
Foto: APA/AFP/Global Citizen's One Wor

Darüber hinaus framen wir selbst in unseren sozialen Onlinekanälen unser Profilbild mit dem #StayAtHome-Hashtag und bestätigen unseren "neuen Lebensstil" mit Fotos von Selbstgebackenem, genähten Masken oder dem im eigenen Garten gelaufenen Halbmarathon.

Doch haben wir uns wirklich verändert, oder passt uns das gerade nur gut, dass wir Nachhaltigkeit als Label für einen gleichsam erzwungenen und regulierten bewussteren und umweltfreundlicheren Lebensstil benutzen können? Ist es nicht gerade sehr einfach, dass bisherige kognitive Dissonanzen und Reibungen in Sachen Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit, beschrieben in einer Studie der Autorin, nicht mehr bestehen? Wir brauchen gerade nicht mehr zu argumentieren, warum wir nicht auf eine Konferenz einmal um den Globus fliegen oder letztens doch das Auto genommen haben, um den Sohn um die Ecke zu seinem Freund zu bringen.

Wir sind den Verboten ja fast dankbar, wie bereits in der Zeit (2017) proklamiert. Wir haben etwas getan für die nun kristallklaren Kanäle in Venedig oder die verbesserte Luftqualität in Indien.

Bild nicht mehr verfügbar.

Verbesserte Luftqualität in Indien: Aufnahme aus Neu-Delhi vom November 2019 im Vergleich zu April 2020.
Foto: AP, Manish Swarup

Doch wollen wir, dass es so bleibt? Ist es nicht ein menschlicher Reflex, die Dinge wieder zur Normalität zurückzuführen? Neben den medialen Begeisterungsstürmen und Positiv-Berichterstattung zu einer neuen, nachhaltigeren Normalität, stellt sich die Frage, ob die Medien auch einen dauerhaften Transformationsprozess mittragen werden. Oder bestärken sie die Rückkehr zur Normalität und damit zu dem etablierten, marktorientierten System?

Empowerment – die Medien könn(t)en das besser

Das ist eine medienethische Frage: Wozu sind Medien verpflichtet? Sie diskutieren Veränderungen im Lebensstil, geben neuen Mustern und Verhaltensweisen Raum; dennoch propagieren sie zurzeit vor allem die Notwendigkeit, den Regeln zu folgen und Autoritäten zu akzeptieren. Doch gerade im zuvor auf die Bühne gehobenen Regional- und Lokalbereich finden sich Beispiele für eine andere Art Storytelling, für genau die Geschichten aus der Nachbarschaft, über die neue Verhaltensmuster gelernt werden und sich "kultivieren".

Eine Untersuchung der Autorin hatte dies bereits vor einiger Zeit bestätigt, Medien sind ein "essential service", wie es beispielsweise in Australien heißt, aber nicht wirklich praktiziert wird. Doch gerade eine globale Krise bedarf lokaler Interpretationen und Sinnstiftungsprozesse. Hier findet das "empowerment" in dem Sinne statt, dass die Menschen weniger "zurück" zur Normalität wollen, sondern stattdessen eine veränderte und durchaus nachhaltige Zukunft imaginieren und öffentlich diskutieren. Als Medien- und Kommunikationswissenschaftler*innen brauchen wir Regional- und Lokalmedien nicht zu romantisieren – aber dennoch das Potenzial zu untersuchen und herauszuarbeiten, gerade Dissonanzen und Veränderungstreibern auf dieser Ebene Raum zu geben und damit ein neues Normal zu definieren. (Franzisca Weder, 7.5.2020)